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Rock wie Hose. Holger HähleЧитать онлайн книгу.

Rock wie Hose - Holger Hähle


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Prüfung durch den Verstand weiterhin uneinsichtig zeigt.

      Eigentlich schwitze ich bereits, was ich daran merke, dass ich das Poloshirt nicht einfach über den Kopf ziehen kann. Damit ich die Hose besser von den Beinen pellen kann, setzte ich mich hin. Danach habe ich das erste Aha-Erlebnis.

      Der Rock lässt sich so bequem anziehen. Eigentlich ganz klar. Röcke fallen als Beinkleid gegenüber Hosen dadurch auf, das sie viel mehr Weite haben als Hosenbeine. Das fühlt sich angenehmer an, als ich erwartet habe.

      Die Bluse hatte ich vorher nur mal so übergezogen, ohne sie zuzuknöpfen. Jetzt stelle ich fest, ich kriege die Knöpfe nicht so leicht zu. Den Grund habe ich schnell ausgemacht. Die Knopfleiste und Knopflöcher sind umgekehrt. So herum habe ich noch nie geknöpft. Schon interessant, mit welchen Details, dazu gehört auch der runde Kragen - gegenüber dem spitzen Kragen der Jungenhemden versucht wird, aus einem normalen Oberhemd eine weibliche Bluse zu machen. Nachdem ich die Schleife am Kragenknopf befestigt habe und meine Sandalen gegen schwarze Ballerinas getauscht habe, beginne ich mein Tafelbild vorzuzeichnen. Das Thermostat der Klimaanlage gibt die Raumtemperatur mittlerweile mit nur noch 29 Grad an.

      Obwohl ich spüre, wie Schweiß auf der Stirn aus den Poren perlt, fühle ich mich angenehmer als sonst. Die Gründe sind eindeutig. Es liegt an der Lüftung von unten und an der Rockbewegung beim Gehen. Dass die Temperatur über meinen Beinen unterm Rock wirklich niedriger ist als mit Hose, kann ich mir gut vorstellen. Die Luftbewegung ist durch den wogenden Stoff sicher höher. Der Tragekomfort ist gerade beim Gehen absolut überzeugend, denn durch die Dehnbarkeit der Falten ist die Bewegungsfreiheit maximal. Selbst ein Spagat wäre so möglich.

      Ich frage mich spontan, warum mit der Erfindung der Hose die Männer das Rocktragen aufgegeben haben? Als sich die Frauen das Recht erstritten haben, Hosen zu tragen, haben die das Rocktragen doch auch nicht aufgegeben. Für einen Erklärungsversuch und weitere Eindrücke habe ich aber keine Ruhe. Die Zeit schreitet voran und ich muss noch einige Einstellungen mit der chinesischen PC-Oberfläche vornehmen. Augenblicke später bin ich bereits so sehr mit dem Computer beschäftigt, dass ich vergesse, dass ich heute etwas anders angezogen bin.

      Erst als sich die Tür öffnet und mir ein „Tsao an lao shi“ (Guten Morgen, Herr Lehrer) zugerufen wird, erschrecke ich. Ich sehe vom Schreibtisch auf. Dann ergießt sich die Karawane der Schüler, die nach dem Ordnungsdienst in ihrem Klassenzimmer bis zum Klingelzeichen gewartet haben. Jetzt kommen sie in fast geschlossener Reihe durch die Tür. Einige raunen den Nachfolgenden etwas zu. Allgemeine Heiterkeit macht sich breit. Ich bin mir sicher, die Kommentare betreffen mich. In den Gesichtern lese ich Ausdrücke wie: ‚Er hat es tatsächlich getan.‘ Man setzt sich zügig hin wie immer, lächelt mich freundlich an oder schwätzt mit den Nachbarn. Ich spüre eine deutlich gehobene Stimmung. Man ist erwartungsvoll und wartet gespannt auf den Startschuss.

      Erst jetzt stehe ich auf und trete hinter meinem Computer hervor. Dann unruhige Stille. Noch nie habe ich gleichzeitig so viele Blicke an mir kleben gefühlt. Ich warte einen Moment, bis jeder mich gründlich von Kopf bis Fuß angeschaut hat, blicke in die Runde und grüße: „Guten Morgen.“

      „Guten Morgen“, schallt es wie ein Echo zurück. Dann wieder Tuscheln und Roswita bemerkt: „Sie sehen heute besonders gut aus.“

      Ihre Nachbarn am Tischecarré nicken zustimmend. Ich lächel dankbar und schaue zu einem Jungentisch. Skeptisch frage ich Julio: „Wirklich? Hat sie recht?“

      Mit ernster Miene kommt die Antwort: „Na klar, warum ziehen Sie das nicht öfter an?“ Auch Julios Nachbar am Tisch nickt zustimmend.

      „Danke, ich werde mir das mal für die Zukunft überlegen“, erwidere ich und wende mich an den zustimmenden Nachbarn: „Na, wenn mir das gut steht, dann muss das den Schülern ja erst recht stehen? Das ist schließlich eine Uniform für Schüler und nicht für Lehrer, oder?“

      Etwas außer Fassung erklärt Brian auf Englisch: „Why not, it is a good choice for everybody.”

      „What an open minded attitude“, lobe ich ihn. Und Julio ergänzt seriös: „We belong to a new and different generation.”

      “Seems to be a promising generation”, beschließe ich den Dialog, um zum Vortrag überzuleiten. Ich befürchte, die Zeit für die Grammatik der Vergangenheitsformen könnte sonst zu kurz kommen. Und vorher steht ja noch meine Power-Point-Präsentation an.

      Abb. 04a/b: Ich beim Fachunterricht in Schuluniform

      Die ist ein zehnminütiger Ausflug in die Kulturgeschichte der Bekleidung. Im Mittelpunkt stehen die Beinkleider Rock und Hose. Ich beginne mit dem Rock als dem älteren Beinkleid und zeige Bilder u.a. von schottischen Soldaten und japanischen Samurai.

      Abb. 05a/b: Soldat aus Griechenland, schottische Soldaten im Ersten Weltkrieg

      Abb. 06a/b: Asiatische Soldaten heute und früher

      Von Anfang an will ich deutlich machen, dass Röcke nicht verweiblichen und auch nicht verweichlichen. Männer können als Soldaten auch im Rock den Feind brutal ermorden. Das hat die Geschichte tausendfach in West und Ost bewiesen. Viele taiwanische Ureinwohner, so wie die Paiwan aus der Provinz Pin Dong, pflegen ihre Rockkultur (siehe Abb. 09). Der Rock ist ihnen selbstverständlicher Bestandteil eines furchtlosen Stammeskriegers.

      Ich hoffe, das gibt den Kritikern zu denken. Das Vorurteil vom sogenannten Sissy-Boy ist zu kurz gedacht. Gemeint sind damit die Weicheier unter den Männern mit weibischen Verhaltensweisen. Solche Männer sind nach Meinung von Teilen der Bevölkerung latent homosexuell. Das disqualifiziert sie nach Ansicht nicht weniger Eltern als Lehrer. Das Unwissen und bisweilen die Ignoranz über die Kultur- und Modegeschichte der Geschlechter, das den Nährboden diskriminierender Vorurteile bereitet, ist enorm. Das weiß ich noch aus meinem eigenen Erziehungsumfeld als Kind. Als Rock tragender Lehrer an einer katholischen Privatschule falle ich schnell in diese Schublade. Ich muss darauf eingehen, wenn ich das Minenfeld überleben will, in das ich mich heute Morgen mit dem Umkleiden in die Schuluniform der Mädchen begeben habe.

      Aus diesem Grund zeige ich auch ein Foto von mir im Dienstkleid eines Beamten der letzten chinesischen Dynastie, die bis 1911 reichte. Meine Tochter hat es aufgenommen während eines Sonntagsausflugs in Kaohsiung. Von unserer Adresse aus kann man das Freilichtmuseum der historischen Fong-Yi-Akademie bequem mit der U-Bahn erreichen. Die Akademie diente der ersten Stufe der Beamtenausbildung in der Qing-Dynastie. Dort kann man die alte Arbeitskleidung anprobieren. Mit den aufwendig restaurierten Lehrgebäuden im Hintergrund ergeben sich so historische Szenen für ein Erinnerungsfoto. Das Foto zeigt mich vor der Holztür eines Schulgebäudes, bekleidet mit dem langen, seidig schimmernden Kleid und dem zugehörigen Hut eines Beamten im unteren Dienst.

      Abb. 07: Ich im Beamtenkleid der Qing-Dynastie

      Die Schüler sind nicht sehr überrascht. Grundsätzlich wussten sie, wie sie sagen, von der Beamtenkleidung im Alten China. Aber es ist, wie sie berichten, irgendwie nicht richtig drin im Kopf, oder es steckt verstaubt in einem toten Winkel des Gehirns. Es braucht ihr aktives Bemühen, das Wissen bewusst zu machen, denn es widerspricht ihren täglichen Erfahrungen, die sich ihnen als Gewohnheiten ins Hirn eingegraben haben. Ungefähr hundert Jahre Kulturgeschichte sind seit damals vergangen. Die kulturellen Prägungen und Konventionen haben sich drastisch verändert. Kaum zu glauben, dass es mal ein erstrebenswertes Privileg war, das Kleid zu tragen. Die Bekleidungsvorschriften von früher sind heute ein no go. Heute taugen sie nur noch zur Karnevalskostümierung. Ein bedeutendes Stück Kulturgeschichte des Männerrocks


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