Wer's glaubt wird selig. Thorsten ReichertЧитать онлайн книгу.
ist es der Sport, in dem dieser Glaube an sich selbst besonders gut abzulesen ist, besonders in Individualsportarten. Es gewinnt nicht immer der bessere Boxer, Tennisspieler oder Leichtathlet. Nicht selten hat derjenige, welcher durch den Glauben an die eigene Stärke die meisten Energien freisetzen kann, die Nase vorn. Und oft ist die im Wettkampf aufkeimende Erkenntnis „Heute kann ich ihn/sie schlagen!“ die Kraft, welche den Ausschlag zum Sieg gibt. Noch einmal sei das Beispiel der Profiradsportler angeführt, die am Ende einer unglaublich kräftezehrenden Etappe am letzten Berganstieg auf einmal Kräfte freisetzen können, von denen sie selbst kaum glaubten sie zu besitzen (vorausgesetzt diese Kräfte werden nicht wie so oft in der Vergangenheit durch Dopingsubstanzen geschaffen). Hat ein Fahrer in diesem Moment einmal den Glauben an sich gefunden, dann ist er nicht nur erfüllt von dieser Gewissheit, den Sieg schaffen zu können, dann ist er praktisch unbesiegbar. Dieser Glaube an sich selbst ist eine Kraft, die unwiderstehlich ist. Sie kann ungeahnte Reserven anzapfen, die allen Regeln der Wissenschaft zu widersprechen scheinen. Wer dies selbst einmal erlebt hat, für den wird es ein unvergessenes Erlebnis bleiben. Der Glaube an sich selbst ist letztlich nichts anderes als die zuvor bereits beschriebene Motivation, welche die klar unterlegenen Mädchen zum Sieg beim Kickerspiel getragen hat; nur, dass in dem Fall der Glaube an sich selbst von außen genährt wurde. In der Gemeinschaft vieler, die an einen glauben, fällt es leichter diese inneren Reserven anzuzapfen. Die Stärke herausragender Individualsportler ist es, diese Kraft in sich freizusetzen, ohne die Unterstützung vieler zu haben. Hier zeigt sich vor allem die mentale Stärke derer, die in Auswärtsbegegnungen oder als Underdog gegen die lautstarke Unterstützung des Gegners durch die Fans den Glauben an sich selbst entfachen können. Diese Sportler sind daher nicht zuletzt gute Vorbilder für andere, letztlich für uns alle, die wir so oft Schwierigkeiten haben, den Glauben an uns selbst zu finden und auf unsere Stärken zu vertrauen.
Nun ist aber Glaube im umfassenden Sinn nicht nur der Glaube und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sondern es ist ein Inbeziehungtreten. Glaube ist die unmittelbare Ausdrucksform eines Vertrauensverhältnisses. Ich glaube meinem Partner und glaube in seine/ihre Fähigkeiten, weil wir dieses intensive Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut haben. Der Glaube eines Kindes ist unerschütterlich, weil sein Vertrauensverhältnis zu seiner Mutter oder seinem Vater (noch) nicht erschüttert worden ist. Sind die Eltern in der Nähe, so ist nichts zu fürchten, keine Dunkelheit, keine fremden Menschen, keine andere Gefahr. Einem Kind muss man Liebe nicht beibringen, es wurde mit dieser selbstverständlichen Liebe zu seinen Eltern geboren. Glaube, Liebe, Vertrauen, sie beziehen sich voll und ganz auf die vertrauten Menschen, also bei einem kleinen Kind zuallererst auf die eigenen Eltern. Später, im Lauf des Lebens, lernt ein Mensch auch anderen und sich selbst zu trauen, jemandem Vertrauen zu schenken und andere Menschen zu lieben. Der Glaube an andere Menschen, an ihre Liebe, ihre Zuverlässigkeit, ihre Stärke oder ihre Kompetenz, er ist dabei immer an dieses Vertrauensverhältnis gebunden, an die Zuversicht, dass der Mensch, dem man vertraut, einen nicht enttäuschen wird.
Das Problem mit Gott
All das mag unmittelbar einleuchten, wenn es auf Menschen bezogen ist. Aber bezogen auf Gott, lässt sich das eins zu eins auf Gottesglaube übertragen? Gibt es eine Art Urvertrauen in jemanden oder etwas, das wir nicht kennen, nicht sehen oder hören können? Woher soll der Glaube an einen Gott kommen, der uns so fremd und verborgen scheint, den wir nur ahnen können oder aus Berichten anderer kennen, die ihm ebenfalls nie persönlich begegnet sind? Wer ist dieser Gott überhaupt?
Es ist wohl unmöglich diese Frage zu beantworten, ebenso wie es mühselig wäre die Antwort auf die Frage zu suchen, warum wir auf der Welt sind. Wer hat uns ins Leben gerufen? Welche Macht hat die Grundlagen dafür gelegt, dass auf diesem Planeten Leben möglich ist, dass sich aus winzigsten Einzellern komplexe Wesen entwickelt haben und, dass schließlich wir selbst in unserer Individualität entstanden sind? So gern wir Antworten wüssten auf diese existentiellen Fragen unseres Lebens, wir müssen uns damit anfreunden, dass gewisse Dinge einfach „sind“. Wir leben. Wir wurden geboren. Wir sind wer wir sind. Es ist einfacher dieses Leben zu meistern, wenn man diese grundlegenden Fakten als gegeben akzeptiert und nicht in allem nach dem Warum und Woher fragt. Gleiches gilt auch für Glaube, letztlich für Gott selbst. Niemand wird je Gott beweisen können, seine Existenz wissenschaftlich fundiert als sicher oder als unmöglich erklären können (alle, die es über die Jahrhunderte versucht haben, sind naheliegenderweise daran gescheitert). Zwar haben sich viele andere vermeintliche wissenschaftliche Gewissheiten lange gehalten bis sie widerlegt wurden – zum Beispiel die angebliche Tatsache, die Erde sei eine Scheibe – doch in den Fällen war es dem Menschen möglich, seinen Horizont so lange zu erweitern bis er eine neue Perspektive auf das Problem hatte und somit andere Schlüsse ziehen konnte. Spätestens mit dem Beginn der Raumfahrt war die Theorie der Erde als Scheibe nicht mehr haltbar, schließlich zeigte sich die Erde auf Bildern von Satelliten eindeutig als kugelförmig. Mit der Erweiterung des menschlichen Horizontes auf den Weltraum hat sich unser Weltbild grundsätzlich gewandelt. Damit wurde auch klar, dass Gott sich nicht direkt hinter dem Himmelsgewölbe versteckt und die Hölle oder das angebliche Fegefeuer nicht direkt unter uns lodert. Die nicht selten sehr konkreten geografischen Vorstellungen von Himmel und Hölle, von Gott, Engeln, ungeborenen und verstorbenen Seelen, sie mussten neu geformt werden und entwickelten sich damit mehr und mehr zu unkonkreten Vorstellungen, von Räumen, die nicht geografisch definierbar sind. Wir stellen uns heute den „Himmel“ nicht als den Ort über der Erdatmosphäre vor und glauben nicht, dass nach der Beerdigung eines Menschen sein Körper oder seine Seele hinabsteigt in das „Reich der Toten“. Himmel, Totenreich und diese Dinge sind für uns eher zu Metaphern geworden, zu Vorstellungen, die nicht konkret in Bilder oder gar in geografische Formen und Definitionen gefasst werden können. Ebenso nehmen unsere Vorstellungen von Gott nicht mehr die klassischen Formen an, wie man sie nicht zuletzt aus alten Gemälden kennt: Ein alter, grauer Mann thront auf goldenem Sessel zwischen den Wolken des Himmels, an seiner Seite kleine süße Engelein. Es hat fast zweitausend Jahre gebraucht, bis wir die letzten patriarchalen Vorstellungen von Gott in Frage gestellt haben, nicht zuletzt vielleicht, weil es ein urmenschliches Bedürfnis ist, sich Gott oder die Götter, an die man glaubt, mit konkreten Vorstellungen zu verbinden. Es ist einfacher mit jemandem zu telefonieren, dessen Bild einem vertraut ist. Es ist leichter jemanden zu lieben, der uns auch in körperlicher Gestalt bekannt und lieb ist. Praktisch keine Religion kam daher im Lauf ihrer Geschichte ganz ohne konkrete visuelle Verkörperungen ihrer Gottesvorstellungen aus, sei es die Göttervielfalt antiker Religionen oder das männlich geprägte Gottesbild des Christentums der letzten zwei Jahrtausende. Dabei war zumindest im Christentum immer klar, dass dieses Gottesbild nur ein allzu menschlicher Versuch ist, sich in Gott ein visuelles Gegenüber zu schaffen. Niemand würde ernsthaft glauben, dass Gott tatsächlich wie ein alter Mann aussehen könnte, selbst wenn man die biblische Aussage wahrnähme, er hätte den Menschen „zu seinem Bilde“ geschaffen. Daher war es letztlich immer klar, dass jede christliche Gottesvorstellung nur ein Hilfskonstrukt war, um sich Gott in Gedanken und Gebeten als konkretes Gegenüber vorzustellen. Dennoch hat sich dieses Konstrukt im Lauf der Jahrhunderte so stark konkretisiert, dass bis zum heutigen Tag unsere Vorstellung von Gott dadurch geprägt ist. So verbinden wir mit dem Wort „Gott“ nicht unbedingt Adjektive wie lustig, sexy, frivol, gemütlich, heiter, unpässlich oder fies, dagegen kommen uns Worte wie allmächtig, allwissend, herrschend oder ernst sofort in den Sinn. Auf welcher Grundlage verbinden wir gerade diese Eigenschaften mit Gott und nicht die zuvor genannten oder ganz andere? Sicherlich, die Bibel hat uns eine Grundlage gegeben, auf der unsere Gottesvorstellungen aufbauen können. Eigenschaften wie allmächtig oder gerecht gehen auf konkrete Aussagen der Bibel zurück. Aber alle biblischen Berichte sind von Menschenhand verfasst und beinhalten Erlebnisse, die von Menschen gemacht und weitergesagt wurden. Jede Gottesvorstellung der Bibel ist ganz und gar geprägt von menschlicher Erfahrung. Diese Erfahrungen wurden über Generationen mündlich weitererzählt und schließlich aufgeschrieben. Das geschah in einer Zeit und Kultur, die stark von patriarchalen Strukturen geprägt war. Dass Gott daher eher maskuline Attribute zugeordnet wurden, ist leicht nachvollziehbar. Die Bibel zeigt ihn meist als potenten Führer, als allwissend und allmächtig, als gerecht im Sinne klarer Regeln und stringenter Strafverfolgung: Hat sich jemand den Regeln und Vorschriften Gottes widersetzt, so muss er die Konsequenzen ertragen. Das geht von Krankheit über Leiden bis vom-Feind-besiegt-werden