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Das Bildnis des Dorian Gray. Oscar WildeЧитать онлайн книгу.

Das Bildnis des Dorian Gray - Oscar Wilde


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verloren. Daran erkennt man sie.«

      Der alte Herr brummte zustimmend und läutete seinem Diener. Lord Henry ging durch den niedrigen Säulengang nach Burlington Street und wandte seine Schritte in der Richtung nach Berkeley Square.

      Das war also die Geschichte der Eltern Dorian Grays. So roh die Form war, in der sie ihm berichtet worden, hatte sie ihn doch erregt und ihm den Eindruck eines seltsamen, fast modernen Romans gemacht. Eine schöne Frau, die alles um eine wahnsinnige Leidenschaft wagt. Ein paar wilde Wochen des Glücks, kurz abgeschnitten durch ein scheußliches, verräterisches Verbrechen. Monate sprachloser Verzweiflung und dann ein Kind, das in Schmerzen geboren wurde. Die Mutter vom Tode weggenommen, der Knabe in Einsamkeit und der Tyrannei eines lieblosen alten Mannes überlassen. Ja, das war ein interessanter Hintergrund. Er gab dem jungen Menschen Relief, machte ihn vollkommener als zuvor. Hinter allem Erlesenen in der Welt lag etwas Tragisches, Welten hatten kreisen müssen, damit das unscheinbarste Blümchen aufblühen konnte ... Und wie entzückend war er gestern abend gewesen, als er mit erschreckten Augen, die Lippen in scheuer Luft geöffnet, ihm im Klub gegenüber saß und die roten Schirme der Kerzen das erwachende Wunder seines Gesichts noch rosiger färbten. Zu ihm sprechen war, wie wenn man auf einer köstlichen Geige spielte. Er entsprach jedem Strich und jeder zitternden Bewegung des Bogens ... Es war doch etwas schrecklich Unterjochendes in der Ausübung eines Einflusses. Keine andre Betätigung war ihr zu vergleichen. Seine Seele in eine anmutige Gestalt zu projizieren und sie dort einen Augenblick verweilen zu lassen; seine eigenen Geistestendenzen im Echo zu hören, vermehrt um all die Musik der Leidenschaft und Jugend; sein Temperament in ein andres hineinzuleiten, als ob es ein feines Fluidum oder ein seltsamer Duft wäre: darin lag eine wahrhafte Freude – vielleicht die befriedigendste Freude, die uns in einer Zeit geblieben, die so beschränkt und gemein war wie unsre, die in ihren Genüssen so grob fleischlich und in ihren Zielen so grob gewöhnlich war ... Auch war er ein wunderbarer Typus, dieser Jüngling, den er durch so seltsamen Zufall in Basils Atelier kennen gelernt hatte, oder konnte wenigstens zu einem wundervollen Typus gemodelt werden. Grazie war ihm verliehen und die weiße Reinheit der Knabenunschuld, und Schönheit, wie sie alte griechische Marmorwerke bewahrten. Es gab nichts, was sich nicht aus ihm machen ließ. Er konnte zu einem Titanen oder zu einem Spielzeug gemacht werden. Was war es für ein Jammer, daß solche Schönheit zum Verwelken bestimmt war! ... Und Basil? Wie interessant er, psychologisch betrachtet, doch war! Die neue Art in der Kunst, die neue Weise, das Leben anzusehn, so seltsam erweckt durch das bloße sichtbare Dasein eines Menschen, der von alledem nichts wußte; der stille Geist, der in einer düsteren Waldlandschaft wohnte und ungesehen im freien Felde wandelte, zeigte sich plötzlich, dryadengleich und ohne Scheu, weil in der Seele dessen, der auf der Suche nach ihm war, die wundervolle Vision erwacht war, der allein wundervolle Dinge offenbart werden. Die bloßen Formen und Abbilder von Dingen wurden gleichsam geläutert und erlangten eine Art symbolischer Bedeutung, als ob sie selber Abbilder einer andern und vollendetern Form wären, deren Schatten sie zur Wirklichkeit machten: wie seltsam das alles war! Er erinnerte sich an Ähnliches in der Geschichte. War es nicht Plato, der Künstler in der Welt des Denkens, der es zuerst untersucht hatte? War es nicht Buonarroti, der es in die farbigen Marmorstücke einer Sonettenfolge gemeißelt hatte? Aber in unserm Jahrhundert war es seltsam ... Ja, er wollte den Versuch machen, für Dorian Gray zu sein, was, ohne es zu wissen, der Jüngling dem Maler war, der das wundervolle Porträt geschaffen hatte. Er wollte suchen, in ihm Herr zu sein – hatte es in Wahrheit bereits halb und halb erreicht. Er wollte diesen wundervollen Geist zu seinem eigenen machen. Es war etwas unwiderstehlich Anziehendes in diesem Kind der Liebe und des Todes.

      Plötzlich blieb er stehen und blickte an den Häusern empor. Er merkte, daß er schon vor einer Weile am Hause seiner Tante vorübergegangen war, und kehrte still lächelnd wieder um. Als er in die etwas düstere Halle eintrat, sagte ihm der Diener, man habe bereits mit dem Frühstück begonnen. Er gab einem Lakaien Hut und Stock und ging ins Speisezimmer.

      »Spät, wie gewöhnlich,« rief seine Tante und schüttelte den Kopf.

      Er erfand geschickt eine Entschuldigung, setzte sich auf den leeren Stuhl neben ihr und blickte sich um, um zu sehen, wer da war. Dorian, der am Ende der Tafel saß, grüßte ihn schüchtern, und ein freudiges Erröten trat auf seine Wangen. Gegenüber saß die Herzogin von Harley, eine bewunderungswürdig gutmütige und gut gelaunte Dame, die jeder gern hatte, der sie kannte, und die in den umfangreichen Maßen gebaut war, die man bei Frauen, die nicht Herzoginnen sind, Beleibtheit nennt. Neben ihr, zu ihrer Rechten, saß Sir Thomas Burdon, ein radikales Parlamentsmitglied, das im öffentlichen Leben seinem Leader und im Privatleben den besten Köchen folgte, und in Gemäßheit einer weisen und wohbekannten Regel mit den Tories speiste und mit den Liberalen dachte. Den Platz zu ihrer Linken nahm Herr Erskine of Treadley ein, ein alter scharmanter und gebildeter Herr, der jedoch die schlechte Gewohnheit des Schweigens angenommen hatte, da er, wie er einmal Lady Agatha erklärt hatte, mit allem, was er zu sagen hatte, vor seinem dreißigsten Lebensjahr fertig geworden war. Seine eigene Nachbarin war Frau Vandeleur, eine der ältesten Freundinnen seiner Tante, eine vollkommene Heilige unter Frauen, aber so schrecklich angezogen, daß sie einem wie ein geschmacklos gebundenes Gebetbuch vorkam. Zum Glück für ihn hatte sie an der andern Seite Lord Faudel, eine sehr intelligente Mittelmäßigkeit im besten Alter, der so kahl war wie die Mitteilung eines Ministers im Unterhaus, und mit dem sie sich in dem tiefernsten Tone unterhielt, der, wie Lord Henry einmal selbst bemerkt hatte, der eine unverzeihliche Fehler ist, in den alle wahrhaft guten Menschen verfallen, und den keiner unter ihnen ganz vermeiden kann.

      »Wir sprechen über den armen Dartmoor, Lord Henry,« rief die Herzogin und nickte ihm vergnügt über den Tisch weg zu. »Glauben Sie, daß er wirklich dieses reizende junge Mädchen heiraten wird?«

      »Ich glaube, Frau Herzogin, sie hat sich in den Kopf gesetzt, um ihn anzuhalten.«

      »Wie schrecklich!« rief Lady Agatha. »Wirklich, es sollte sich jemand ins Mittel legen.«

      »Ich erfahre aus vorzüglicher Quelle, ihr Vater habe ein amerikanisches Kurzwarengeschäft,« sagte Sir Thomas Burdon mit stolzem Blick.

      »Mein Onkel hat bereits behauptet, er habe eine Schweinefleischpackerei, Sir Thomas.«

      »Kurzwaren! Was sind amerikanische Kurzwaren?« fragte die Herzogin und erhob staunend ihre großen Hände.

      »Amerikanische Romane,« antwortete Lord Henry.

      Die Herzogin machte ein erstauntes Gesicht.

      »Hören Sie nicht auf ihn, Liebste,« flüsterte Lady Agatha.

      »Er meint nie im Ernst, was er sagt.«

      »Als Amerika entdeckt wurde,« hub der radikale Abgeordnete an und ließ etliche langweilige Tatsachen los. Wie alle Menschen, die ein Thema erschöpfen wollen, erschöpfte er seine Zuhörer.

      Die Herzogin seufzte und übte ihr Vorrecht, zu unterbrechen. »Wollte Gott, es wäre überhaupt nie entdeckt worden!« rief sie aus. »Wahrhaftig, unsre jungen Mädchen haben keine Aussichten heutzutage. Es ist empörend!«

      »Wenn man's recht betrachtet, ist Amerika vielleicht gar nicht entdeckt worden,« sagte Herr Erskine in orakelhaftem Ton; »ich würde vorziehen zu sagen: man ist dahinter gekommen.«

      »Aber ich habe Exemplare der Einwohnerinnen gesehen,« antwortete die Herzogin zerstreut. »Ich muß gestehen, die meisten von ihnen sind überaus hübsch. Und zudem ziehen sie sich gut an. Sie lassen alle ihre Kleider in Paris machen. Ich wollte, ich könnte mir das auch leisten.«

      »Man sagt, wenn gute Amerikaner sterben, gehen sie nach Paris,« kicherte Sir Thomas, der einen großen Schrank voll abgelegter Witze besaß.

      »Wirklich? Und wohin gehen schlechte Amerikaner, wenn sie sterben?« fragte die Herzogin.

      »Sie gehen nach Amerika,« murmelte Lord Henry.

      Sir Thomas runzelte die Stirn. »Ich fürchte, Ihr Neffe hat ein Vorurteil gegen dieses große Land,« sagte er zu Lady Agatha. »Ich habe ganz Amerika bereist, in Salonwagen, die die Direktionen mir stellten. Man ist dort in diesen Dingen äußerst entgegenkommend. Ich versichere Sie, es ist ein Bildungselement, das Land kennen zu lernen.«

      »Aber


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