Eine Jugend im III. Reich und im Chaos der Nachkriegszeit. Rolf H. ArnoldЧитать онлайн книгу.
es damals insbesondere bei der städtischen Bevölkerung in Deutschland die Regel war. Vielleicht hilft es ihnen, ihre Probleme zu relativieren und somit leichter zu tragen, wenn sie von den lebensbedrohenden Herausforderungen lesen, die die Jugendlichen aus den Städten in den Kriegs- und Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkrieges zu bewältigen hatten.
Mit meiner Geschichte beschreibe ich die Zeit, die ich erlebt habe, in der es uns in Deutschland mit Bombenkrieg in den Städten, Flüchtlingselend, Vertreibung und in den ersten drei Jahren nach dem Krieg mit Hunger, Not und Elend sehr schlecht ging. Deshalb ist es mir wichtig, vorab zu betonen, dass ich nicht aus dem Auge verliere, dass dies alles geschah, nachdem die Deutschen eine Partei in die Regierung gewählt hatten, die Judenverfolgung zum Regierungs-programm erhob und bereits Jahre vor dem Kriege eine Reihe gesetzesbrecherischer Maßnahmen zu verantworten hatte. Was ich beschreibe, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die deutsche Reichsregierung vorher in blutigen Angriffskriegen Nachbarvölker unterjocht hatte und in Konzentrationslagern systematisch grauenvolle Untaten beging, die alle vorstellbaren Dimensionen sprengten.
Rolf H. Arnold im September 2012
Herkunft
Die Wurzeln gemäß Ahnenpass
Im April 1933 erließ die Reichsregierung das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, gemäß dem alle Beamten einen Ahnenpass erstellen mussten. Auch mein Vater hatte daher, als er 1937 Beamter wurde, den Nachweis zu erbringen, dass er „arischer“ Abstammung“ war und sein „Blut“ – gemeint waren wohl die Gene – von „artfremden Einflüssen rein“ geblieben war.
Dieses Gesetz bot den nationalsozialistischen Machthabern die Möglichkeit, politische Gegner und insbesondere jüdische Beamte aus dem Dienst zu entfernen. Beamte, die ihre arische Abstammung nicht nachweisen konnten, weil sie etwa einen jüdischen Großelternteil im Stammbaum hatten, konnten entlassen oder in den Ruhestand versetzt werden. Ausnahmeregelungen gab es auf Intervention von Hinden-burg zunächst noch für „Frontkämpfer“ und für Beamte, deren Vater oder Sohn im Ersten Weltkrieg als Soldat gefallen waren, sowie für diejenigen, die vor 1914 verbeamtet wurden. Mit der „Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom November 1935 wurden jedoch auch diese Ausnahmeregelungen beseitigt. Alle noch verbliebenen jüdischen Beamten mussten aus dem Dienst ausscheiden. Der Beamtenstatus blieb „Deutschblütigen“ vorbehalten.
Die drei Nürnberger Gesetze vom September 1935 verlangten dann von jedem Bürger des Deutschen Reiches einen „Ariernachweis“, um die neugeschaffene Reichsbürgerschaft erwerben zu können, die nur „Deutschblütigen“ offen stand. Mit diesem „Reichsbürgergesetz“ wurden den Juden alle noch verbliebenen Bürgerrechte genommen, denn ein Jude konnte nach diesem Gesetz kein Reichsbürger sein. Eines der Nürnberger Gesetze, das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verbot Eheschließungen zwischen Juden und „deutschblütigen“ Reichsangehörigen. Für Zuwiderhandlungen, als „Rassenschande“ bezeichnet, wurde Zucht-hausbestrafung angedroht.
In der 45-seitigen Einleitung zum Ahnenpass wird ausführlich auf die vorgenannten Gesetze Bezug genommen und darauf verwiesen, dass die Bestimmungen des Reichserbhofgesetzes noch darüber hinaus gingen und für die Aufnahme in die NSDAP und die SS eine „reinarische Abstammung“ erforderlich sei, „die also frei von jeder fremden (z.B. jüdischen oder negerischen) Blutsbeimischung“ ist. Diese reinarische Herkunft musste bis zum 1. 1. 1800 zurück nachgewiesen werden, und zwar auch für den Ehegatten.
In der Einleitung zum Ahnenpass heißt es unter der Überschrift „Rassegrundsatz“: „Die im nationalsozialistischen Denken verwur-zelte Auffassung, daß es oberste Pflicht eines Volkes ist, seine Rasse, sein Blut von fremden Einflüssen rein zu halten und die in den Volkskörper eingedrungenen fremden Blutseinschläge wieder auszu-merzen, gründet sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Erblehre und Rassenforschung.“
Man mag es nicht glauben! Die gewählte Führungsschicht eines sogenannten Volkes der Dichter und Denker, das Menschen wie Beethoven, Goethe und die Gebrüder Alexander und Wilhelm von Humboldt hervorbrachte, erlässt offiziell Rassengesetze, die Juden – die in vielen Bereichen zu den kulturellen Leistungsträgern der Nation zählten – aus der Gesellschaft aussondern, als „Volksschädlinge“ mit „artfremdem Blut“ diffamieren, alle durch die Verfassung garantierten Bürgerrechte nehmen. Die Regierung entkleidet die Juden dann auch noch ihrer Menschenwürde, um sie schließlich zu Millionen fabrikmäßig wie Ungeziefer mit Gift zu vernichten – unfassbar, nicht nachvollziehbar!
Bei der Betrachtung meiner Vorfahren mütterlicher- und väterlicher-seits, die bis um 1800 nachgewiesen sind, handelt es sich durchgängig um ortsfeste Bauern. Die Arnolds lebten in den überschaubaren 200 Jahren in dem Dorf Weinsheim bei Kreuznach an der Nahe als Weinbauern, die Templins in dem Dorf Finkenthal bei Gnoien in Mecklenburg als Ackerbauern. Die meisten der in meinem Ahnenpass aufgeführten Männer und Frauen der beiden Generationen im 19. Jahrhundert hatten zumeist nur eine Lebensspanne von 40 bis 55 Jahren.
Auffällig ist, dass die Kaiserzeit in der Namensgebung der Vornamen deutliche Spuren hinterlassen hat. Sowohl mein Vater, wie auch meine beiden Großväter hießen Wilhelm, die Urgroßmutter mütterlicherseits sogar Wilhelmine. Ein Adolf oder eine Adolfine finden sich glücklicherweise nicht unter den Sprösslingen nach 1930.
Bei der Durchsicht meines Ahnenpasses ist mir deutlich geworden, welch umfangreicher Gen-Cocktail in nur fünf Generationen durch die Familien der jeweiligen Ehefrauen zustande gekommen ist. Das sind in fünf Generationen schon etwa 30 Familien. Aber wie unendlich viele Ahnen waren es vorher, die ihre Anteile zum Gen-Pool beigesteuert haben? Müssen wir doch genau genommen bis zum Bereich der Menschwerdung zurückgehen. Wie unfassbar viel Erbmaterial ist in uns eingeflossen, macht uns so einzigartig? Gemäß meinem Stammbaum haben zu mir sicherlich ein römischer Legionär, ein Wikinger und möglicherweise ein Hunne beigetragen, werden mir doch in diesem sehr überschaubaren Zeitraum schon Dänen, Slaven und offenbar auch Franzosen zugesprochen.
So lässt schon die Betrachtung meiner direkten Vorfahren eine gewisse Vielfalt erkennen. Wenn ich jedoch auch die Nachkommen der Brüder und Schwestern meiner vier Großeltern in Betracht ziehe, dann erweitert sich das Bild außerordentlich. Sie sind bereits für bisher 35 US-amerikanische Abkömmlinge verantwortlich.
Durch die Globalisierung wird eine Vermischung ohne Grenzen immer leichter. Der Enkel meiner Tante in Princeton, New Jersey, hat mit seiner japanischen Frau ein Kind bekommen. Als jahrgangsbester Jura-Diplomand hatte er ein zweisemestriges US-Stipendium für Tokio erhalten. Die Zeit reichte aus, die Tochter seines Professors kennen und lieben zu lernen.
Welch eine Gnade, als Produkt einer gewaltigen Ahnenkette leben zu dürfen! Noch dazu auf diesem so wunderbaren Stern, der unter den Milliarden von Milliarden Himmelskörpern so einzigartig ist, und den wir dennoch aus Habgier und Dummheit möglicherweise weitgehend unbewohnbar machen werden.
Die dänische Komponente
Durch meine Großmutter väter-licherseits, Henriette C. Schmidt, geb. 1866 in Sonderborg, Dänemark, ist in meinen Gencocktail auch ein Gutteil dänischer Beigabe eingeflossen, die sich zurückverfolgen lässt bis 1784. Meine Cousine Ellie aus New York hat sich bei der Verfolgung dieser Linie sehr verdient gemacht. So hat sie einige unserer gemeinsamen dänischen Vorfahren aus dem Dunkel der Vergangenheit in unser Bewusstsein gehoben, und zwar bis zu Andreas Clausen (1784 - 1829) und seiner Frau Sille Margarethe Andersdatter (1791 - 1854). Wenn sie weiter nachgeforscht hätte, wäre sie vermutlich auf Wikinger als Vorfahren gestoßen.
Andreas Clausen wurde in Faustrup, Tyrstrup, 1784 als Sohn des Schmiedes Claus Mikkelsen und dessen Frau Catharine Knudsdatter. geboren. Er war Bauer und Schmied in Odis und verheiratet mit Sille Margarethe Andersdatter aus Stougaard, Dybbol – Island of Als, geboren 1791 als Tochter des Bauern Anders Nissen und dessen Frau Maren Christiansdatter.