SILBER UND STAHL. Nicole SeidelЧитать онлайн книгу.
– ja!“
In einer kleinen Stube hatte Claude für eine Handvoll Männer das Abendbrot aufgetischt: fettdurchzogene Schweinesteaks, beige zu weichgekochte Kartoffeln, grüne fade Stangenbohnen und eine scharfe dunkle Soße, die sich jeder der Anwesenden reichlich über die Zutaten goss, um ein wenig Geschmack ins Essen zu bringen. Geralt war der einzige, der mit einem Heißhunger alles in sich hinein schlang.
Links neben ihm saß ein großer, kräftiger Kerl, der eine ungesunde grünliche Gesichtshaut und ein finsteres Gemüt hatte. Als er einige Bissen getan hatte erhob er sich plötzlich und stürmte in die Ecke des Zimmers, in der ein Eimer stand und erbrach sich darin.
„Herman, wir sind am essen!“ grollte Claude und löffelte sich eine ganze soßetriefende Kartoffel in den Mund. „Seit Tagen ist Herman nur noch am Kotzen. Du, Geralt, hast übrigens seine Arbeit übernommen.“
Das war also der vergiftete Henker, dachte Geralt und sah kurz zu Herman hinüber, der in der Ecke über dem Eimer kauerte. Der stattliche Mann gab einen erbärmlichen Anblick ab. Jedenfalls hatten die sieben Rabenbrüder den Mann nicht tödlich vergiftet, dachte Geralt beruhigt.
Mit am Tisch saß noch der spindeldürre Stadtschreiber Pontius Glave und Claudes Küchenhelfer Pippin, ein pickelgesichtiger Jüngling von siebzehn Jahren, der ständig unruhig mit den Beinen unterm Tisch schlenkerte.
Es wurde wenig gesprochen.
Der weißhaarige Hexer lag seit einiger Zeit wach auf seinem Bett und beobachtete, wie eine Spinne ihr Netz über ihm an der Decke in einer Ecke sponn. Im Zimmer war es zwar dunkel, doch seine verwandelten Augen konnte jede Einzelheit sehen.
Er hörte das leise Rauschen vier Flügelpaare, die im Hof landeten. Ein lauteres vierstimmiges Krähengeschrei, zunächst fragend-rufend, dann erbost, als ein Netz über die Vögel geworfen wurde und die letzten der sieben Raben gefangen wurden.
Sicher steckte eine gewisse Absicht dahinter, überlegte Geralt. Die Brüder wollten mit ihrem Schwesterlein zusammen sein. Ob er den Fluch brechen konnte?
IV
Das Richterpodest war noch unbesetzt, davor standen zwei Tische nebeneinander. Am linken saß ein kleiner, unscheinbarer Mann im mittleren Alter und farblosdunkler Kleidung: Minister Jörg Unruh, der hier die Anklage übernahm. Hinter der reichgeschnitzten hölzernen Absperrung waren zehn Reihen unbequemer Bänke aufgestellt, die vollbesetzt mit Zuschauern waren – meistens reiche, angesehene Bürger der Stadt Feldwaldingen. Gerade führte Hauptmann Joule Weiden die Angeklagte Sabryn herein. Sie war sauber, trug ein sauberes Kleid und war ein hübsches, blondes junges Fräulein. Hinter ihnen ging ein junger Mann im edlen blauen Mantel, sicher der Kaufmann Hubwald Engerling, der wohl auch dafür gesorgt hatte, dass seine Frau sich zur Verhandlung hatte baden dürfen.
Geralt, der am hinteren Teil der Absperrung stand, bemerkte den hasssprühenden Blick einer dunkelhaarigen Matrone, als das Paar an ihnen vorbei lief. Ein weiterer Minister, etwas untersetzt und mit lichtem Haar, rannte den Gang zwischen den geteilten Bankreihen entlang und setzte sich mit Sabryn und Hubwald an den anderen Tisch. Hauptmann Joule stellte sich neben Geralt an die Wand und behielt den Saal im Auge.
Stadtschreiber Grave betrat von hinter dem Podest den Richtsaal und hämmerte mit einem Hämmerlein auf den Holztisch, um Ruhe zu bittend, dann betrat Vogt Mainer von Richtweih den Saal – er trug einen weinroten weiten Mantel und darüber eine Goldkette aus geprägten Dukaten um den Hals; sicher die Merkmale eines Feldwaldingener Richters.
Pontius Grave trat vor den Richtertisch und verlas mit näselnder Stimme die Anklageschrift. „Hiermit eröffne ich die Verhandlung gegen die Kaufmannsfrau Sabryn Engerling. Sie wird beschuldigt teuren Schmuck entwendet zu haben. Minister Unruh, bitte legen sie dem Gericht nochmals alle aufgeführten Beweise vor.“
Der unscheinbare Mann in grauer Kleidung erhob sich. Vor sich auf dem Tisch lagen diverse Schmuckstücke: Halsketten, Fingerringe, Ohrhänger und Broschen aus Gold, Silber und mit wertvollen Edelsteinen verziert. „Die Dame Hagnessa Engerling fand im Zimmer der Angeklagten unerwartet eine Kette vor, die sie sofort einer Freundin des Hauses, Dame Evita Lochmare, zuordnen konnte. Da Sabryn Engerling des Sprechens nicht mächtig ist, rief Dame Engerling sofort nach der Gendarmerie. Die nach einer gründlichen Durchsuchung des Zimmers weiteren Schmuck fand. Schnell stellte sich heraus, dass die teuren Stücke über einen Zeitraum von acht Monaten aus diversen Haushalten entwendet worden waren.“ Minister Unruh deutete auf die vor ihm liegenden Schmuckstücke. „Weiter beobachtete die Dame Engerling des Öfteren, wie sich ihre Schwiegertochter des Nachts mit sieben Raben heimlich im Garten traf. Sicher hat sie die Vögel dazu abgerichtet, die edlen Schmuckstücke zu stehlen und ihr zu bringen.“
„Das ist doch blanker Unsinn!“ wandte erbost der junge Kaufmann ein.
Sabryn blieb die ganze Zeit über stumm und starrte demütig zu Boden.
Da erhob sich der verteidigende Minister Steffen Klamm und bat den Kaufmann um Ruhe in dem er ihm den Arm auflegte. „Die Anklage beruht auf einer einzigen Aussage, die der Dame Hagnessa Engerling.“
„Welchen Grund sollte die ehrenwerte Dame Engerling haben, um zu lügen? Und fanden sich nicht die gestohlenen Schmuckstücke im Zimmer Sabryns? Selbst die sieben Raben konnte gefangen werden.“
Resigniert zuckte Minister Klamm die Schultern und setzte sich wieder.
Geralt beobachtete diese Farce mit innerer Verachtung. Seine Menschenkenntnis und sein Instinkt sagten ihm, dass die edle Dame Hagnessa – deren Blick hasssprühend war – die eigentlich Schuldige war. Aber es gab keine eindeutigen Beweise, die dies belegen konnten. Sabryn war stumm und die verzauberten Raben wurden von diesen Menschen nicht verstanden. Er konnte nur hoffen, dass die Zeit mit ihm war und dass das alles dazu gehörte, um den Fluch zu brechen.
Richter und Vogt Richtweih erhob sich. „Genug!“ brummte er. „Die Beweise sind eindeutig und Sabryn Engerling schuldig des mehrfachen Diebstahls. Wie es im Gesetz steht ist die Strafe für Langfinger folgendermaßen: Ihr wird die rechte Hand abgehackt! Ihre Helfershelfer, die sieben Raben, werden ertränkt. Das Urteil soll morgen Mittag vollstreckt werden. Hiermit ist die Verhandlung beendet.“ Vom aufkommenden Tumult in den Zuschauerreihen ungerührt, verließ der Vogt den Richtsaal durch die Hintertür.
Kaufmann Hubwald hielt seine hübsche Frau tröstend im Arm. Der Saal wurde geräumt. Die Mutter blieb auf Distanz, zwar hatte sie gewonnen, was die Schwiegertochter anging, aber den Sohn hatte sie dabei verloren.
Hauptmann Joule stupste den Hexer an. „Morgen hast du Arbeit.“
Geralt schwieg mit grimmigem Blick.
V
Vor Geralt lag die schwarze Henkerskleidung aus Leder, die er sich widerwillig überzog. Schwarze Hose, schwarzes Wams, schwarze Handschuhe und die Henkerskapuze – so dass niemand erkennen konnte, wer unter der Marke des Henkers steckte. Die Lederkappe bedeckte den ganzen Kopf und hatte nur Öffnungen für die Augen und kleinere zum Atmen. Dann hob er das zweischneidige Beil auf – ungewohnt lag die Waffe in seiner Hand. Dann verließ er sein Zimmer und ging zum Richtplatz.
Über Nacht war auf dem Marktplatz ein Podest errichtet worden. Auf dem Holzboden stand ein Richtblock, ein großes Wasserfass und ein Balken auf dem die sieben Raben bereits festgebunden saßen. Alle Bewohner Feldwaldingen sammelten sich um diesen Podest herum. Alle Männer, Frauen und Kinder. Alle reichen und ärmeren Bürger. Alle jungen und alten. Der Vogt Mainer saß auf seinem Balkon oberhalb des Marktplatzes in seinem Stadthalterhaus und hatte den besten Platz.
Geralt stand abwartend zwischen Wasserfass und Richtblock, das Henkersbeil vor sich umgekehrt und darauf gestützt.
Ein Wagen brachte die Verurteilte zum Richtplatz. Sie trug das Kleid vom Vortag, hielt den Blick gesenkt.
In vorderster Reihe, aber an unterschiedlichen Stellen, machte der Hexer – und nun Vollstrecker – den Ehemann Hubwald und die Schwiegermutter Hagnessa aus. Hauptmann Joule führte