Ich und der Fisch, der Fisch und ich. Dorothea Doris TangelЧитать онлайн книгу.
Meine Familie hatte offiziell nicht viel mit Kunst zu tun und wir waren nie auf Konzerte oder Ausstellungen gewesen, eine mir fremde Welt, obwohl mein Vater sehr musikalisch war, Akkordeon spielte und eine wohlklingende, angenehme und warme Stimme hatte.
Aber als er nur noch spielte wenn er besoffen war, konnten wir es alle nicht mehr ertragen. Er hörte auf damit als ich noch sehr jung war und verkniff sich so anscheinend einen so großen sinnlichen Teil von sich, dass es keinen Raum mehr für ihn gab und er immer unleidlicher wurde. Bis der eigentlich sensible Mann (ein einfühlsamer Krebs), bald nicht mehr zu erkennen war.
Vielleicht ging es ihm wie mir, dass durch das Musikmachen eine so große Leidenschaft in ihm entfacht wurde, dass die Sehnsucht, nach etwas „das ich nicht zu nennen weiß“ einfach nicht auszuhalten war. Man ließ also lieber ganz die Finger davon. Es war zu übermächtig. Da war so viel was gelebt werden wollte und so unerfüllbar war. So aussichtslos!
Wie macht man das, wenn man so weit weg ist von allem? Wir wussten es alle nicht wie man mit seinen Leidenschaften umgeht, auf gesunde Art und Weise. Wir dachten man muss immer Stark sein. Schwäche ist was Schlechtes. Aber man sagte auch: „ich habe eine Schwäche für etwas…“ und das klingt eigentlich ganz zärtlich!
Da ihm dieser euphorische Zustand unheimlich war, drückte er ihn dann lieber weg indem er jeden Morgen schon ab 4 Uhr früh so viel Bier und Schnaps draufschüttete bis man es nicht mehr sehen konnte, sein anderes Ich. Aber hören tat man dann doch was. War er das wirklich oder ein böser Geist der von ihm Besitz ergriffen hatte, als er Mal nicht anwesend gewesen war?
Keiner von uns konnte seine Gefühle beherrschen und wurden sie geweckt, liefen sie doch nur aus dem Ruder, bis es wieder zu unschönen Streits und Gewaltausbrüchen kam. Ich hatte zwar kein Bedürfnis andere zu schlagen, aber ich zerstörte auch, wenn auch nur mich selbst.
Wie findet man das was einem so sehr zu fehlen scheint dass man leidet wie ein Hund und es vorzieht als alles mögliche zu leben nur nicht als sich selbst und wie macht man das, wenn da etwas ist, von dem man nicht weiß wie man es auf natürliche Weise leben kann? Was war nur mit uns los? Wieso fanden wir keine Erfüllung im Leben, weshalb gönnten wir uns das Glücklich sein nicht und warum konnten wir nie satt werden? Wir nahmen alle definitiv die falsche Nahrung zu uns, aber keiner wusste was für ihn ganz persönlich die richtige war, oder stand dazu!
Nur Mutter fand, als sie reifer wurde heraus dass sie die politische Arbeit brauchte und berichtete mir stolz von ihren Kämpfen an der Startbahn West, wo sie als Krankenschwester ein Mittel gegen die Wasserwerfer und Rauchbomben in ihrer Handtasche mitführte, um den jungen Leuten zu helfen wenn ihnen die Augen brannten. Noch heute schaue ich, wenn es Berichte darüber im Fernsehen gibt ob sie nicht dazwischen zu sehen ist. Sie hatte es geliebt für ihre Ideale in den Krieg gegen die Obrigkeit zu ziehen. Sie brauchte keinen Alkohol, sie brauchte die Auseinandersetzung und den Kampf für die Gerechtigkeit. Das befriedigte sie enorm und gab ihr Sinn.
Meine Seele brauchte also auch Nahrung, nicht nur mein Körper! Mein Leben war einfach sinnlos ohne Kunst. Auch wenn ich lange nur mit Leuten zu tun hatte, für die das keine Bedeutung hatte, so bedeutete es doch pures Leben für mich. Lebenskraft, Lebensfreude und Lebenszufriedenheit. Daraus konnte ich schon immer Energie schöpfen, wie Sprit für ein Auto. Nach einem Auftritt fiel mir oft auf wie friedlich es in mir war und wie sehr ich alle Leute lieben konnte wenn wir danach noch mit den anderen Bands vom Festival und ein paar Fans essen gingen. Ich saß dann dazwischen, beobachtete die Leute und war einfach nur glücklich, so ganz still und erfüllt, tief in mir drin. Ich hatte mich ausgepowert und es hatte auch andere mitreißen und uns allen Freude bringen können.
Durch die Kunstabstinenz war mein Selbstwertgefühl im Keller und ich tat alles idiotische, nur um nicht daran denken zu müssen, aber ich wurde dadurch auch immer weniger. Ich brauchte etwas ganz anderes als all die anderen mit denen ich täglich zu tun hatte. So war es nun einmal und ich wollte einfach nicht wahrhaben dass ich nur hier war, um zu sein der ich bin und sonst Niemand!
Wo ein Körper ist, kann nun einmal kein anderer sein! Sonst zerbricht man in 2 Teile und wird seines Lebens nicht mehr froh! Das ist vielleicht das einzige was wir unseren Kindern wirklich mitgeben können um lebenstüchtig zu sein, dass wir sie fördern ihre eigene Art zu erkennen, auszuleben, um sie später selber weiterentwickeln und um sich einbringen zu können. Man will doch dabei sein, dazu gehören und etwas gut können können…
Nach ein paar Jahren Kunstentzug fehlte mir das Malen so entsetzlich, dass ich begann davon zu träumen. Ich hatte mir selbst eine Zwangspause verordnet, in der ich mit aller Kunst konsequent aufgehört hatte weil alles aus dem Ruder gelaufen war. Ich hoffte, wenn ich, im Außen wie die anderen bin dass ich dann auch innen normal würde, normal fühlte und normal leben könnte.
Aber ich erbte dadurch nur die Schattenseite der Angepasstheit, nämlich die Produkte der Selbstunterdrückung und Selbstverleugnung. Meine Wut nahm ungeahnte Ausmaße an und richtete sich gegen mich, da ich schon immer ungern anderen wehtun wollte. Ich kannte den körperlichen und seelischen Schmerz den andere einem zufügen können zur Genüge. Also versuchte ich mir wehzutun um es nicht mehr spüren zu müssen.
Ich gab auch anderen immer die Schuld für alles und sah lange nicht dass ich so nicht weiterkam. Ich musste mich selbst ins Rad stemmen und mich aus meinem selbstgeschaufelten Grab herausholen und ich musste vergeben lernen, um loslassen zu können.
Ich musste etwas wollen, eine Richtung finden. Wo wollte ich eigentlich hin? Ich hatte nur Negativsätze, wie: das und das will ich nicht mehr, und das soll aufhören und das soll sofort weggehen. Aber ich hatte keine positive Wegweisung, wohin mein Lebensschiff steuern sollte. Ich trieb im offenen Meer, immer im Kreis und keiner hisste die Segel, um das Land der Verheißung zu finden. Ich wollte auch immer nur weg, von hier, von jetzt, von manchen Leuten die mir Angst machten, aber ich saß dann danach nur wieder alleine herum und mir fehlte „die tägliche Ansprache“, wie mein einsamer Vater im Alter immer zu mir sagte.
Ich brauchte etwas um die Lücke, die Leere füllen zu können die entsteht wenn man etwas verändert, sonst wurde ich immer wieder rückfällig. Ich hatte keine andere Welt als diese. Aber ich brauchte etwas anderes im Leben. Ich brauchte ein neues Leben.
Meine Aggressionen wollten auch raus und dadurch dass ich mir meine Wut nicht erlaubte, man muss ja immer höflich sein wurden meine Gedanken immer gewalttätiger. Ich wollte mich auslöschen, bis ich nur noch ans Sterben dachte. Ich entwickelte eine richtige Todessehnsucht und wollte mich ständig töten. Alles war schöner als das hier. Wenn es nur endlich vorbei wäre. Ohne es zu merken war ich lieber bereit eine Mörderin zu werden, auch wenn es nur mein eigener selbstbegangener Tod war, als endlich zu mir zu stehen.
Energien sind da und sie können transformiert (umgewandelt) und genutzt werden, aber sie gehen nicht weg nur weil ich sie nicht wahrhaben will. Meine Energie kam schließlich auch irgendwo her und wollte irgendwohin, aber ich stoppte mich die ganze Zeit ab und bremste mich aus bis ich implodierte und auch vor einem Mord nicht mehr zurückschreckte.
Ob das auch anders geht? Wie geht Leben überhaupt und kann man es lernen wie ein Instrument oder eine Sprache? Warum eigentlich nicht? Kann man das Dunkle wieder in etwas Helles verwandeln? Alles ist möglich, auch das Gute! Ich glaubte nur an das Schlechte und erlebte alles nur durch eine Negativschablone.
Sogar wenn ich die gleiche Situation mit einigen Freundinnen erlebte, ging es mir danach schlecht, denen aber nicht. Was war mit mir los? Warum wurde bei mir alles zu einem Horrortrip? Sogar scheinbar Harmloses löste bei mir Zustände aus, die ich nicht mehr in den Griff kriegen konnte. Was schleppte ich da mit mir herum das so stark war dass es alles schwarz färbte und wie kriegt man den Scheiß wieder los?
Kapitel 4
Die Träume vom Malen kamen bald immer öfter und schienen mich zu rufen oder etwas in mir schien sie zu rufen. Ich wachte dann jedesmal heulend auf, weil es mir das Malen und Musikmachen sogar im Traum so viel Liebe und Geborgenheit geben konnte dass es wehtat. Ich vermisste es so schmerzlich wie man ein Kind vermisst,