Kolosseum des Lebens. C. L. LarueЧитать онлайн книгу.
Und er stellte sich wieder einmal die Frage, machte es überhaupt Sinn darüber nachzudenken? Machte es Sinn, sich die große Frage zu stellen, wie konnte es soweit kommen?
Woran lag es, sich statt seinen Zielen zu nähern oder sie gar zu erreichen, eben genau das Gegenteil bewirkt zu haben? Machte es Sinn das Risiko einzugehen vielleicht doch zu erkennen, dass er zu schwach für dieses Leben war oder gar psychisch zu labil, um die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen? Wäre es vielleicht nicht doch besser gewesen sich jetzt, an dieser Gabelung seines beschissenen Lebens ohne Gegenwehr weiter treiben zu lassen, sich seinem vermeintlichen Schicksal zu beugen und nichts mehr zu hinterfragen, es hinzunehmen so wie es nun mal war und still auf das unausweichliche zu warten?
Oder lag es an den Äußeren, nicht beeinflussbaren Umständen die ihn an diesen Scheidepunkt brachten, an die Weggabelung vor der er jetzt mit gerade mal 57 Jahren stand? Alles nur eine Vermutung oder gar Ausreden, womöglich doch eine Erkenntnis, dass wir unser Leben nicht oder nur zu einem verschwindend kleinen Teil selbst lenken können? Die Aussage, „es gibt keine Zufälle“, nicht mystischer Natur, sondern mehr die logische Konsequenz dessen war, was uns im Leben mitgegeben wurde und daraus resultierend, Entscheidungen immer eine Wirkung hatten, die oft kurzzeitig aber auch viele Jahre auf sich warten ließ, so dass man nicht mehr in der Lage war, gegebenen Falls korrigierend einzugreifen?
Fragen über Fragen, die seine Gedankenwelt füllten, kaum noch Raum lassend für anderes, für schönes, für liebenswertes. Was würde sein, wenn die letzte Bastion gefallen war, der letzte Faden gerissen und auch seine „Mädchen“ von dieser Welt gegangen sind? Reichte die verbliebene Kraft überhaupt noch aus darauf zu warten? Reichte die Kraft danach weiter zu gehen durch diesen Lebens-Dschungel, sich erneut den unerträglichen Schmerz geliebte Wesen gehen zu sehen, aus?
Es würde wohl seine letzte tragende Entscheidung sein, die unaufhörlich näher zu rücken schien und um letztlich doch noch ein wenig Klarheit zu schaffen, keinen Aufschub mehr duldete. Die Entscheidung über Kampf oder Resignation, die Entscheidung endlich zu verstehen, was ihn an diesen Punkt brachte.
Wie also unschwer zu vermuten ist, war sein Lebensweg einer, den man nicht gerade als erstrebenswert erachten möchte. Vielmehr war es ein steiniger und beschwerlicher Weg, der kein Ende absehen ließ. Er stützte diesen Gedanken nicht nur auf Äußerlichkeiten, vielmehr auf das, was ihn letztlich als Individuum ausmachte, sein Seelenleben, das was er fühlte, tief im Inneren. Zum wievielten male schon stellte er sich die Frage, gab es das überhaupt noch, Seelenleben?
War er im Grunde schon lange tot oder bestand Hoffnung und es lichtete sich doch noch einmal der Nebel und das Ende des Weges würde in fahlem Licht am Horizont erscheinen? Dennoch, trotz seiner gefühlten Hoffnungslosigkeit, irgendetwas trieb ihn voran, irgendetwas ließ ihn vermuten, dass es womöglich doch ein wichtiger Abschnitt sein könnte, all seine Gedanken aufzuschreiben. Selbst wenn es letztlich nur für ihn alleine von Bedeutung sein mochte. Die Hoffnung endlich zu verstehen, hinter die Kulissen zu schauen , die Zusammenhänge greifbarer zu machen schien diese Mühe, die Qual der Erinnerungen Wert zu sein. Gab es vielleicht im letzten Moment doch noch einen tieferen Sinn zu erkennen und das letzte Quäntchen Lebenskraft das in ihm gerade noch glimmte, würde womöglich noch einmal neue Nahrung finden? War ein weiterer Strohhalm in Sicht, der leise, kaum hörbare Aufschrei, hoffend auf einen neuen Weg? War die Kraft ausreichend und greifbar, den großen Schritt zu wagen sich seiner Vergangenheit zu stellen, auf der Suche nach dem Warum?
Die Weichen seines doch wohl eher nichtalltäglichen oder vielleicht sogar außergewöhnlichen Lebens, wurden nicht erst im Augenblick der Geburt, sondern mit den pränatalen Ereignissen die sein Leben bestimmen sollten, gestellt. Ihm ging durch den Sinn, dass er womöglich der erste Adrenalin Junkie aller Zeiten gewesen sein musste oder zumindest der jüngste, wohl durch Adrenalin geschädigte.
Ein wahrhaft makabrer Gedanke und er entdeckte den leichten Ansatz eines Lächelns auf seinen Lippen. Was diese Form des Sarkasmus bei ihm zu Tage förderte, der sich immer mal wieder an die Oberfläche drängte, waren Ereignisse die 1957 seine Mutter ereilten. Der Tod ihres Vaters und ebenso der unverhoffte Tod der jüngeren Schwester, während sie mit ihm im 6. Monat schwanger war, ließ unzweifelhaft vermuten, dass sie permanentem Dauerstress, Seelenqualen und unerträglichem Leid ausgesetzt war und ihn somit ungewollt buchstäblich im Adrenalin baden ließ.
Im Bauch seiner Mutter dümpelnd, gleich einem Wurm im Einmachglas gefüllt mit Alkohol zur Konservierung, hielt er trotz aller Widrigkeiten weitere drei Monate unerschütterlich durch, bis er schließlich im Dezember 1957 das Licht der Welt erblickte. Nichts ließ vermuten, dass dies der Anfang eines nicht enden wollenden Martyriums werden sollte, denn alles schien in bester Ordnung. Ein kleines Bündel Mensch, gesund und kräftig bereit für das große Abenteuer Leben, hinein geboren in eine kleine Familie, die bereits mit drei Kindern „gesegnet“ war. Und doch, so könnte man vermuten, waren sowohl die Mutter wie auch alle weiteren Anwesenden nicht wirklich auf seine Geburt vorbereitet. So schien es zumindest aus heutiger Sicht, denn niemand konnte auf die Frage des Hausarztes nach einem Namen für dieses Würmchen, wirklich eine Antwort geben. Welch denkwürdige Situation, die im Grunde tief blicken ließ, dachte er. War diese Tatsache denn nicht schon ein Hinweis darauf, dass diese Schwangerschaft kein freudiges Ereignis, sondern eher das Ergebnis eines „Unfalls“ darstellte und die Geburt letztlich nur dem Umstand zu verdanken war, dass zu jener Zeit eine Abtreibung in diesem gesellschaftlichen Umfeld keine Option darstellte? Schließlich war seine Mutter bereits 37 Jahre alt und zu jener Zeit wohl eher eine spätgebärende. Nun wie auch immer, wofür hatte man einen Landarzt zur Stelle, der kurzerhand dieses Manko aus der Welt schaffte. Klaus sollte er heißen, schließlich war der sechste Dezember und somit Nikolaustag.
Sein Schicksal war besiegelt, zumindest was den Namen betraf und um all dem noch eins draufzusetzen, regte sich bei Vater und Mutter ein Hauch von Kreativität. Also dichtete man dem Namen schnell noch zwei weitere hinzu. Klaus Rudolf Johann, … na wenn dies kein Name war! Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, der Kleine hatte seinen Stempel, Großvater und Patenonkel waren namentlich in der nächsten Generation verewigt und somit war jedem Genüge getan.
Die ersten zwei Jahre verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle, wenn man davon absah, dass seine Schwester Ursula, sie war die Älteste seiner Geschwister, bereits schon 16 Jahre und „flügge“, den Kleinen des Öfteren aufgedrückt bekam, besonders wenn sie sich mit einem Bewerber um ihre Gunst buhlend, treffen wollte. Und so kam es wohl auch hin und wieder vor, dass sie auf der Straße darauf angesprochen wurde, ob sie selbst schon die Mutter dieses kleinen Schreihalses sei, was sie wiederum sehr empörte. Immerhin schien diese Situation derart prägend für sie gewesen zu sein, dass sie selbst noch nach 50 Jahren immer wieder und bei jeder scheinbar passenden Gelegenheit dies zur Sprache bringen sollte.
Die eigenen Erinnerungen an seine früheste Kindheit begannen etwa im Alter von drei Jahren, denn in diesem Alter wurden unfreiwillig die ersten wirklich entscheidenden Weichen für sein zukünftiges Leben gestellt.
1960; ein Jahr das in den schemenhaften Erinnerungen mit unsäglichen Schmerzen verknüpft war. Es gab nicht viele Erinnerungen, doch sie sollten bis zum heutigen Tag spürbar bleiben. Und so waren immer wieder Momente der Hypersensibilität in Bezug auf schmerzhafte Geschehnisse, sein ständiger Begleiter. Alles begann in jener Zeit damit, dass seine Mutter eines Nachts aus ihrem erholsamen Schlummer gerissen wurde. (Ja, ja... er war schon ein Quälgeist, könnte man vermuten).
Das Weinen und Jammern konnte ja nur eine feuchte Windel sein und so machte sie sich daran, besagte Windel zu wechseln. Weit zu gehen hatte sie nicht, denn das Kinderbett stand im Schlafzimmer der Eltern direkt am Fußende des Bettes und für schnelle Ruhe musste gesorgt werden, so dass Vater weiterschlafen konnte. Immerhin musste er sehr früh aufstehen, um zur Arbeit zu fahren. Gesagt getan, und nach schneller Überprüfung war die Verwunderung seiner Mutter scheinbar groß, denn der Stofffetzen, genannt Windel, war trocken und sauber so dass man sie hätte als Platzdeckchen benutzen können. Dennoch stellte sich keine Ruhe ein und aus dem Wimmern und Jammern wurde ein Weinen und Schreien. Tja, da stimmte doch was nicht und sogleich stellte sich eine gewisse Unruhe ein, die letztlich zu dem Schluss führen sollte, womöglich doch Rat bei einem Arzt zu suchen. So wurde also sein Namensgeber gerufen.
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