Flucht aus dem Morgengrauen. Marc LindnerЧитать онлайн книгу.
Blick. Ich suchte in der Wüste, in der ich mich glaubte, eine Abwechslung, die mich erfüllen und von meinen enttäuschten Gedanken würde ablenken können.
Doch wieder traf mich ein Schlag. Während der an sich ungefährlichen Kopfbewegung, wurde ich in eine andere Welt gerissen. Es enthob sich jeder Vorstellungskraft, was meine Augen mich zu erleben zwangen. Es brauchte nur einen Lidschlag und die Wüste war verschwunden und mit ihr all diese Versprechungen nach Ruhe, die ich mir selbst gegeben hatte.
Ich glaubte mich leicht überwältigt von dem Flughafen, von dem meine Reise begonnen hatte, als ich ihn noch im selben Atemzug vergaß. Glas und Stahl und was sich sonst noch an glänzendem Gestein auffinden ließ, vereinte sich zu einem gewaltigen Mahnmal gegen die Leere der Wüste. Als wollte dieses eine Gebäude alleine sich gegen alles auflehnen, was die endlosen Sandflächen darstellten. Tiefe Ruhe ergriff meinen Körper. Staunen verführte meine Kinnlade, meine Brust zu besuchen. Bewunderung brachte gar meine ansonsten recht lebhaften Gedanken zum Schweigen.
Es war fortgeschrittener Abend und die rötliche Sonne stand noch erstaunlich hoch im Westen und tauchte die spiegelnden Flächen in ihr rotes Licht. Wieder spürte ich die Hitze und doch glaubte ich, dass sich dazu noch eine Wärme im Innern meines Körpers ausbreitete.
Vergessen waren die Gedanken an die sandige Freiheit der Wüste, wie weggeblasen, nicht von einem erfrischenden Wind, sondern von der überwältigenden Schönheit dieser steinernen Königin.
Ich wusste ich hätte in diesem Augenblick einen lächerlichen Anblick abgegeben, aber meine ausschweifenden Gedanken waren auf Reisen. Sie umflogen die Einzelheiten des – es fiel mir schwer es mit solch banalem Wort zu beschimpfen – Flughafens und tauchten in die rot glühende Harmonie des Ganzen. Es hatte nichts mit Funktionalität zu tun, was mich dort empfing. Wer auch immer das gebaut hatte, der wollte, dass man den Atem bei diesem Anblick verlor. Obwohl mir dieser fremde Bauherr unbekannt war, entsprach ich seinem Wunsch und musste beeindruckt schlucken, bevor ich eines weiteren Schrittes fähig war.
Irgendwie verwunderte es mich nicht, als ich merkte, dass meine beiden Begleiter keinen Blick für eine solche Ansehnlichkeit hatten und bereits ungeduldig meiner warteten, als ich ins Taxi dazu stieg.
Sabrina äußerst zufrieden mit ihrem kleinen Erfolg, brachte es ausnahmsweise über sich zu schweigen. Konrad dagegen nicht. Er hatte wieder Boden gut zu machen in seiner Schlacht, die ich nicht recht begreifen konnte, aber dennoch interessiert verfolgte. Ich hatte schließlich das Fernsehen bei mir, da sollte man sich die Show wohl nicht entgehen lassen.
Aufgeregt sprach er mit seinem Handy und der für mich unverständlichen Stimme. Diese klang, als wäre sie nur wenig erfreut, doch wagte sie es nicht, zu widersprechen. Ohne dass diese, mir unbekannte Person, die Chance gewehrt wurde auszusprechen, hatte Konrad aufgelegt und sah mit einem zufriedenen Grinsen zum Fenster hinaus, abermals ohne etwas zu betrachten – wie mir auffiel. Diesmal jedoch wirkte er nicht gehetzt oder bedrückt. Und es ließ mir ein kalten Schauer den Rücken runter laufen, als ich mir eingestehen musste, dass ich seine Miene das erste Mal nicht richtig zu deuten vermochte.
Die Fahrt mit dem Taxi dauerte nicht lange, kaum mehr als einen Kilometer maß die Strecke, die wir so zusammengedrückt hinter uns brachten. Recht lächerlich kam ich mir dabei vor und ich spürte, wie sich mein fiebriger Zustand zurückmelden wollte.
Als ich dann leicht ungeduldig hinter dem Dicken ausgestiegen war – Sabrina stand bereits draußen, doch mir war es, als müsste ich auf Konrads Seite stehen – blickte ich erwartungsvoll an der Halle empor. Doch ich wurde enttäuscht. Außer der immer noch unangenehmen Hitze war nichts mehr da, was mir den Atem stahl.
Nur Glas und Stahl und ein wenig Beton, der nur noch mehr Wärme abstrahlte. Die rot glühende Pracht der Sonne konnte mich vor dem Gebäude nicht mehr blenden und ich sah wieder die Leere, die ich in jedem Gebäude wiederfand. Ich betrachtete es dennoch, doch waren es nur die Gedanken, die mich ergriffen. Und eben diese sagten mir, dass ich staunen sollte, wegen solch verwegener Schönheit. Ein Juwel in der Wüste, den sie hier errichtet hatten. Welch Frevel von meinen Gedanken sich darüber so lustig zu machen.
Als Sabrina mich mit ihrem prüfenden Blick röntgte, drehte ich mich leicht nach rechts zu ihr um und tat als würde die Sonne, die hinter ihr stand, mich blenden. Es galt stark zu bleiben, zu viele Regeln hatte sie bestimmt, und es war heiß, da drohte man schnell zu schmelzen, wenn man nicht achtgab.
Und just in dem Moment, da ich mich mit einem nüchternen Blick endgültig von der makellos verarbeiteten Fassade abwenden wollte, begann der Dicke zu schwärmen. Mit angehobener Stimme erzählte er mir von den Finessen dieses Flughafens, erklärte mir das Zusammenspiel von Glas und poliertem Gestein, welches er mir drinnen zu finden versprach. Seine Stimme war so kräftig und so stolz, als habe er alles eigenhändig errichtet.
Es beeindruckte mich, über welches Wissen der Dicke verfügte, doch ich hörte nicht wirklich zu, immer diese Zahlen, sie verfolgten mich, selbst hier, am Rande der Wüste, gab es für mich keine Sicherheit.
Ohne meine Erlaubnis abzuwarten, gingen meine Augen auf Wanderschaft, sobald wir eingetreten waren. Mit vielem hatte ich gerechnet, aber nicht mit solch räumlicher Freiheit, wie die Halle sie mir darbot. Und dennoch erdrückte es mich und es kam mir vor als würde ich immer kleiner werden. Der Marmor unter meinen Füßen, die säuberlich glänzenden Flächen überall und die großzügig überdimensionierte Klimaanlage ließen mir ein Frösteln über meinen leicht verschwitzten Rücken laufen.
Ich wusste nicht, ob es nur daran lag, dass mein Körper noch von der langen Reise und der erbarmungslosen Behandlung des Arztes, geschwächt war, aber irgendwie wurde es mir schwindlig. Mich ergriff nicht die Art von Schwindelgefühl, die den Körper zum Stürzen bringen konnte, aber dennoch fanden meine Augen keinen Halt. Eigentlich war es mir – allein die Vorstellung belustigte mich – als würden sie überlaufen. Ich konnte nicht erfassen, was mir meine Sinne alles darbieten wollten. Vielleicht war es gerade das, was mir dieses Gebäude so leer vorkommen ließ. Und so schottete sich mein Geist von meinem überreizten Körper ab und ließ diesen orientierungslos hinter Konrad herlaufen.
Selbst Staunen war mir in diesem Moment nicht mehr möglich, alles wirkte wie ein Film und ich war die Kamera, eine schwarze hohle Kiste.
Sabrina, immer noch zufrieden lächelnd, überließ es Konrad nun alles in die Wege zu leiten – in die Wege, die sie ausgewählt hatte. Dennoch ließ sich der Dicke diesen Triumph nicht nehmen und führte uns, ohne zu zögern am Zollamt vorbei, veranlasste, dass uns die für ihn nötigen Annehmlichkeiten bereit stehen würden. Mit einem Wort: Er war der große Manager, den ich in ihm gesehen hatte und nicht mehr eine tobende Lawine. Diese schien er in unserem Heimatland zurückgelassen zu haben. Oder – der Gedanke zwängte sich mir auf – es lag an der Hitze dieses Landes, die ihm diese Art des Energieaufwands verbot. Doch die Vorstellung gefiel mir nicht, und so verbuchte ich ihm das vorbildliche Benehmen als neue Errungenschaft.
– 5 – Der Inder
Die Menschenmassen, anfänglich von mir übersehen, strömten nun wieder aus allen Richtungen. Manche warteten, andere liefen und alle schienen zu rennen. Selbst die, die standen. Unruhige Blicke um sich werfend, aufgeregt, erregt oder einfach nur gespannt. Wieder andere wirkten einfach nur müde und verspannt, von dem dauernden Rennen. Auch ich ließ mir keine Zeit, schlenderte einfach hinter Konrad her, ohne weiter in den Gesichtern zu lesen. So viel wäre da gewesen, um die Leere des Gebäudes zu füllen, doch ich ließ dieses Loch in mir ungestopft. Ich genoss einfach die Ruhe, der Lärm störte mich dabei keineswegs, er drang nicht einmal zu mir durch, denn das Fieber hatte noch immer eine Schutzglocke über mich gestülpt. Wie in einem U-Boot saß ich, und der Druck der Strömung konnte mir nichts anhaben. Wie durch dickes Glas betrachtete ich die Fische, die an mir vorbei schwammen, genoss ihre zahlreichen Farben, ihre zahllosen verspielt - hektischen Bewegungen. Wie in Trance erfüllte mich das Schauspiel, ohne irgendwo einen Abdruck in meinem Geist zu hinterlassen.
Die breite Gestalt vor mir glitt widerstandslos durch den Strom und mein