Eine Studentin. Peter SchmidtЧитать онлайн книгу.
ein Geheimnis … meine eigentliche Suche war anfangs ein Gen-Schalter, der Sucht durch überstarke Lust abschaltet. Ich gelangte also eher zufällig zur Entdeckung des Aversio-Genetic-Toggle-Switchs.“
„Aber die Abschaltung von Suchtgefühlen blieb später auf der Strecke?“, erkundigte sich Carolin.
„Ein solcher Schalter wurde im Gehirn bisher nicht gefunden. Vielleicht befindet sich ja hier im Arbeitskreis ein künftiger Nobelpreisträger, der uns auch von dieser Geißel der Menschheit befreit? Sigmund, was halten Sie davon?“
Reck nickte hüstelnd und griff nach seinem Pferdeschwanz. Es wirkte nicht so, als wenn ihm die Herausforderung eine Nummer zu groß erschien.
„Es wäre ein wichtiger Fortschritt“, sagte Hollando.
„Ich arbeite daran …“
„Dabei denken Sie an alle Arten von positiven Gefühlen, die uns schaden, Professor Hollando?“, erkundigte sich Carolin. „Nicht nur sexuelle Perversion, sondern auch Habgier, Mordlust, Niedertracht, Lust am Bösen?“
„Genau das – und nicht weniger. Ich bewundere immer wieder Ihre Fähigkeit, Probleme auf den Punkt zu bringen, Fräulein Meyers.“
„Danke, immer aufgeschlossen für Komplimente. Besonders, wenn sie berechtigt sind …“
Gelächter in der Runde.
Ich hätte dir die Flasche Grappa doch lieber an den Kopf werfen sollen, dachte Carolin.
„Aber nun zum eigentlichen Thema unseres heutigen Arbeitskreises“, sagte Hollando. Er erhob sich und schaltete den Projektor ein.
Auf der Videoleinwand erschien ein Käfig, in dem ein Rhesusäffchen stand, die Arme ausgebreitet, den Körper fixiert.
Das Metallgerippe glänzte blauviolett wie Stahl, der geschweißt oder zusätzlich bearbeitet worden war, wohl, um ihm mehr Stabilität zu verleihen. Der Käfig konnte beliebig angeschrägt und in die Senkrechte oder Waagerechte gebracht werden. Das Tier steckte in einem Gewirr aus Infusionsschläuchen, Kathetern und Kabeln, die mit Apparaten verbunden waren. Aus dem beweglichen Arm über ihm ragte eine Bohrvorrichtung zum Auffräsen von Knochen, wie Carolin sie aus der Neurochirurgie kannte.
In seinen Kopf war eine Metallröhre einoperiert, vermutlich, um bei Untersuchungen des Gehirns weitere Schädelöffnungen zu vermeiden.
Die Augen des kleinen Affen waren geweitet vor Angst. Trotzdem wirkte sein Blick trübe und abwesend. Wäre es ein verängstigtes Kind, hätte man ihm tröstend über den Kopf streichen wollen …
Er hängt dort mit seinen ausgebreiteten Armen so hilflos wie Christus am Kreuz, dachte Carolin entsetzt.
In Brusthöhe hing ein schwarzer Kasten mit ausziehbarer Antenne, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel. Die Beschriftung auf der Blechwand lautete:
IMPULSGEBER
Unter dem Brustbein des Affen befand sich ein röhrenartiger Drehverschluss mit Schlauchverbindungen zu einem Ständer, an dem mit Flüssigkeiten gefüllte Beutel hingen.
Eine Vorrichtung, deren Zweck Carolin zunächst nicht verstand – bis sie begriff, dass der Rhesusaffe künstlich ernährt wurde …
„Schauen wir uns einmal den Nucleus accumbens im Affengehirn an“, sagte Hollando.
Er deutete mit dem Zeigestock auf seine Stirn oberhalb der Brauen, da wo gläubige Hindus einen roten Punkt tragen, das sogenannte energetische „dritte Auge“.
„Wie bei uns Menschen ist dieses nur erbsengroße Organ neben den Mandelkernen ein zentraler Bereich der Emotionen. Die Vermutung liegt also nahe, dass Eingriffe sowohl positive wie negative Gefühle beeinflussen könnten.
Unsere ersten Versuche waren noch recht primitiv. Wir injizierten Dopamin – im Volksmund auch Glückshormon genannt. Indem ich dabei die jeweils aktiven Bereiche per Bildschirmanalyse immer genauer identifizierte und einengte, entdeckte ich nahe beim Nucleus accumbens dann die Gen-Struktur des Toggle-Switchs.
Tatsächlich lässt sich dieser Schalter durch Dopamin und Stresshormone beeinflussen.
Doch die Wirkung ist zu ungezielt. Wie bei einer manisch-depressiven Reaktion geraten wir, je nachdem, einmal in Ekstase mit überbordenden Glücksgefühlen oder in tiefste Depression und Verzweiflung …“
Hollando schwieg und blickte fragend in die Runde, ob ihm alle folgen konnten.
„Mein zweiter Versuch bestand darin, den Schalter mittels sogenannter optogenetischer Methoden zu beeinflussen, wie sie unter anderem von meinem amerikanischen Kollegen Deisseroth entwickelt wurden.
Optogentik befasst sich mit der Kontrolle von Zellen durch Licht. Ihre Aktivität kann mit blauen Laserblitzen anregt und mit gelbem Licht gedrosselt werden.
Blaues Licht führt zu mehr Dopamin – also auch positiven Gefühlen – und höherer Aktivität im Nucleus accumbens. Gelbes Licht erzeugt weniger Dopamin.
Nur reagierte der Gen-Schalter nicht wie erhofft mit einer Reduzierung negativer Gefühle. Weniger Dopamin über Inaktivierung durch gelbe Lichtimpulse führte nicht auch zu weniger Suchtverhalten.
Sie erinnern sich? Das war meine ursprüngliche Intention! Sucht wird durch Lernvorgänge in realen Belohnungssituationen so stark verfestigt, dass schon der bloße Gedanke an das Sucht auslösende Objekt wieder zu einer Steigerung von Dopamin und zwanghaften Motivationen führen kann …“
„Ähnlich, wie bei starken Rauchern?“, fragte Reck.
„Ja, der Zwangsmechanismus ist bei jeder Sucht der gleiche. Ob Sex oder Esslust, Alkoholismus, Drogen oder Neigung zum Sadismus.“
„Sind Versuche an Rhesusaffen denn überhaupt vergleichbar mit Ergebnissen im menschlichen Gehirn?“, erkundigte sich Carolin.
„Meine erste menschliche Versuchsperson war eine chronisch Schmerzkranke, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch leidend, die sich freiwillig zur Verfügung stellte“, sagte Hollando. „Sozusagen als letzte Möglichkeit, um ohne dauernde Schmerzmedikamente von ihrem Leidenspegel herunterzukommen. Also eigentlich wie geschaffen für unsere Experimente mit dem Gen-Schalter. Und das Ergebnis war frappierend …
Leider genügt es nicht, wenn man die wirksamste Variante finden will, nur bestehende Schmerzen herunterzufahren. Dazu ist es erforderlich, auch künstlich starke Schmerzen zu erzeugen, um das genau Maß der Grenzwerte zur die Kontrolle von Schmerzen zu ermitteln.“
„Aber dafür wird sich kaum jemand freiwillig zur Verfügung stellen?“, fragte Carolin.
„Das ist ein Manko unserer Forschung“,