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Hausmannskost statt Hummer am Reisrand. Thimo BeilЧитать онлайн книгу.

Hausmannskost statt Hummer am Reisrand - Thimo Beil


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Seit meinem dritten Lebensjahr kenne ich Urlaub nur in den rollenden vier Wänden. Es mag sein, dass hier ein paar der holländischen Gene über die Grenze geweht wurden, denn unser Haus stand nur etwa 500 Meter von der Grenze entfernt, die aber eigentlich keine wirkliche Grenze war. Ich bin damit aufgewachsen, dass wir immer schon über die Grenze spazieren oder fahren konnten, wann wir es wollten. Das war nach Holland der Fall, ebenso nach Belgien. Denn mein Wohnort lag im Dreiländereck. Die einzige Hürde war ein Zöllner an unserem kleinen Grenzübergang, den im Ort jeder nur „Klappergebiss“ nannte. Er war – oder sah zumindest so aus – schon etwas älteren Jahrgangs und der einzige Zöllner an dieser Grenze, der selbst die Autos, die erkennbar aus der Region kamen, anhielt und dumme Fragen stellte. Ich erinnere mich noch heute an die Dialoge meines Vaters mit ihm, der sich immer fürchterlich über den Grenzer aufregen konnte. „Haben Sie etwas zu verzollen?“ „Nein, habe ich nicht.“ Natürlich hatten wir den Kofferraum voll Kaffee, der „drüben“ billiger war. „Haben Sie in Holland getankt?“ „Nein, habe ich nicht.“ Natürlich war der Tank randvoll mit Diesel, der in Holland damals ungefähr die Hälfte kostete. „Was haben Sie dann drüben gemacht?“ „Ich habe Kunden besucht.“ Mein Vater war ja Versicherungsvertreter und er hatte tatsächlich viele Kunden jenseits der damals noch existierenden Grenze. Meistens Deutsche, die nach Holland gezogen waren, weil die Häuser dort günstiger waren und man dennoch nicht weit zur Arbeitsstelle in Deutschland fahren musste. „Und warum haben Sie Ihren Sohn dabei?“ Mein Vater, nie um eine Antwort verlegen, sagte nur: „Der sitzt da seit gestern, wir bekommen die Kindersicherung nicht mehr auf.“ Und dann gab er Gas. Den wahren Namen von Klappergebiss habe ich nie erfahren, aber wenn ich heute an sein Gesicht zurückdenke, dann habe ich das Bild von Erich Honecker im Kopf, so ähnlich hat auch er ausgesehen. Viele Jahre später erlebte ich selbst eine Situation, die mich doch sehr an diese erinnerte. Ich flog beruflich nach Florida und landete zunächst auf dem internationalen Flughafen in Miami. Da die Amerikaner ein Volk sind, das gerne auch einmal in hektische Panik ausbricht (versuchen Sie mal in einem Supermarkt in New York noch Wassergalonen zu erhaschen, wenn ein Blizzard angesagt ist, da erleben Sie Szenen, die stellen selbst den Kampf um die letzte Banane in der DDR noch in den Schatten), hatte man dort beachtliche Gerätschaften zum Auffinden von Essbarem im Gepäck der Einreisenden aufgestellt. Man hatte Angst vor dem Import der Maul- und Klauenseuche. Bitte, ich möchte mich darüber nicht lustig machen, aber wer einmal erlebt hat, wie man in den USA darauf reagiert, wenn einer nur einen kleinen Schnupfen hat und dreimal hintereinander niest, der weiß, wovon ich spreche. Ich hatte also schon die Zollkontrolle hinter mich gebracht und stratzte mit meinem gerade vom Gepäckband abgeholten Koffer Richtung Ausgang, da musste ich meine Habe inklusive Handgepäck nochmals in eine Röhre pressen, um sie auf frische Lebensmittel untersuchen zu lassen. Natürlich war ich mir meiner Sache sicher und tat wie befohlen. Plötzlich stoppte das Band und ich hörte den finster dreinblickenden Menschen hinter dem Monitor etwas von „Second Inspection“ brabbeln, also eine zweite Durchsuchung. Und dann folgte das ganze Programm. Koffer auf, Rucksack auf, alles durchwühlen. Zu meiner eigenen Überraschung tauchte aus meinem Rucksack eine Packung Schokoriegel mit Milchfüllung auf, Kinderschokolade eben. Und der Zöllner hatte so etwas natürlich noch nicht gesehen. Der Dialog spielte sich genauso ab. „Was ist das denn“? „Sieht aus wie Schokolade.“ „Und was ist das Weiße da?“ „Könnte eine Milchfüllung sein.“ „Finden Sie das witzig?“ „Nein, lecker, aber ich weiß nicht, wo die herkommt. Ich denke, meine Frau hat sie mir heimlich eingesteckt.“ „Das ändert nichts daran, dass Sie die nicht einführen dürfen.“ „Aber das ist doch nur Schokolade.“ „Und was noch?“ „Milch.“ „Und wo kommt die Milch her?“ „Aus einer Kuh.“ „Eben, und das kommt hier nicht rein.“ „Aber die sind lecker.“ „Echt?“ Die Szene endete damit, dass wir die Packung öffneten und den Inhalt zusammen verdrückten. Das ist also noch mal gut gegangen. Ob der Zöllner nun nach Feierabend aufgrund der Tatsache, dass er möglicherweise verseuchte Milch verputzt hatte, nicht mehr ins Land durfte, weiß ich leider nicht.

      Unser erster Wohnwagen war einer der Marke „Knauss“. Eine winzige Flitzpiepe, aber er konnte von unserem Golf GLS (mit 75 PS) gezogen werden. Das Ding bot gerade einmal ausreichend Platz für uns vier. Die Katze, die später immer mit in Urlaub fuhr, hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es waren zwei Betten vorhanden – besser gesagt, man konnte die beiden Sitzgruppen in zwei solche verwandeln –, aber keine Heizung. Und dieser Umstand wurde uns einmal zum Verhängnis, als wir eines Morgens allesamt bibbernd in Mulartshütte (einem Kaff in der Eifel) aufwachten, weil es über Nacht plötzlich eiskalt geworden war und geschneit hatte. Der anschließend erworbene Elektroheizer brachte auch nicht die erwünschte Wirkung und sorgte nur dafür, dass die Sicherung für unseren Stellplatz ständig heraussprang. Und mit ihr die der anderen Camper auf dem Platz. Um die Geschichte abzukürzen: wir bekamen einen neuen Wohnwagen und noch einen neuen und so weiter. Die Gefährte inklusive Auto wuchsen mit fortschreitenden Einkünften meines Vaters. Und die neueren Modelle hatten neben einer Heizung sogar einen eigenen Waschraum mit eigener Toilette. Die Dinger hießen Porta Potti. Da passte gerade einmal ein Kinderhintern drauf, gespült wurde mit einer anfangs blauen Flüssigkeit mit dem Namen Aquakem, indem man mit der Hand pumpte. Die späteren Modelle hatten eine elektronische Spülung und das fortschreitende Umweltbewusstsein brachte solche Dinge wie Biokem hervor. Den Unterschied in der Zusammensetzung kann und will ich Ihnen nicht erklären, ich weiß nur noch, dass dieses Zeug grün war statt blau. Wir haben die verschiedensten Städte und Regionen besucht. Wenn wir nicht gereist sind, stand der Wohnwagen auf einem sogenannten Dauerstellplatz rund 30 Kilometer entfernt von unserem Wohnort, und da sind wir jeden Freitagnachmittag hin. Da war alles, was man sich als Kind wünschte: andere Kinder, viel Natur, ein Baggersee und viele nette Camper, die es gut mit einem meinten. Ich hatte in meinen ganz jungen Jahren mit einer Bronchitis zu kämpfen und so kam es, dass wir auf Rat unseres Hausarztes häufig an die Nordsee fuhren. An die deutsche Nordsee. Das ist aus Sicht eines Grenzländers nicht ganz so selbstverständlich, denn der Teil der Nordsee, der am nächsten lag, war die holländische Nordsee. Genauer gesagt die Insel Walcheren mit ihren wunderschönen Örtchen Westkappelle und Zoutelande. Um nur zwei zu nennen, in denen die Menschen aus meiner Region an jedem langen Wochenende einfallen, um sich an Friet Speciaal und Bitterballen gütlich zu halten.

      Uns aber hat es zur deutschen Nordsee gezogen. Wir sind, glaube ich, hintereinander sieben Jahre an die gleiche Stelle gefahren. Ein Kaff mit Namen Nordholz, mit einem Campingplatz in einem dazugehörigen noch kleineren Kaff genannt Spieka-Neufeld. Der Campingplatz lag vor dem Deich, er war also gewissermaßen ungeschützt den Launen der Nordsee ausgeliefert. Für uns Kinder war es ein Traum. Man traf sich jedes Jahr wieder, es kamen immer wieder neue Camper dazu. Ich hatte mich recht schnell in ein blondes Mädchen namens Birgit verknallt, ich meine, ich war nicht mal fünf und sie war ein paar Jahre älter, aber wir hatten eine gewisse Sympathie füreinander. Dabei kenne ich nicht mal ihren Nachnamen. Für mich war sie immer die Birgit aus Höxter. Sie war jedes Jahr dort, die Familie hatte einen Dauerstellplatz. Für uns Kinder war dieser Platz das Paradies. Als Platzwart, Kassierer, Putzkolonne fungierte ein älterer Herr mit seiner Frau, die beiden hießen Schade. Im Grunde war der Platz einfach nur eine Wiese. Man stand mit seinem Wohnwagen direkt an der Fahrrinne, durch welche die Krabbenkutter hereinfuhren und den Fang 300 m weiter landeinwärts von Bord luden. Ein herrliches Spektakel. Man bekam als Kind von den Fischern eine Handvoll Krabben für 50 Pfennig. Und wir Kinder hatten schnell raus, wie wir an dieses Geld herankommen konnten, ohne unsere Eltern anzupumpen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Platz und hilfreiche Hände – auch wenn es Kinderhände waren – wurden immer gebraucht. So kurz wir noch waren, hatten wir aber durchaus schon Erfahrung im Aufbauen von Zelten, dem Aufbocken von Wohnwagen auf die Stützen, damit sie nicht wackeln. Wir holten auch Frischwasser und was sonst noch so anfiel und wir erledigen konnten. Dabei fiel immer die eine oder andere Mark ab. Frisch zu Geld gekommen warteten wir auf die Kutter versuchten möglichst noch vor diesen am Anlageplatz zu sein. Die Schiffe waren durchnummeriert, sie trugen die Namen Spieka 1, Spieka 2 und so weiter. Jeder von uns hatte sein Lieblingsschiff. Meins war blau, den Namen – bzw. die Nummer – weiß ich leider nicht mehr. Aber es war ein großer Spaß, wir durften in die Krabbenkisten greifen und uns eine Handvoll rausholen. Die Krabben waren bereits gekocht, das wurde auf dem Schiff erledigt, aber ungepult, wie man dort sagt. Also haben wir uns die Viecher gegriffen und in unsere Öljacken gesteckt. Damit sind wir dann zum


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