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Aufschwung-Ost. Joachim GerlachЧитать онлайн книгу.

Aufschwung-Ost - Joachim Gerlach


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      „Nee, mein Lieber, ich sinniere.“

      „Worüber denn, wenn man fragen darf? Über die Schlechtigkeit aller Welt, deine nächste Gehaltsaufbesserung, das miese und viel zu teure Kantinenessen?“

      „Viel schlimmer, mein Lieber. Über dich.“

      „Was , wieso denn über mich? Das trifft sich gut, deswegen bin ich nämlich hier. Und der Knaller hat wohl schon bei dir angerufen wegen der Standleitung zur Deutschen Bank? Ist doch sonst nicht so schnell.“

      „Knaller? Standleitung? Erstens hat sich die Frau Doktor Werner heute früh schon bei mir über dich beklagt, und zweitens müssen wir sehen, wie wir dich hier zukünftig unterbringen im Bereich, da gibt es nämlich ein kleines Problemchen. Aber mir wird da schon etwas Gescheites einfallen. Mit der EDV jedenfalls geht es so nicht mehr weiter. Sie haben dafür einen eigenen Bereich gebildet, der zentral für alle Abteilungen die anstehenden Aufgaben übernimmt, und die sind auch eher rein technischer Natur, für die Fachprobleme stehen die fertigen Programme schon Gewehr bei Fuß. Und das Fördermittel-Controlling obliegt auf Weisung des Regierungspräsidenten nunmehr den Händen einer jungen Hochschulabsolventin, Juristin von der Uni Freiburg, wenn ich mich nicht irre. “

      „Die Lady hat sich mir soeben vorgestellt,“ knurrte Holstein bösartig, „arrogant, weiß alles, kann alles, Wessi eben. Was könnte ich dann hier im Bereich noch machen, deiner Meinung nach? Sind doch alle Planstellen schon längst besetzt. Abgesehen davon, dass ich mit keiner von diesen wirklich fröhlich wäre. Und was wollte denn die Werner? Du meinst doch bestimmt die Ursel aus der ehemaligen Parteileitung. Die mir jedes mal mit Leidensmiene, Wochen nachdem wir Erichs Reden auf allen möglichen Foren schon bis zum Erbrechen durchgekaut hatten, diese nochmal zwecks vertiefendem Studium als Broschüren des Dietz-Verlages andrehen wollte?“

      „Lass sie das bloß nicht hören, Ursel und von wegen Parteileitung. Das genossenschaftlich-vertraute „Du“ von einst kannst du dir bei der jetzt auch abschminken, Frau Doktor Werner und „Sie“ ist angesagt, möglicherweise auch Kollegin Doktor Werner. Sie meinte, du hättest, ohne sie zu fragen, Daten ihres Verantwortungsbereiches weitergegeben. Die Vermarktung ihrer Arbeitsergebnisse wolle sie doch bitte schön zukünftig unter eigener Regie führen.“

      „Na, die hat wohl nicht mehr alle unter ihrem Hut! Völlig abgehoben seit ihr Alter die Mercedes-Niederlassung leitet, und sie aus der Platte in das noble Häuschen gezogen sind. Soll mir noch mal kommen mit irgendwelchen Sonderwünschen, hat sich was!“ Holstein geriet zunehmend in Rage. „Also: Wie soll es mit mir nun weitergehen?“

      „Ich hatte doch gesagt, mir fällt schon etwas Passendes ein, lass uns morgen darüber reden. Jetzt wird hier nämlich gleich ein Herr auftauchen, mit dem ich einen Termin zwecks Fördermittelbewillung habe.“

      „Doch nicht etwa wieder dieser dubiose Schwabe, der schon alle Weiber hier verrückt machte und letztlich wie aus Versehen den Umschlag mit der satten Marie hat bei dir auf dem Schreibtisch liegen lassen?“

      „Hör mir bloß mit dem auf,“ Wunderlich verzog schmerzhaft das Gesicht, „ich bin ihm ja gleich nachgelaufen und habe ihm sein Geld zurück gegeben. Da hat er zwar mächtig blöd geguckt, sich dann aber getrollt. Seitdem hab‘ ihn nicht mehr wieder gesehen. Nein, diesmal ist es ein Bayer. Will mächtig investieren in hiesige Brauereien und Gaststätten, manches auch gleich in einem. Aber seine Konzeption hinkt noch gewaltig. Kommt wohl selbst auch nicht aus dem Gewerbe. Wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht jeder hergelaufene Hanswurst nach dem Motto „ich kann nichts, ich hab‘ nichts, aber im Osten bring‘ ich schon was auf die Beine“ Milliönchen um Milliönchen in den Sand setzt. Da sind mittlerweile nämlich schon genug der faulen Eier gelegt wurden. Der Bayer scheint mir da auch nicht ganz sauber zu sein. Hat mich schon mal, mit Gattin versteht sich, morgen Abend zum Arbeitsessen in sein Hotel eingeladen und irgendwas von gemeinsamen Urlaub auf den Kanaren gefaselt, Na, woll’n mal sehen.

      Ach, noch was, Gert. Gewöhne dir doch endlich das dumme Gelaber von Ossis und Wessis ab, zumindest hier im Amt. Wir sind doch jetzt alle Landsleute gewissermaßen, und sie stecken ja auch genug in uns hinein, mehr als genug.“

      Na, da hört sich wirklich alles auf! Von wem gingen denn Schmäh und Häme zuerst aus? Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es bekanntlich daraus wieder hervor. Und außerdem:

      „Wäre wirtschaftlich nicht alles platt gemacht sondern modern saniert und bevölkerungsanteilig umverteilt worden unter der Treuhand, dann fänden auch genug Leute im Osten eine vernünftige und korrekt bezahlte Arbeit, dann brauchten die Wessis sich nicht zu beklagen über Solidarbeiträge und Finanzausgleich, dann könnte der Osten sich in Größenordnungen selber finanzieren. Aber solch weitreichende Kompetenzen hatte die Treuhand ja gar nicht , das war so ja gar nicht gewollt. Unsere gut qualifizierten und hochmotivierten Arbeitskräfte kamen ihnen gerade recht, ihre brachliegenden Kapazitäten hochzufahren und damit den Osten abzufüttern. Und ganz so freiwillig üben sie die Solidarität wohl auch nicht. Einer dieser noblen Spender hat mich letztlich gefragt, ob ich wüsste, was Solidarzuschlag wirklich bedeute. Als ich verneinte, meinte er cool: Wenn man einem dieser hässlichen Ossis eine auf die Schnauze haut. Bingo! Wir sehen uns also morgen wieder.“

      So kam es, aber die fundierte Beantwortung der Frage nach Holsteins weiterem Verbleib in seinem Bereich blieb Wunderlich für alle Zeit erspart. Mit der Rückgabe der unlängst erneut bei der Gauck-Behörde eingereichten Mitarbeiterliste fand Holsteins beruflicher Werdegang im Regierungspräsidium ein jähes Ende. Als er am Morgen des nächsten Tages erneut bei Wunderlich betreffs seines weiteren dienstlichen Einsatzes vorsprechen wollte, winkte der nur müde ab.

      „Kannste wahrscheinlich sowieso alles vergessen, wie es scheint. Sie sind diesmal wohl doch noch fündig geworden. Sollst dich um zehn beim Personalchef melden.“

      Gut, dann war’s das eben. Alle bestehenden Probleme mit einem Schlag gelöst durch die Schaffung eines einzigen neuen. Vielleicht wird’s doch nicht so heftig. Hatte er doch noch genügend Bekannte und Freunde, die noch oder schon wieder in durchaus respektablen Positionen saßen und ihm schon mal im Vorab ihre Hilfe zugesagt hatten, sollte er einmal in Schwierigkeiten geraten.

      Kurz vor zehn also zum Personalchef. Im Vorzimmer hockte schon einer mit bekümmerter Miene. Holstein kannte ihn nur flüchtig, ein ehemaliger, schon recht betagter Mitarbeiter aus dem Bildungswesen. Er wich Holsteins Blicken aus, schaute unentwegt auf den Boden. Aus der sich dann einen Spalt nur öffnenden Tür schlich gesenkten Hauptes eine Holstein gleichermaßen nur flüchtig bekannte Mitarbeiterin aus der ehemaligen Abteilung Handel und Versorgung heraus. Nur mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen, Spuren von Tränen im Gesicht, völlig verwischt die am Morgen aufgelegte Schminke. Der Bekümmerte wurde nun hineingerufen, bei dem dauerte es nicht lange. Auch als er wieder herauskam, schaute er an Holstein vorbei. Nun war Holstein dran. Der Personalchef hieß ihn freundlich Platz nehmen, kam aber gleich zur Sache, offensichtlich drängte die Zeit, denn draußen im Vorzimmer harrten schon die nächsten.

      „Nun, Herr Holstein, Sie wissen doch sicherlich, weswegen ich Sie habe rufen lassen?“

      „Nein.“

      „Gut. dann werde ich es Ihnen sagen. Die letzte Überprüfung unserer Mitarbeiter bei den dafür zuständigen Behörden hat ergeben, dass Sie als Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Sicherheitsdienstes gearbeitet haben. Ist das so richtig?“

       „Dazu habe ich schon im November 89 Stellung bezogen. Vor vielen, in aller Öffentlichkeit. Ihre Sekretärin wird sich dessen erinnern und dies bezeugen.“

      Die beisitzende und protokollierende Sekretärin errötete heftig, beugte sich emsig schreibend über ihre Papiere, sagte jedoch keinen Mucks.

      „Das bedeutet nichts. Wie war denn Ihr damaliger Deckname?“

      „Habe ich vergessen.“

      „Wirklich? Lautete er nicht ...?“ Der Personalchef blätterte in den vor ihm liegenden Papieren und nannte ihn. „Erste Verpflichtungserklärung im Jahr 68, zweite 1984.“

      „Schon möglich. Ich habe seit 86 nicht mehr mit diesem Organ zusammengearbeitet.


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