Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
theatralisch auf die Haustür. »Soll ich mir vielleicht von diesen Scheuerfrauen, diesen schlampigen Weibern, alles gefallen lassen – ich, Kenneth Nelson, Mitglied der Königlichen Akademie? Ich dulde das nicht!«
»Komm doch bitte ins Haus, Vater. Willst du denn wirklich ganz Beverley zum Zeugen haben –«
»Dieses verdammte Nest! Ich bin erhaben über Beverley Green, wo nur Marmeladenfritzen wohnen – geh auf dein Zimmer, Stella!«
Aber sie rührte sich nicht.
Andy glaubte, daß es jetzt Zeit sei, sich bemerkbar zu machen.
»Ach, guten Abend, Mr. Macleod!« Nelson war plötzlich so liebenswürdig, daß man ihn fast nicht wiedererkannt hätte.
»Guten Abend, Mr. Nelson. Ich möchte gern noch ein wenig mit Ihnen plaudern.«
Er nahm den Maler am Ann und führte ihn ins Haus. Stella folgte ihnen.
Sie war dankbar, obgleich sie sich fürchtete. Und doch war sie auch wieder begierig, mehr von diesem Mann zu erfahren und ihn aus der Nähe zu sehen. Sie fühlte sich gedemütigt, daß sie ihn in einer so peinlichen Situation kennenlernen mußte. Das erste, was sie an ihm beobachtete, war seine Kraft. Sie sah, daß er gewohnt war, mit Leuten umzugehen, und spürte etwas von der überlegenen Wirkung seiner Persönlichkeit. Vielleicht überschätzte sie seinen Einfluß, weil ihr Vater ihm so gehorsam und ohne Widerstreben folgte.
»Ich habe gerade zwei unverschämte Dienstmädchen hinausgeworfen, zwei ganz gemeine Weiber, Mr. Macleod«, sagte Nelson, der plötzlich wieder in seinen alten, anmaßenden Ton verfiel. »Diese Leute aus den unteren Schichten führen sich immer unerträglicher auf. Stella, ich kann deine Wahl eigentlich nicht billigen – wirklich, die beiden haben mich sehr enttäuscht. Hole Mr. Macleod jetzt etwas zu trinken. Ich werde zur Gesellschaft ein Gläschen mittrinken.«
»Nun, dann trinken wir am besten ein Gläschen Wasser miteinander«, meinte Andy lächelnd.
»Wasser!« rief Nelson verächtlich. »Solange ich noch ein Haus und einen Keller habe, geht kein Gast von meiner Schwelle, lieber Freund, ohne daß ich ihm nicht einen Becher dieses schönen Getränkes aus Schottland kredenzt habe!« Er lachte unbändig.
Andy hatte erwartet, Stella niedergeschlagen und bedrückt zu sehen. Die Selbstbeherrschung, die sie in diesem kritischen Augenblick bewahrte, verriet, daß sie an solche Szenen gewöhnt war. Sie tat ihm unendlich leid, sie schien noch sehr jung zu sein, fast noch ein Kind. Er bewunderte die zarte Reinheit ihrer Haut, die Anmut ihrer Gestalt. Und doch war es nicht das, was ihn so tief ergriff.
Sie machte keinen Versuch, Whisky zu holen, denn sie wußte, daß keiner im Hause war.
»Der Keller ist leer, Vater«, erwiderte sie trocken. »Die Winzer streiken.«
Der Spott brachte ihn wieder zur Raserei, und er drehte sich wütend nach ihr um, aber Andys Blick bannte ihn.
»Miss Nelson, könnte ich Ihren Vater ein paar Minuten allein sprechen? Ich möchte etwas mit ihm beraten.«
Sie nickte und ging hinaus.
»Aber, mein Lieber ...« versuchte Nelson schwach zu protestieren.
»Sie nannten mich vorhin Mr. Macleod – Sie haben vergessen, daß ich Arzt bin. Haben Sie in der letzten Zeit einen Arzt konsultiert?«
»Nein, das hatte ich nicht nötig, meine Gesundheit ist in bester Ordnung«, erwiderte Mr. Nelson trotzig.
»Davon ist sie so weit entfernt, daß Sie dicht vor einem vollständigen Zusammenbruch stehen, von dem Sie sich niemals wieder ganz erholen werden. Ohne daß ich Ihr Herz untersucht habe, kann ich Ihnen sagen, daß sie böse Kreislaufstörungen haben. Nun erschrecken Sie, weil Sie wissen, daß ich recht habe. Sie werden das nächste Jahr nicht überleben, wenn Sie nicht aufhören zu trinken.«
Nelson blinzelte.
»Sie wollen mir nur Angst einjagen. Ich weiß selbst, daß es nicht richtig ist zu trinken. Aber ich bin doch noch nicht so kindisch, wie Sie denken. Ich trinke ja nur, weil ich soviel Sorgen habe, Mr. – Doktor Macleod.«
»Sie können sich die meisten Sorgen ersparen, wenn Sie keinen Whisky mehr anrühren. Gestatten Sie, daß ich morgen wiederkomme und Sie untersuche? Wer ist eigentlich Ihr Arzt?«
»Doktor Granitt aus Beverley. Ich habe ihn aber niemals meiner eigenen Gesundheit wegen zu Rate ziehen müssen. Er hat meine arme Frau während ihrer letzten Krankheit behandelt.«
»Nun gut, ich werde Sie untersuchen, und er kann dann Ihre Behandlung übernehmen. Wir werden Sie zusammen ein zweites Mal untersuchen.«
»Ich weiß aber gar nicht, warum«, begann Nelson in seinem alten anmaßenden Ton.
Aber Andy überging seine Einwände.
»Ich möchte Ihre Tochter nicht zu sehr erschrecken«, sagte er leise, »Wir werden deshalb nicht weiter über die Sache sprechen, wenn sie kommt.«
Als Stella gleich darauf wieder in das Zimmer trat, fand sie ihren Vater lammfromm, bescheiden und ruhig. Kenneth Nelson empfand nun doch eine gewisse Furcht und konnte sich davon nicht so schnell erholen.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich zu Bett gehe, Stella. Ich habe mich schon während der letzten Tage nicht wohl gefühlt.« Andy amüsierte sich über ihn, aber er ließ sich nichts merken. Er ging zur Tür und wartete dort, bis Stella einen kleinen Schal umgelegt hatte. Er war aus schwarzer Seide und trug in einer Ecke ein roteingesticktes Monogramm. Alles an ihr interessierte ihn in hohem Maße. Als sie miteinander zum Gartentor gingen, erzählte er ihr, was er mit ihrem Vater besprochen hatte.
»Ich weiß sehr wohl, daß er nicht an Kreislaufstörungen leidet, aber ich werde Doktor Granitt besuchen. Ich kenne seinen Sohn sehr gut – wir waren zusammen auf der Universität. Wir können uns ja irgendeine komplizierte Krankheit ausdenken, die Ihrem Vater das Trinken zum mindesten auf eine längere Zeit verleidet.«
»Ja, vielleicht ist das möglich«, sagte sie unsicher.
»Sie haben keine Hoffnung mehr?«
»Mit der Zeit verliert man sie.«
»Ich möchte Ihnen darauf etwas erwidern. In London gibt es Taxis, die einem gewissen Stadmere gehören. Diese Stadmere-Wagen sind die besten ihrer Art. Ich habe mir angewöhnt, wenn ich nicht gerade in der größten Eile bin, auf ein solches zu warten. Dabei ist mir aufgefallen, daß sofort ein Stadmere-Taxi auftaucht, wenn man sich fest entschließt, ein solches zu nehmen.«
»Das ist ein Gleichnis.« Sie lächelte. »Aber ich warte auf etwas, das mehr ist als ein Stadmere-Taxi – ich warte auf ein Wunder.«
»Ich habe sogar erlebt, daß Wunder geschehen, und es lohnt sich wirklich, auf sie zu warten. Wenn man jung ist, verrinnen die Tage schnell, und die Jahre erscheinen wie Ewigkeiten, so daß man ungeduldig wird.«
»Sie sprechen wie ein alter Mann«, versuchte sie zu scherzen, obwohl ihr nicht danach zumute war.
»Das mag stimmen. Zwar, werde ich auch noch manchmal ungeduldig, aber ich habe das Warten gelernt!«
Er hielt ihre Hand einen Augenblick in der seinen. Sie sah ihm nach, als er über den Rasen davonschritt, bis seine Gestalt immer undeutlicher wurde und im Tor des Gästehauses verschwand.
8
Tage vergingen. Andy beschloß, noch eine weitere Woche zu bleiben. Er suchte Dr. Granitt auf und beriet mit ihm. Der Dorfarzt besuchte Nelson auch, und obwohl er keine Kreislaufstörungen feststellen konnte, ließ er seinen Patienten doch mit dem Eindruck zurück, daß er eine ganze Anzahl böser Leiden habe.
Andy hatte Stella nur einmal aus der Entfernung wiedergesehen. Sein Urlaub näherte sich nun seinem Ende, und es wäre wirklich ratsam gewesen, wenigstens die letzte Woche noch mit Fischen und Angeln zu verbringen, wie er es ursprünglich geplant hatte. Aber sein Zimmer im Gästehaus war wirklich schön, der Golfplatz ausgezeichnet, und es war eigentlich kein Grund vorhanden, warum er nun gerade