Das Steckenpferd des alten Derrick. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
noch nicht. Und den ausfindig zu machen, habe ich dich, den angehenden Superdetektiv, mitgenommen. Wenn du es nicht herausbekommst, wer soll dann dazu imstande sein?«
»Mein hochachtbarer Beruf ist mir für solche Dinge, wie du sie im Sinne zu haben scheinst, zu schade!« wies Staines das Ansinnen mit gemacht strenger Miene zurück. »Deine Don-Juan-Streiche mußt du selbst ausbaden; ich bin mir zu gut dazu, mich deinetwegen in die Nesseln zu setzen.«
Sie erreichten, noch ehe sich der Lord auf eine passende Antwort besinnen konnte, ihr Fahrtziel, das Metropol-Hotel in Brighton. Gemeinsam schritten sie die Freitreppe hinauf und wollten eben in das Foyer eintreten, als aus dem Hotel ein elegant gekleideter Herr mittleren Alters trat. Einen Augenblick ruhten seine Augen überrascht auf Lord Weald, dann nickte er ihm lebhaft zu.
»Kennst du den Herrn?« wandte sich Tommy an seinen Freund und blickte dem Herrn nach. »Nein? Schade! Der Mann hat einen Humor, der eine Million wert ist. Wie er heißt? Ich glaube Walter Derrick. Er wohnt neben mir in London. Du weißt ja, das Eckhaus auf dem Lowndes Square. Mein Vater und sein Vater kannten sich sehr gut. Der alte Derrick muß ein Original gewesen sein, den Schilderungen nach genau das Gegenteil seines witzigen Sohnes Walter. Eine Type ist der, na, du wirst ihn ja kennenlernen.«
Dick hatte gelogen, als er vorgab, Derrick nicht zu kennen; er kannte ihn und auch den knallgelben Rolls Royce, den er zu fahren pflegte. Eine besonders hohe Meinung hatte er von Mr. Walter Derrick nicht, denn man flüsterte sich über ihn allerlei zu, was nicht zu seiner Beliebtheit beitragen konnte. Er sollte einen armen Verwandten, der dringend der Hilfe bedurfte, aus seinem Haus gewiesen und ihm mit der Polizei gedroht haben. In dieser Beziehung schien er seinem verstorbenen Vater zu ähneln, denn auch der alte Derrick hatte den Ruf eines unverbesserlichen Geizhalses genossen. Sogar der Sohn hatte darunter zu leiden gehabt, denn man erzählte sich, daß er nur deshalb nach Südafrika ausgewandert sei, weil er sich mit dem Vater wegen eines von ihm gekauften, aber unbezahlt gebliebenen Motorrades überworfen habe. Der alte Derrick hatte das Motorrad zu einer Prestigefrage gemacht, und so war Walter Derrick als verlorener Sohn wutschnaubend aus dem Haus und ins Ausland gezogen. Er mochte dort ein ziemlich entbehrungsreiches Leben geführt haben, hatte aber den goldenen Humor, den man ihm zuschrieb, dennoch nicht verloren. Nach dem Tod des Vaters war er als dessen Universalerbe nach Hause zurückgekehrt.
In wenigen Worten hatte Tommy dem Freund die Lebensgeschichte des Mannes geschildert und fügte nun abschließend die Bemerkung hinzu: »Ich kann es ihm nicht verdenken, wenn er sich jetzt sein Leben so angenehm wie möglich macht.«
Der herrliche Sommerabend verleitete die beiden Freunde zu einem Strandspaziergang. Obwohl Dick nur hin und wieder ein Wort einwarf, plauderte Tommy dennoch unverdrossen von diesem und jenem und hatte eben eine bildreiche Darstellung einer seiner Jagden begonnen, als er plötzlich Dick am Ärmel zupfte.
»Dort kommt sie!«
Dick blickte auf. Ihnen entgegen kam in der einfachen Tracht einer Krankenpflegerin ein Mädchen, dessen Schönheit, wie er mit einem einzigen Blick feststellen konnte, tatsächlich außergewöhnlich war. Ehe er sich von seiner Bewunderung erholt hatte, war das Mädchen schon an den beiden Freunden vorübergeschritten.
»Nun?« – unterbrach Tommy den Freund.
»Ohne Zweifel ist sie hübsch.« Es war Dick klar, daß dieses kühle Urteil der klassischen Schönheit der jungen Dame bei weitem nicht gerecht werden konnte.
»Stell dir vor, geliebter Polizist«, begann nun Tommy erneut seine Hymne, »daß sich eine derartige Schönheit als Krankenpflegerin vermietet. Ist das nicht entsetzlich? Im dumpfen, heißen Zimmer jede Laune und Grille eines alten, klapprigen Mannes aushalten zu müssen? Mein Gott, welch ein Dasein! Den ganzen Tag muß das arme Ding neben einem Kinderwagen – ich meine natürlich Krankenwagen – herlaufen und aufpassen, daß der arme Kranke nicht niest. Kannst du dir das vorstellen? Nicht wahr, nein?! Aber ist sie nicht eine wirkliche Perle?«
»Ja, darin kann ich dir zustimmen, Tommy. Wie heißt sie? Ach so, du weißt das nicht ... Oder hast du dich heute etwa schon bemüht, es zu erfahren?«
»Natürlich. Ich war ja überzeugt, daß auch du vor Neugierde brennen würdest, mehr von ihr zu wissen. Ich bin zwar auch erst seit ein paar Stunden da, aber ich habe doch meine Detektiveigenschaften spielen lassen und kann dir daher alles, was du wissen willst, mitteilen. Sie heißt Mary Dane! Mary – Dane –!« Er sprach den Namen aus, als genösse er jede Silbe. »Mary Dane? Klingt das nicht wie aus einem Tonfilm herausgeschnitten?«
»Wie hast du denn den Namen so schnell festgestellt?« erkundigte sich Dick überrascht.
»Indem ich den Stier ganz einfach bei den Hörnern packte«, gab Tommy zu. »Ich bin dort hingegangen, wo sie wohnt, und habe mich nach ihr erkundigt. Der alte Herr, der das Glück hat, den ganzen Tag in ihrer Gesellschaft sein zu dürfen, heißt Cornfort. Sein Dasein verbringt er in Badeorten, von denen er alle möglichen aufsucht. Einmal habe ich mit dem Mädchen sogar gesprochen: Ich wünschte ihr ›guten Morgen‹.« Er strahlte den Freund siegessicher an.
»Und was erwiderte sie auf deine Unverschämtheit?« fragte Dick prosaisch.
»Pfui, Dick! Warum eifersüchtig? Was sie sagte? Natürlich erwiderte sie holdselig lächelnd meinen Gruß. Ich war zwar im ersten Augenblick so platt, daß ich kein weiteres Wort hervorbringen konnte, aber fest bleibt doch die Tatsache bestehen, daß sie meinen Gruß erwiderte. Sie ist eine wirkliche Dame, das verriet mir schon ihre Ausdrucksweise, als sie meinen Gruß zurückgab. Die Worte kamen wie Schlagsahne aus ihrem Munde.«
Obwohl Staines über die bildhafte Schilderung Tommys lachen mußte, konnte er doch nicht umhin, dessen Begeisterung berechtigt zu finden. Sie bummelten noch ein paar Stunden hin und her, ohne sich selbst zuzugeben, daß sie es nur in der Hoffnung taten, der schönen Krankenpflegerin noch einmal zu begegnen. Als es dunkel wurde, mußten sie den ergebnislos bleibenden Spaziergang abbrechen und begaben sich ins Hotel zurück. Um sich von den Anstrengungen des langen Spaziergangs zu erholen, hatten sie sich gerade im Rauchzimmer bei Whisky und Soda niedergelassen, als auch Derrick hereintrat und sich auf ein kurzes Nicken Tommys an ihrem Tisch niederließ.
»'n Abend, meine Herren«, begrüßte er sie. »Wenn ich Lord Weald nicht sehe, ist mir immer, als fehle mir mein zweites Ich. Wir sind die reinen siamesischen Zwillinge; sogar unsere Häuser in London sind Zwillinge. Brighton ist nicht groß genug, uns zu trennen.« Er belachte seinen eigenen Witz und bestellte sich eine Erfrischung. Dann wandte er sich an Dick: »Nun, Herr Inspektor Staines, was hat Sie nach Brighton getrieben? Beruflich? Nein? Sie wundern sich wohl, daß ich Sie kenne, wie? Nun, ich habe Sie schon oft im Gerichtssaal gesehen, wo Sie als Zeuge auftraten. Ich bin ziemlich oft zu Verhandlungen gegangen, weil ich mich für kriminalistische Fragen lebhaft interessiere. Ich scheine diese Eigenschaft von meinem Vater geerbt zu haben. Meine Büchersammlung über Kriminaltechnik steht in ihrer Reichhaltigkeit in England wohl einzig da.«
Tommy schien die Zeit gekommen, Derrick über sein Freundschaftsverhältnis zu Staines aufzuklären.
»Dick und ich sind Studienfreunde, Mr. Derrick«, sagte er. »Sie sehen in ihm ein Schulbeispiel, wie tief ein Mensch sinken kann. Polizist zu werden! Ist das nicht schrecklich?«
Derrick schien, durchaus keine Lust zu haben, auf den scherzenden Ton einzugehen.
»Eigentlich merkwürdig«, richtete er seine Worte weiter an Dick, »daß wir uns heute Abend hier kennenlernen. Vor wenigen Tagen erst fiel während einer Unterhaltung mit einem Freund auch Ihr Name. Wir unterhielten uns über den berühmten Mord von Slough, dessen Sie sich wohl kaum werden erinnern können, Mr. Staines. Ich hielt mich damals gerade in Südafrika auf, und Zeitungen erreichten mich nur in unregelmäßigen Zeitabständen. Der Mann, der den Kassierer der Textilgesellschaft von Slough am hellichten Tage auf offener Straße erschoß und beraubte, wurde, wie mein Freund behauptete, niemals ergriffen, während ich gegenteiliger Ansicht war. Ich glaubte, in der Zeitung gelesen zu haben, daß er verurteilt und hingerichtet worden ist. Der Fall liegt etwa zehn Jahre zurück.«
»Ja, am selben Tag, als ich zur Polizei kam, ereignete sich das Verbrechen«, gab Dick zurück. »Nein, Mr. Derrick, den Täter hat