Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1. Dr. Phil. Monika EichenauerЧитать онлайн книгу.
– sollten BND-Mitarbeiter über die Pressefreiheit aufgeklärt werden. (WR, 27. Mai 2006)
BND-Chef Uhrlau entschuldigte sich für die Bespitzelungen. Das ist doch wirklich anständig, oder? Oder ist diese Form der Entschuldigung bzw. Entschuldigungsformel gar kein Anstand, sondern eher das Gegenteil, eine Frechheit und Unverfrorenheit?
Andererseits: Wenn Kinder sich auf dem Weg zur Schule beim Buskontrolleur dafür entschuldigen, dass sie ihr Schoko-Ticket zu Hause haben liegen lassen, dann wird diese Entschuldigung in der Regel von den Beamten im Öffentlichen Dienst nicht angenommen und sie erhalten ein offizielles Anschreiben mit der Aufforderung, 50 Euro zu bezahlen − obwohl der Beamte ruckzuck nachprüfen könnte, ob das Kind im Besitz eines Jahrestickets ist. Und benötigt der Bus aufgrund von Baustellen eine halbe Stunde länger zur Schule, unterstellt der Lehrer den Kindern Lügen … und sie bekommen einen Eintrag ins Klassenbuch – auch wenn sie sich für die Verspätung entschuldigt haben. Man gewinnt den Eindruck, als sollten die kleinen Bürger, Recht und Ordnung im Staate ethisch und moralisch auf hohem Niveau einhalten. Sie werden wie Erwachsene zur Rechenschaft gezogen.
„Oben“ zelebriert man „Entschuldigungszeremonien“ auf Kindergartenniveau.
Die Kontrolleure, also die selbst durch den Staat Kontrollierten, die „nur ihren Dienst nach Vorschrift“ machen, sollten reflektieren, warum sie wie handeln. Denn es darf nicht blind und undifferenziert nach Unten durchregiert werden. Will man jegliche Wertedebatte ad absurdum führen, muss man auf diesem Pfad nur weiter wandeln und handeln, wie es in der Vergangenheit schon zu oft passiert ist. Blinder Glauben und Gehorsam kann in Deutschland nicht mehr erklärtes politisches Ziel sein. Die Verkehrungen sind aufzudecken: Die Großen sollten sich erstmal ethisch-moralisch einwandfrei verhalten. Dann muss man Kinder in Deutschland nicht undifferenziert in dieser Form bürokratisch-staatlich erziehen und könnte stattdessen auch mal Entschuldigungen von Kindern annehmen. Aber das Vergessen von Schoko-Tickets ist natürlich eine gute Einnahmequelle für die Städte – da kann dann schon mal das Mitgefühl mit den Kleinen baden gehen.
Es ist schrecklich, als junger Mensch in einer Welt zu leben, in der es keine Ausnahmen, kein Mitgefühl noch Verständnis, sondern nur Gesetze gibt … Und was glauben Sie, wie diese Kinder als Erwachsene sein werden?
Öffentliche Entschuldigungen aus Politik und Wirtschaft, wie die oben zitierte, sollen wohl – pars pro toto – den guten und hehren Charakter Deutschlands unterstreichen: Hier passiert nichts Unrechtes, und wenn doch, dann wird es aufgedeckt. Man versucht den Eindruck in der Bevölkerung zu vermitteln, man hätte es mit wohlerzogenen oder zumindest erzogenen Menschen zu tun, die in der Lage sind, zwischen Recht und Unrecht zu differenzieren. Doch für eine Entschuldigung auf diesem Niveau braucht man kein Herz, keine beruflichen Fähigkeiten und kein Verantwortungsbewusstsein, also auch keine Einsicht in die weit reichenden Konsequenzen eines solchen Verhaltens.
Wer aber zu reflektiertem, moralisch-ethischen Verhalten auf hohem Niveau nicht in der Lage ist, sollte im Interesse aller Bürger nicht in solchen Positionen sitzen. Wenn die Mitarbeiter des BND erst über die Pressefreiheit und ihre Bedeutung aufgeklärt werden müssen und dies öffentlich als Grund für die Verfehlungen angegeben wird, dann ist ebenso öffentlich zu fragen, auf welchem moralisch-ethischen Stand und Wissensstand über das menschliche Wesen unsere Politiker und Unternehmer verfügen, gemäß dem sie handeln.
Davon auszugehen, die „braven“ Bürger bekämen schon den Eindruck, sie, die Obermenschen, seien anständig, schließlich entschuldigen sie sich wie wohlerzogene Sängerknaben, ist als solche schon eine moralisch-ethische Frechheit. Ob dieser Skandal Folgen haben wird, bleibt abzuwarten. Denn wie immer, wenn ein Skandal öffentlich wird, flaut das Spektakel schnell wieder ab, und die Öffentlichkeit hört kaum etwas davon, ob und wie die Verantwortlichen vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden. Hauptsache, die dunklen Wolken verziehen sich und dann lässt man die Sonne wieder scheinen. Aber die Sonne in der Kultur scheint zunehmend weniger hell, weil aus allen Winkeln im eigenen Land, wie aus aller Welt, Hiobsbotschaften kriechen, die sich wie dunkle Wolken über ihr Licht legen.
Nun, im Herbst 2008, weiß man, das Fehlverhalten von Oben wieder zu gesetzlichen Lasten der braven Bürger Unten gehen wird. Wie aktuell an der Bankenpleite in den USA zu verfolgen, werden Manager (bis jetzt) persönlich nicht haftbar gemacht. Schicksale von Millionen Menschen bleiben hinsichtlich der Auswirkungen dieser Misswirtschaft ungewiss. Zusätzlich wird nicht mitgeteilt, dass es Banken gibt, die weit über die üblichen 20.000 Euro pro Person Einlagensicherungsfonds bieten. Bei der ING-DiBa-Bank beläuft sich der Einlagensicherungsfond auf 1,23 Milliarden pro Person! Eine Mitarbeiterin teilte mit, diese Bank „beteilige sich nur an sicheren Geschäften und auch nicht an Finanzgeschäften in den USA.“ (Nachfrage ING-DiBa 1.10.2008 u. schriftlich persönliche Mitteilung 6.10.2008) Diese Mitteilung über das Geschäftsgebaren einer deutschen Bank beruhigt, macht Mut und revidiert zugleich den Eindruck, alle Banken, Manager oder Kapitalisten handelten gleich im selben Spielraum der Finanz- und Wirtschaftswelt! Aber, ob dieser Einlagensicherungsfond auch für Zeiten gilt, in denen Banken rundherum wegbrechen, möchte wohl niemand wirklich durch Erfahrung prüfen. Insofern wird die Welt und Existenz gerade auf tönernen Füßen durch den Glauben der Menschen gebaut, denen man sagt, das Geld sei gesichert und sie sollten es auf der Bank lassen und nicht abheben. Zu Recht fragen sich Bürger, woher denn Angela Merkel und Peer Steinbrück 106 Milliarden Euro zur Sicherung der Spareinlagen, Festgelder und Girokonten im Ernstfall nehmen wollen. Selbst wenn es da sein sollte, was fällt dann im Gegenzug an Sozialleistungen flach?
Im Zusammenhang mit dieser Bankenpleite kommentiert und versichert Peer Steinbrück, dass die Bankenpleiten in den USA zu einem rauen Klima im Arbeitsmarkt führen werden. Oder sind die amerikanischen Bankenpleiten willkommener Anlass, Schuld für weiteren ökonomischen Abstieg der Bürger in Deutschland endlich woanders hin verschieben zu können?
Der BND kann schamlos durchkontrollieren: besonders aber die Journalisten.
Warum werden nicht zur Abwechslung mal Manager und Bankenmanager offiziell in ihrer Tätigkeit kontrolliert? Bereits 1962 urteilte Haffner damalig bezüglich der beabsichtigten Einschränkung journalistischer Tätigkeit und Meinungsfreiheit im Falle einer entsprechenden Umsetzungsbestrebung durch Strauss: „Adieu, Demokratie!“ Letztendlich wurde Strauss verabschiedet. Aber was sagt man 2008? Nun fasst man nebenbei auch die Steuerhinterzieher wie Zumwinkel als quasi Abfallprodukt dieser BND-Tätigkeit? Das erscheint doch viele Schritte zu spät, wenn es unter dem Blickwinkel, Menschen in ihrem konkreten Leben vor Schäden bewahren zu wollen, begreift. Natürlich hat es enorme Vorteile, wenn erst dann Kontrollen durchgeführt werden, wenn die Geschäfte abgeschlossen und Gewinne unter Dach und Fach sind: Dann kassiert der Staat. Würden Kontrollen früher eingesetzt, könnte der Mensch, der Bürger profitieren, indem er finanziell keine Verluste zu verkraften hätte, die von Oben verursacht werden.
Der Keese’sche Capitalism
Ich gehe dem Keese’schen Gedanken – Kapitalismus sei etwas völlig anderes als Capitalism und nicht schlecht, sondern gut – noch etwas nach: Da, wo Keese die Freiheit vermutet, nämlich im Kern des Kapitalismus, ist sie bedauerlicherweise nicht. Er zitiert das Schlüsselerlebnis von Amartya Sen, der das Buch „Development as Freedom“ (1999) schrieb und 1998 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde. In der Sen’schen Erzählung wird ein armer Mann in den Unruhen in Dhaka niedergestochen.
„Sen gab ihm Wasser und holte Hilfe; seine Eltern brachten Mia ins Krankenhaus, wo er kurz drauf starb. Was der Mann ihm zugeflüstert hatte, konnte Sen nie vergessen: Seine Frau hatte ihn gewarnt, während der Unruhen arbeiten zu gehen, Mia blieb jedoch keine Wahl, er brauchte das Geld., Dieses Erlebnis hatte eine niederschmetternde Wirkung auf mich’, schrieb Sen., Die Strafe für seine wirtschaftliche Unfreiheit war der Tod. Wirtschaftliche Unfreiheit kann zur Brutstätte für soziale Unfreiheit werden, so wie auch soziale und politische Unfreiheit ihrerseits wirtschaftliche Unfreiheit befördern können.’“ (Keese, 2004, S. 113 f.)
Ich deute mal, der Satz ist nicht als Aufforderung zur Revolution zu verstehen: nämlich,