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Selbstmord muss nicht sein -. Anton WeißЧитать онлайн книгу.

Selbstmord muss nicht sein - - Anton Weiß


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wichtig sind im Leben, kann man nicht willentlich herbeiführen. Ich kann vielleicht ein Studium willentlich beginnen, wobei die meisten sich keine Rechenschaft darüber geben, warum sie gerade dieses Studium gewählt haben. Meistens hat das ganz tiefliegende Gründe, die den wenigsten bewusst sind, wie z. B. dass sie sich vor vielen Jahren über einen ungerechten Richterspruch erregt haben, was so sehr im Hintergrund gewirkt hat, dass sie nun Jura studieren. Auch hier könnte man zeigen, wie sehr die willentliche Entscheidung von Faktoren beeinflusst ist, die einem nicht bewusst sind. Ob der Arbeitsplatz einem später zusagen wird, dahingehend hat man überhaupt nichts willentlich in der Hand. Es ist reine Fügung, wenn man wohin kommt, wo es einem eine bedeutende Lebensqualität bringt; ihr gegenüber ist die einzig richtige Haltung Dankbarkeit.

      Da wir das alles aber nicht sehen und unbeirrt daran festhalten, unser Schicksal selber aus eigener Kraft meistern zu können, versetzt es dem Menschen einen regelrechten Schock, wenn er gezwungen wird, anerkennen zu müssen, dass sein Leben nun einen Weg eingeschlagen hat, wo er nichts mehr in der Hand hat und der alles andere als seinen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Dass er nichts in der Hand hat, hätte er aber immer schon begreifen können, weil er sieht, wie viele Menschen von einer tödlichen Krankheit betroffen werden, wie ein Partner oder das eigene Kind tödlich verunglücken kann. Da stürzt für uns ja immer eine Welt zusammen, weil wir heute so weit davon entfernt sind zu sagen: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gepriesen sei der Name des Herrn. Aber genau das würde die richtige Haltung ausdrücken, genau zu dieser Haltung muss sich der Mensch durchfinden. Sie können sich selber testen, wie Sie in Ihrem Ich stehen, wenn Sie sich prüfen, wie Sie diese Haltung anmutet! Je weiter Sie so eine Haltung von sich weisen und als unmöglich ablehnen, umso mehr stehen Sie im Ich. In der Unmöglichkeit, so eine Haltung einnehmen zu können, erleben Sie Ihr Ich-Sein. Und Sie werden Ihre Haltung nicht aufgeben, es sei denn, Sie werden dazu gezwungen, wie es in der Depression der Fall ist.

      Wer an diese Grenze kommt, der muss! D. h. es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder man zerbricht oder man stellt sich. Stellen kann man sich nur, wenn man überzeugt ist, dass es nicht Sinn des Lebens sein kann, zu zerbrechen. Da heute bei den meisten Menschen kein tragfähiger religiöser Hintergrund mehr vorhanden ist, an dem sie Halt finden könnten, ist das Zerbrechen näher gerückt

      Die Depression zeigt nur, was ist

      Doch es ist nie zu spät! Die Kraft, die einer aufbringt, sein Leben zu beenden, indem er z. B. ins Wasser geht, wie es in früheren Zeiten unverheiratete Mädchen machten, die schwanger geworden waren, reicht aus, um dieser Situation standzuhalten, wenn man weiß, dass solch ein tiefer Fall notwendig ist, damit das sichtbar wird, was der Mensch eigentlich ist: ein Wesen, das viel mehr ist als nur ein Ich, das den Irrungen und Wirrungen des Lebens hilflos ausgeliefert ist. Und dieses Mehr wird eben erst sichtbar, wenn der Mensch nichts mehr hat, wenn er alles verloren hat, was ihm etwas bedeutet hat, wenn es nichts mehr gibt, woran er einen Halt oder Sinn findet. Es ist der Prozess einer radikalen Demontage deines Wesens, um zu sehen, was danach noch übrig bleibt (VE 141). Eben ein jämmerliches Häufchen Elend! Damit bist du deiner Wahrheit aber ganz nahe gekommen und es ist nichts Beunruhigendes, sondern ein Neubeginn, eine neue Sicht des Lebens setzt sich durch. Keiner gelangt zur Wahrheit, ohne zuvor einen langsamen und qualvollen Prozess der Selbstvernichtung durchlaufen zu haben. VE 155

      Depression ist der Zustand, dass man gezwungen worden ist, das Ruder loszulassen, und nun wird das Schiff unkontrolliert von den Wellen hin- und hergeworfen. VE 142

      Wer dem standhält – und das erfordert ein Kämpfen, zu dem man die Hilfe sämtlicher Götter anflehen muss – dem öffnet sich eine Türe, die vorher nicht zu sehen war. Er erfährt ein Geborgensein und eine Kraft, die erst sichtbar werden, wenn der Mensch nichts mehr in Händen hält. Das ist das „Selig die Armen im Geist“ des NT, das kaum jemand versteht und meistens missverstanden wird. Aber es ist identisch mit dem Leerwerden, das von Meister Eckhart gepredigt wurde. Ein Mensch in der tiefsten Depression ist völlig „arm im Geist“ und völlig „leer“, er hat nichts mehr, was ihn erfreut, was ihm etwas bedeutet, was ihm das Leben lebenswert macht.

      Kampf muss sein

      Wir sind es nicht mehr gewohnt, zu kämpfen. Gerade in einer Zeit, in der alles leicht gemacht wird, in der es für jedes Wehwehchen ein Medikament gibt, der Zahnarzt eine Spritze setzt, bevor er bohrt, gegen jedes kleine Kopfweh eine Schmerztablette und gegen Schlaflosigkeit ein Medikament genommen wird, bleibt es völlig unverständlich, dass man jetzt selber etwas tun muss. Auch neigen wir dazu, die Ursache für unser Unbehagen immer bei anderen zu suchen: Mir geht es nicht gut, weil mich mein Chef gerügt hat, ein Kollege sich lustig über mich gemacht hat, meine Frau nicht mein Lieblingsgericht gekocht hat usw. Immer machen wir andere dafür verantwortlich, wie es uns geht und wir kommen überhaupt nicht auf die Idee, uns selbst in einer Tiefe zu verankern, die es uns ermöglicht, dass uns die Rüge des Chefs nicht umhaut, wir dem Kollegen humorvoll erwidern können und der Frau dankbar sind, dass wir uns auf unser Lieblingsgericht das nächste Mal richtig freuen werden. Dass wir die Ursache für unsere Unzufriedenheit immer an äußeren Umständen und anderen Menschen festmachen, anstatt sie in uns zu suchen, halte ich für eine grundlegende Tatsache des Ich-Seins. Hier eine Änderung herbeiführen zu wollen, halte ich für ein Erfordernis eines anspruchsvollen Menschseins. Damit würde eine Auseinandersetzung beginnen, die einen an den Rand des Menschseins bringt, in deren Gefolge sich Depression, Schizophrenie oder Selbstmordgedanken befinden, weil das eben die Folge ist, wenn man aus einem Geflecht von Lebenslügen heraus nun anfängt, sich seiner Realität zu stellen.

      Man müsste Durchhalten und die Erfahrung machen, dass das, was gedroht hatte, auseinander zu brechen, nicht auseinander bricht. SuE 241 Wer keinen Ausweg mehr sieht, müsste die Neugierde aufbringen, sehen zu wollen, wie es nun weiter geht. Und dieses Sehen wollen ist möglich. Es ist die Fähigkeit, die den, der am Ende ist, doch die Schritte tun lässt, die den Selbstmord herbeiführen. Er ist also noch zu etwas in der Lage, er ist nicht völlig gelähmt; er weiß nur nicht, dass die Ausweglosigkeit, vor der er sich sieht, nur eine Ausweglosigkeit des Ichs ist und nicht seines Menschseins.

      Weil unser ganzes Leben so ausgerichtet ist, dass man immer Leistung bringen muss, ist man überzeugt, dass man wertlos ist in den eigenen Augen und in den Augen der anderen, wenn man seine Schwächen und Unzulänglichkeiten klar sieht. Es scheint einem unmöglich, weiter zu leben mit diesen Defiziten, die man hat, die man aber immer schon gehabt hat, nur jetzt schieben sie sich so in den Vordergrund, man sieht sie so klar, dass man davor nicht mehr bestehen kann. Man ist sich selbst unerträglich. Aber das Scheitern ist nur ein Scheitern der Vorstellungen, mit denen man bisher sich selbst und andere beurteilt hat. Und anstatt die Vorstellungen zu überprüfen und sich neu auszurichten, läuft man davon. Denn Selbstmord ist ein Davonlaufen. Man ist sich selbst zu einer solchen Belastung geworden und ist überzeugt, dass man auch für die anderen, gerade für die, die man liebt, zu einer unerträglichen Belastung geworden ist, dass man lieber den Tod vorzieht als einen neuen Anfang zu setzen, seine Vorstellungen zu überprüfen und der eigenen Realität ins Auge zu schauen, die eben nicht so ist, wie man sie gerne hätte. Man hat immer schon sich und anderen etwas vorgemacht, und jetzt ist die Kraft verschwunden, dies aufrecht zu erhalten. Und man kann sich nicht eingestehen, dass man Geld ausgegeben hat, das man gar nicht besessen hat.

      Gerade wer sehr auf sich bezogen ist, hat nur Meinungen davon, was andere über ihn denken. Im Grunde ist es nur die Meinung, die er von sich selber hat; was andere über ihn denken, hat er gar nie auf ihren Realitätsgehalt hin überprüft, hat gar nie nachgeschaut, ob die anderen wirklich das denken, was er glaubt, dass sie über ihn denken. Häufig würde sich zeigen, dass dem gar nicht so ist. So lebt er unter einer Last, die oft nur eingebildet ist und sich aus dem Kreisen um sich selbst nährt.

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