Spurensuche zur Entwicklungsgeschichte des Menschen. Rolf W. MeyerЧитать онлайн книгу.
einschließlich ihrer fossilen Vorfahren zu einem gemeinsamen Taxon zusammen (Homininae) und stellte dies neben das Taxon der Orang-Utans (Ponginae).
2. Arbeitsmethoden in der Paläoanthropologie sind Hilfsmittel zur Erkenntnisgewinnung
Die Paläoanthropologie ist eine multidisziplinäre Wissenschaft von der Evolution des Menschen (Hominisation). Sie stützt sich unter anderem auf die fossilen Überreste der Homininen. [28] Diese werden im Zusammenhang mit Untersuchungsergebnissen aus verschiedenen benachbarten Forschungsdisziplinen auf der Grundlage der Theorie der biologischen Evolution interpretiert. Beispiele von benachbarten Forschungsgebieten sind: Paläoökologie, Paläogenetik, Paläogeographie und Paläoklimatologie. Welche Arbeitsmethoden stehen den Wissenschaftlern zur Verfügung? [29]
Höhlen, die eine natürliche Sedimentfalle darstellen, gehören zu den bevorzugten Ausgrabungsstätten, da man sie leicht findet und Funde sich im kalkhaltigen Höhlenlehm (basisches Milieu!) gut erhalten. In einem Sediment können mehrere Fundschichten in Form unregelmäßig horizontal verlaufender Besiedlungsschichten vorkommen. Es gibt aber auch Fälle, bei denen sich eine Fundschicht auf mehrere Sedimente verteilt.
Die Höhlengrabung: Nach der Installation eines Quadratmeterrasters an den Höhlenwänden beginnt man mit der Einmessung der Funde. Die innerhalb eines Quadratmeters freigelegten Werkzeuge und Knochen werden gezeichnet oder elektronisch eingemessen. Aus den Daten lässt sich direkt ein 3D-Modell der Fundverteilung erstellen. Die Funde werden fortlaufend nummeriert und einzeln verpackt, um sie im Labor weiter untersuchen zu können. Viertelquadratweise wird das abgetragene Sediment über einem Sieb ausgewaschen (Schlämmverfahren) und auf weitere Funde untersucht.
Bei Geländearbeiten untersuchen Sedimentologen Beschaffenheit und Bildung von fossilführenden Schichtlagen. Tektoniker untersuchen die großräumige strukturelle Geologie eines Gebietes. Paläontologen führen Grabungen durch, wenn die oberflächliche Funddichte sehr hoch ist oder wenn weitere Teile eines Fossils zu erwarten sind. Von der Fossilienfundstelle wird eine Dokumentation unter geographischen, zeitlichen und geologischen Aspekten angefertigt. Wenn Artefakten gefunden werden, führt man archäologische Grabungen durch. Für das Schlämmverfahren benutzt man mehrere Siebgrößen. Vorläufige Konservierungen eines Fossils erfolgen mit Hilfe einer Gipsmanschette. Alle geborgenen fossilen Fundstücke werden mit Fundnummern versehen. Die Katalogbezeichnungen geben in der Regel die sammlungsverwaltende Institution und die Fundregion wieder.
Im Labor werden die Fossilienfunde präpariert und davon Abgüsse hergestellt. Die Computertomographie ermöglicht die Darstellung von Strukturen, die im Knochen liegen. Bei der Untersuchung der Mikroanatomie des Zahnschmelzes und anderer Objekte arbeitet man mit einem Rasterelektronenmikroskop.
Dokumentation der Funde im 3D-Labor: Mithilfe eines Oberflächenscanners oder mithilfe von Photographien wird ein Fundobjekt erfasst und anschließend das 3D-Modell errechnet. Am 3D-Modell lassen sich beispielsweise Löcher im Objekt ergänzen oder Verzerrungen des Fossils, die z.B. durch lange Lagerung im Boden entstanden sind, ausgleichen. Computertomographie-Scanner ermöglichen Innenstrukturen sichtbar zu machen. Die Daten und das Modell können in Internet-Datenbanken weltweit zugänglich gemacht werden. Aus den 3D-Modellen lassen sich im 3D-Drucker genaue Kopien des Originals anfertigen.
Aus den Resten menschlicher Skelette können Anthropologen das Sterbealter, das Geschlecht oder die Körpergröße des Individuums bestimmen. Es lassen sich aber auch Krankheiten oder die Ursachen von Knochenveränderungen ermitteln.
Die Archäozoologie beschäftigt sich mit den Überresten von Tieren aus den archäologischen Grabungen. In erster Linie handelt es sich um die Analyse von Knochen und Zähnen.
Die Archäobotanik versucht die Vegetations- und Agrargeschichte mit Hilfe von Funden pflanzlichen Ursprungs zu rekonstruieren.
Zur Datierung der Fundstücke wendet man absolute Altersbestimmungen an, wie zum Beispiel die Radiokarbonmethode (C-14-Methode) [30] oder die Kalium-Argon-Datierung. [31] Relative Datierungsmethoden (Leitfossilien) vergleichen und bestimmen „älter oder jünger als“.
Altersbestimmung von Knochen mit Hilfe der 14C-Methode: Für die Photosynthese nehmen Pflanzen [14]C aus der Luft auf. Über den Verzehr pflanzlicher Nahrung nehmen es Menschen und Tiere auf. Stirbt der Organismus, wird kein neues 14C mehr aufgenommen. Stattdessen nimmt die Zahl der 14C-Isotope durch den radioaktiven Zerfall ab. Über die Halbwertszeit lässt sich zurückrechnen, wann der Stoffwechsel ausgesetzt hat. Das ist bis zu einem Alter von 50.000 bis 60.000 Jahren möglich. Zur Altersbestimmung wird die aus dem Knochen gesägte Probe chemisch vorbehandelt, um Verunreinigungen durch „modernen“ Kohlenstoff zu entfernen. Die eigentliche Datierung erfolgt mit Hilfe eines ultrasensitiven Massenspektrometers, die sog. AMS-Anlage (Accelerator Mass Spectrometry = Beschleuniger – Massenspektrometrie). Je älter das Objekt ist, desto weniger radioaktiver Kohlenstoff ist nachweisbar.
Isotopenanalyse im Labor: Die Bioelemente Wasserstoff (H), Sauerstoff (0), Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Schwefel (S) treten in Form stabiler Isotope auf. Isotope sind Atome eines chemischen Elements, die sich in der Neutronenzahl und damit in der Masse unterscheiden. Stabile Isotope sind nicht radioaktiv, d.h. sie zerfallen nicht. Alle Lebewesen bestehen aus Isotopen. Die isotope Zusammensetzung der Bioelemente hängt von der jeweiligen Umgebung ab. Jedes Lebewesen verfügt damit über einen „isotopen Fingerabdruck“, der Hinweise auf seine Herkunft oder seinen Lebensbereich gibt. So wird beispielsweise Strontium (Sr) abhängig vom geographischen Ort in unterschiedlichen Isotopenverhältnissen mit der Nahrung aufgenommen und anschließend in Knochen und Zähnen eingelagert. Mit Hilfe eines Massenspektrometers ermittelt man die Isotopenzusammensetzung in den Knochen- und Zahnproben und kann dadurch Aussagen zu Wanderungsbewegungen von frühzeitlichen Menschen und Tieren treffen.
Durch den Vergleich der Messergebnisse von Knochen und Zähnen ist man in der Lage zu sagen, um welche Homininenart es sich jeweils handelt. Knochen geben außer dem archäologischen und individuellen Alter (z.B. nachgewiesen an der Schädelkalotte des Neanderthaler-Fundes von 1856 und an dem Skelett des afrikanischen Homo ergaster, dem sog. „Turkana Boy“) auch Auskünfte über den Ernährungszustand, Erkrankungen, Verletzungen, religiös motivierte Handlungen wie das sekundäre Bestattungsritual, Anpassungen an klimatische Verhältnisse und körperliches Leistungsvermögen.
Nach Winfried Henke lauten die Kernfragen der Paläoanthropologie: [32]
Wer sind unsere nächsten lebenden Verwandten in der Primatenordnung?
Wann und wo, d.h. an welcher Stelle im Primatenstammbaum, zweigte die zum Menschen führende Stammlinie ab?
Welche speziellen evolutionsökologischen Rahmenbedingungen ermöglichten den Prozess der Menschwerdung?
Wie viele fossile hominine Vorläuferformen gab es?
Wie verlief die evolutive Entstehung unseres spezifisch menschlichen Merkmalgefüges?
Über die Schwierigkeiten der Theoriebildung auf dem Gebiet der Paläoanthropologie äußert sich der amerikanische Wissenschaftler David Pilbeam [33] folgendermaßen: „Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass viele Aussagen, die wir über das Wie und Warum der Evolution des Menschen machen, genau so viel aussagen über uns als Paläoanthropologen und die Gesellschaft, in der wir leben, wie über all das, was ‚wirklich‘ passiert ist“. [34]
Dass Klimaveränderungen das Schicksal von Vormenschen- und Frühmenschenarten entscheidend beeinflusst haben, konnten Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Universität Potsdam in einer neuen Studie von 2011 belegen. [35] Anhand von Bohrkernen aus dem Untergrund des indischen und atlantischen Ozeans sowie des Mittelmeeres haben die Potsdamer Wissenschaftler Klimaschwankungen berechnet. Dadurch konnten sie ein mathematisches Modell des Weltklimas über einen Zeitraum von fünf Millionen Jahren entwickeln. Dazu äußert sich Jonathan Donges vom PIK: „Wir können erstmals zeigen, dass das Zusammentreffen von Veränderungen der Schwankungsneigung des Klimas und solchen in der frühmenschlichen Evolution mit