Das geheimnisvolle Haus. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Rivale aufgetaucht war und der durch sein Auftreten, sein gutes Benehmen und durch seine Vorliebe für Kunst und Literatur glänzte. Welche Chancen hatte er, ein einfacher Brite, gegen solche offensichtliche Überlegenheit – wenn sich dieser Mensch nicht, wie er im Innersten hoffte, noch als Verbrecher entpuppte! Er wollte die Meinung ihres Vormunds darüber hören.
»Mr. Farrington«, fragte er laut, »wie denken Sie denn hierüber – hallo!«
Er sprang plötzlich auf und hob den Arm, um den älteren Herrn zu stützen.
Farrington war aufgestanden und schwankte ein wenig. Er war auffallend blaß geworden, und sein Gesicht zuckte, als ob er Schmerzen hätte.
Mit der größten Anstrengung riß er sich zusammen.
»Doris«, fragte er schnell, »wo hast du dich von Lady Constance getrennt?«
Das Mädchen schaute erstaunt auf.
»Ich habe sie heute nicht gesehen. Sie ist gestern Abend nach Great Bradley gefahren – das stimmt doch, Tante?«
»Ja, es war recht sonderbar und meiner Meinung nach unhöflich«, erwiderte Lady Dinsmore, »daß sie ihre Gäste im Stich ließ und in ihrem Auto durch den Nebel zu ihrer Wohnung da draußen fuhr. Manchmal kommt mir der Gedanke, daß Constance ein wenig verrückt ist.«
»Ich wünschte, ich könnte auch dieser Ansicht sein«, sagte Farrington grimmig. Dann wandte er sich plötzlich an Doughton.
»Kümmern Sie sich, bitte, um Doris. Ich vergaß ganz, daß ich noch eine Verabredung habe.«
Er winkte Frank mit einer kaum wahrnehmbaren Geste, und die beiden verließen die Loge.
»Haben Sie etwas entdeckt?« fragte Farrington, als sie draußen standen.
»In welcher Beziehung?« fragte Frank unschuldig.
Ein beinahe ironisches Lächeln huschte über Mr. Farringtons Züge.
»Für einen jungen Mann, der so wichtige Nachforschungen betreibt, sind Sie ein wenig unachtsam.«
»Ach, Sie meinen die Tollington-Affäre! Nein, bis jetzt habe ich noch nichts herausgebracht; ich glaube allerdings auch nicht, daß es meine Sache ist, den Detektiv zu spielen, Nachforschungen anzustellen und Leute aufzuspüren. Ich kann ganz nette Kurzgeschichten schreiben, aber als Detektiv tauge ich nicht viel. Es ist natürlich äußerst liebenswürdig von Ihnen, daß Sie mir den Auftrag gegeben haben –«
»Reden Sie keinen Unsinn«, unterbrach ihn der alte Herr. »Es ist nicht Liebenswürdigkeit – es ist mein eigenstes Interesse. Irgendwo in diesem Lande befindet sich der Erbe der Tollington-Millionen. Ich bin einer der Treuhänder dieses großen Vermögens und natürlich sehr daran interessiert, den Erben zu finden, damit ich meine Verantwortlichkeit loswerde. Sie wissen, daß ich demjenigen, der ihn entdeckt, gern einige tausend Pfund zahle.« Er sah auf seine Uhr. »Ich möchte aber noch über etwas anderes mit Ihnen sprechen – es betrifft Doris.«
Sie standen in dem kleinen Gang, der hinter der Loge vorbeiführte, und Frank wunderte sich, warum Mr. Farrington gerade diesen Augenblick wählte, um eine so wichtige und intime Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Er war dem Millionär äußerst dankbar, daß er ihm den Auftrag erteilt hatte, obgleich die Aufgabe, den unbekannten Erben des Tollington-Vermögens zu finden, ebenso schwierig war wie die, die sprichwörtliche Stecknadel im Heuschober zu entdecken. Aber er hatte den Auftrag dankbar angenommen, weil er dadurch Gelegenheit hatte, Doris Gray häufiger zu sehen.
»Sie kennen meine Ansicht«, fuhr Mr. Farrington fort und sah wieder auf seine Uhr. »Ich möchte, daß Doris Sie heiratet. Sie ist ein gutes Mädchen, der einzige Mensch in der Welt, zu dem ich Zuneigung empfinde.« Seine Stimme zitterte, man konnte nicht an seinen Worten zweifeln. »Irgendwie bin ich beunruhigt – die Schießerei, deren unfreiwilliger Zeuge ich neulich war, hat mich nervös gemacht. Aber jetzt gehen Sie hinein und versuchen Sie, Doris zu erobern.«
Er reichte Frank die Hand. Der junge Journalist nahm sie und erschrak, als er die eiskalten Finger des Millionärs berührte. Farrington nickte noch kurz und sagte im Fortgehen: »Ich werde nicht lange bleiben.« Dann ging er in das Vestibül und verschwand auf die Straße. Ein Pfiff brachte ein Taxi herbei.
»Zum ›Savoy-Hotel‹«, rief Farrington, als er in den Wagen sprang und der Chauffeur mit einem Ruck anfuhr.
Aber gleich darauf öffnete er das Fenster.
»Halten Sie, ich will hier aussteigen.« Er entlohnte den Chauffeur reichlich. »Ich will lieber zu Fuß gehen«, bemerkte er gleichgültig.
»Das ist aber ein wenig ungemütlich in dem Nebel heute Abend, mein Herr«, meinte der Mann höflich. »Es wäre doch besser, wenn ich Sie zum Hotel führe.«
Aber Mr. Farrington war bereits im Nebel verschwunden.
Er zog sein Halstuch enger zusammen, rückte den Hut tief in die Stirn und eilte die Straße entlang wie jemand, der ein bestimmtes Ziel hat.
Plötzlich blieb er stehen und hielt ein anderes Taxi an, das langsam an den Gehsteig heranfuhr.
5
Der Nebel war noch ebenso dicht und undurchdringlich wie vorher. Die Straßenlaternen verbreiteten ein geisterhaftes gelbes Licht in dem schweren Dunst. Der kleine Zeitungsjunge, der erst die Hälfte seines Auftrages erledigt hatte, eilte dem Fluß zu. Er befreite sich von seinen Zeitungen, indem er sie einfach in einen großen Abfallkasten warf. Dann sprang er geschickt auf einen vorüberfahrenden Autobus, und nach einer halben Stunde hatte er Southwark erreicht. Er bog in eine der engen Straßen ein, die vom Borough abzweigten. Hier brannten nur wenige trübe Gaslaternen, die Nebenstraßen waren enger und düsterer.
Er ging einen dunklen und holperigen Weg entlang und sah sich von Zeit zu Zeit um, ob er verfolgt würde.
Zwischen den engen Straßenwänden war der Nebel noch dichter, und es herrschte eine warme, stickige Atmosphäre. Die Häuser zu beiden Seiten der Straße waren nicht zu erkennen. Es lag etwas Bedrückendes und Beängstigendes in dieser Enge, doch entsprach das ganz dem Charakter dieses ärmlichen Stadtteils.
Manchmal hörte er dicht neben sich einen Gassenhauer, oder er sah das aufgedunsene, rote Gesicht eines halbbetrunkenen Menschen in dem Dunst auftauchen.
Aber der Junge befand sich hier in heimatlicher Umgebung und ging flink vorwärts. Er pfiff eine Melodie zwischen den Zähnen und eilte mit einer Gewandtheit, die man nur durch lange Übung erreichen kann, an den langen, schmutzigen Rinnsteinen vorbei, bog vor großen, dunklen Pfützen aus und schlug auch vor den schwankenden Gestalten, die man nur undeutlich durch den Nebel sehen konnte, seine Haken.
Während er an der einen Häuserfront entlangging und von Zeit zu Zeit mit der Hand nach einer Mauer tastete, hörte er Schritte hinter sich. Er bog um die Ecke, wandte sich sofort wieder um und stieß dabei mit einem Mann zusammen, der ihn mit großen Händen packte. Ohne zu zögern, beugte sich der Junge vor und biß mit seinen scharfen Zähnen in den haarigen Arm.
Mit einem heiseren Fluch ließ ihn der Mann fahren, und der Junge, der flink auf die andere Straßenseite sprang, konnte noch hören, wie er hinter ihm herstolperte und wütend schimpfte. In dem undurchdringlichen Nebel war eine Verfolgung jedoch unmöglich.
Als der kleine Bursche die Straße entlanglief, öffnete sich plötzlich eine Tür neben ihm. Ein greller, roter Lichtschein fiel nach draußen, und der schmutzbespritzte Anzug des Jungen wurde hell beleuchtet. Er starrte in die Öffnung hinein.
Ein Mann stand in der Tür.
»Komm herein«, sagte er kurz.
Der Junge gehorchte. Heimlich wischte er sich die Stirn und versuchte, seinen schnellen Atem zu unterdrücken. Er trat in ein unansehnliches Zimmer. Der Fußboden war abgetreten und beschmutzt, die Tapeten hingen von den Wänden herunter. Die Luft war verbraucht und stickig. Nur ein Tisch und ein paar alte Stühle standen in der einen Ecke.
Der Junge ließ sich in