Notizen vor Tagesanbruch. Sergio VeselyЧитать онлайн книгу.
noch der Faschismus
weder die Millionen
eines arabischen Monarchen
noch der Generalstab
einer südamerikanischen Armee
weder der Warschauer Pakt
noch die islamische Inquisition
weder die Unterentwicklung
noch die Moon-Sekte
weder die Glacé-Handschuh-Diplomaten
noch die Central Intelligence Agency
weder die Parteifunktionäre
noch die systematische Folter
weder die Präpotenz des Weißen Mannes
noch die schmutzigen Geschäfte
des Vatikans
weder die zionistischen Besatzer
noch die palästinensischen Raketenwerfer
weder die Drogendealer
noch der Rassismus
weder die Todesstrafe
noch sonst irgendeines
der Übel des 20. Jahrhunderts
hat größeren Schaden angerichtet als
die Gleichgültigkeit
des kleinen Mannes auf der Straße.
Exekution
Drei Kugeln trafen ihn.
Die eine vom Schlächter.
Die zweite vom Vergessen.
Die dritte vom Schweigen.
Epitaph für einen Freund
Der Tag ist voller Liebe
offen wie ein Kuss.
Der Tag verstreicht und stirbt
offen wie ein Kuss.
Ein Mensch zeigt sein Gesicht und fällt
offen wie ein Kuss.
Die Erde fängt ihn im Tode auf.
Es gibt andere
die so wie er
aufbegehren werden.
Die Vögel liefern sich nicht aus
Niemals wird man
den Vogel finden
der freiwillig den Himmel aufgibt
und sich ungeschützt
auf einem Zweig nieder lässt
und dem Jäger die befiederte Brust darbietet
und ihn anlächelt
während dieser sein Herz anvisiert
und ihn mit einem Schuss zerfetzt.
Ich verhöre den Zement
Woher hast Du die traurige Eingebung
dem Schatten zu dienen?
Woher nimmst Du das Recht
eine Grenze zu sein?
Woher kam eigentlich damals, als Kind
Dein Wunsch, später eine Mauer zu sein?
Welche Meinung hast Du von dem Wind?
Was weißt Du über das Meer?
Wie konntest Du das Licht ersticken?
Warum hast Du Dich
an die Gefangenschaft verkauft?
Wann wird
Dein verhängnisvolles Bündnis enden
mit den Gittern, mit den Riegeln
mit den Uniformen?
Die Gefängnisse
Ein Ende ohne Erklärungen.
Ein Tod ohne Glocken.
Eine Missgeburt von Gitterstäben
eine gallerthafte, gewaltige Masse
die schmatzend Zungen und Hände zerkaut.
Ein Schoß aus Mauern, unaufhörlich
neue gebärend, ein Heer von
uniformierten Kellerasseln
Handschellen streichelnd
eine Legion spinnenäugiger Wächter.
In die Keller der Gefängnisse
steigt der Tod an Speichelfäden herab
schwachsinnig blökend
die ignorante Kreatur
der Schlüsselträger, zuschlagend, torkelnd
wohin er eben trifft. Hier ist
sogar der Tod zugrunde gegangen
ein Domestik, nichts weiter
brabbelnd nach Nahrung verlangend
verständnislos grinsend, wenn Shakespeare
sich vor Ekel übergibt oder die aufrechten
Spanier auf seine Mutter fluchen.
Die Gitterstäbe besudeln sein Werk.
Sie ordnen den Horizont
in beengende Felder.
Bruder Hein küsst unterdessen
die Stiefel der Militärs und dreht sich
vor dem Spiegel im Soldatenkleid.
Hier ist der Tod kein Freund.
Er hat Anstand und Würde verloren.
Mit ihm ist schon seit langem
nichts mehr los.
Er ist seit langem das verwahrloste
maßlos blöde Instrument der Herren.
Und trotzdem behaupte ich
dass irgendwo im Hintergrund
unbemerkt von den pathetischen
Regenströmen der Welt
eine Schar von Malern heranwächst
die im Geheimen ihre Paletten schärft
und zur verabredeten Stunde
die Mauern stürmen wird.
Diese bescheidenen Farbmischer der Zukunft
werden durch die Gefängnisse rennen
und Zelle um Zelle
in das Rot der Scheiterhaufen tauchen.
Was kann ich tun, um Dir ein Bild zu zeichnen
(Lied, geschrieben im Gefängnis von Valparaiso)
Was kann ich tun
um Dir ein Bild zu zeichnen
von diesem leblosen Gebilde
aus Stahl und Zement
von diesen kalten und endlosen Nächten
von diesen verzweifelten Schreien
die meinen Schlaf unterbrechen
von dieser verdorrten Landschaft der Liebe
in der ich dieses Lied für Dich schreibe.
Was kann ich tun
um Dir ein Bild zu zeichnen
von meinem absurden Vertrauen
noch immer in Deine Welt zu gehören
von den Stunden die ich einsam verbringe
um an dem endlosen Rade zu drehen