Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Artur pfiff leise vor sich hin. Im Augenblick konnte er die ganze Tragweite seiner Entdeckung noch nicht übersehen. Nachlässig prüfte er die Banknoten, es war eine große Summe, und er steckte sie in seine Brieftasche. Hier war wenigstens ein greifbarer Wert, ein nicht unbeträchtliches Legat. Die anderen Schriftstücke waren lange Listen von Sicherheiten. Er schloß die Listen und die Heiratsurkunde in einen kleinen Geldschrank, der in die Wand eingelassen war, und überließ sich seinen Gedanken.
Um halb elf ging er aus. Die Nacht war klar und schön. Aus einem Garten am Ende der Straße hörte er Stimmen herüberschallen.
In Stellas Halle brannte noch Licht. Wenn er zu ihr ging, lief er allerdings Gefahr, Andrew Macleod zu treffen, der ihn ausfragen würde, wenn er die Wechsel zeigte.
Aber Stella war allein.
»Kann ich dich einen Augenblick sprechen, Stella? Ich werde dich nicht lange aufhalten.«
»Ja – Sie können mich hier an der Tür sprechen, Mr. Wilmot. Ich hoffe, daß Sie sich kurz fassen.«
»Ich kann dir aber doch unmöglich alles hier sagen«, erwiderte er und unterdrückte seinen Ärger.
Sie blieb fest.
»Ich kann Sie nicht hereinbitten. Es ist schon sehr entgegenkommend von mir, wenn ich überhaupt noch mit Ihnen spreche.«
»Meinst du?« rief er aufgebracht. »Aber vielleicht wirst du sehr bald dahinterkommen, daß es außerordentlich liebenswürdig von mir ist, daß ich noch mit dir rede.«
Sie wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, doch er war schneller als sie und stellte den Fuß dazwischen.
Sie wurde zornig: »Ich werde meinen Vater rufen!«
»Bitte, tu es doch! Ich hätte gern eine Erklärung von ihm, wie die Unterschrift meines Onkels auf zwei Wechsel zugunsten Selims kommt.«
Er war zu aufgeregt, um zu hören, wie schwer sie atmete, aber der Druck gegen die Tür ließ plötzlich nach. Stella war an die Wand getaumelt, ihre Arme hingen schlaff herunter, ihr Köpf war auf die Brust gesunken.
»Kommen Sie herein«, sagte sie mit heiserer Stimme.
Artur Wilmot trat mit Siegermiene ein und hängte seinen Hut an den Garderobenständer. Dann folgte er ihr ins Wohnzimmer.
Sie setzte sich und schaute zu ihm hinüber. Eine Leselampe, deren Schirm ihre Augen verdeckte, stand zwischen ihnen. Aber er sah ihre zitternden Lippen und empfand höchste Genugtuung.
»Dein Vater hat den Namen des Akzeptanten gefälscht«, begann er ohne weitere Einleitung, obwohl er sich die Sache vorher anders überlegt hatte.
»Kann ich einmal – die – die Wechsel sehen?«
Er entfaltete sie und legte sie auf den Tisch.
»Ja, sie sahen ganz ähnlich aus«, sagte sie dann gebrochen. »Ich weiß mit solchen Dingen sehr wenig Bescheid. Aber sie sahen wirklich ganz ähnlich aus, Vermutlich waren die beiden Scheine, die ich fortnahm, Nachahmungen. Er wollte mich damit nur zum besten haben, und ich dachte, sie seien echt –«
»Dann warst du also am Sonntag abend in seiner Wohnung?« fragte er. »Ich habe dich nämlich hineingehen sehen, und ich beobachtete auch, wie du sein Haus wieder verließest. Du wolltest diese Wechsel von ihm haben, und er hat dir die falschen gegeben. Du hast die Wechsel also gestohlen, aber der Alte hat dich angeführt! Natürlich hat er dich hereingelegt! Was gedenkst du nun in dieser Angelegenheit zu tun?«
Sie antwortete nicht.
»Ich werde dir die einzige Lösung sagen, die dir übrigbleibt. Du wirst vernünftig sein und mich heiraten. Dieser verdammte Detektiv kann dir doch nichts bedeuten. Er ist doch nur ein besserer Polizist. Du mußt etwas auf dich halten! Es ist unter deiner Würde, mit einem solchen Menschen zu verkehren. Ich werde dir die beiden Wechsel als Hochzeitsgeschenk überreichen. Solltest du dich aber weigern, wird es böse werden. Dem Gesetz nach sind die Wechsel in meinen Besitz übergegangen. Ich bin der Erbe meines Onkels, auch alle seine Forderungen gehen auf mich über. Ich werde Mr. Nelson dahin bringen, wohin er gehört. Ich habe ihn jetzt ganz in meiner Gewalt! Sieh hier – mein Onkel hat auf dieses Papier geschrieben: ›Diese beiden Wechsel sind Fälschungen.‹ Dieses Zeugnis genügt, Stella!«
Er ging um den Tisch herum und streckte ihr die Hände entgegen, aber sie hatte sich erhoben und drehte ihm den Rücken zu.
»Nun gut, beschlafe die Sache erst noch einmal und überlege dir alles, ich werde morgen wiederkommen. Du kannst Macleod nichts von dieser Geschichte erzählen, ohne ihm zu gestehen, daß dein Vater ein Betrüger ist, und das würde doch etwas zuviel für ihn sein. Er hat sein Bestes getan, dich vor Unannehmlichkeiten zu bewahren, aber nun wäre es seine Pflicht, gegen deinen Vater vorzugehen. Also sei vernünftig, Stella!«
Er stand an der Tür und schaute noch einmal zurück. Als er sie schloß, lächelte er, und lächelnd öffnete er die Gartenpforte. Aber in diesem Augenblick legte sich plötzlich eine große Hand auf seinen Mund, und er wurde heftig zurückgerissen. Bevor er noch wußte, was geschehen war, hatte ihn jemand mit der einen Hand an der Kehle gepackt und mit der anderen seine Taschen durchsucht. Er schaute in das wütende Gesicht eines Mannes, der eine Brille trug.
»Sie wagen es, ihr zu drohen, und sitzen selbst in der Patsche? Erzählen Sie es doch Macleod! Er wird Ihre Wohnung noch heute abend durchsuchen lassen! Wo haben Sie denn diese Wechsel her?«
»Geben Sie mir die – Papiere zurück«, sagte Wilmot mit zitternder Stimme. ›Vieraugen-Scottie‹ grinste unangenehm.
»Gehen Sie doch hin und melden Sie die Sache der Polizei. Vielleicht kann die Ihnen die Papiere wieder beschaffen!«
Artur Wilmot schlich nach Hause, er war wirklich keine Kämpfernatur.
16
»Eine gute Tat«, sagte Scottie, »trägt ihre Belohnung in sich selbst. Und ich fühle, daß ich ganz so handle, wie es in diesen schönen Geschichten steht, die von gebesserten Sträflingen handeln. Als ich zum letztenmal im Gefängnis war, habe ich dort eine ganze Bibliothek von Büchern über die guten Taten ehemaliger Sträflinge gefunden. Oft wurden sie durch das Lächeln eines Kindes von weiterer Schande gerettet. Manchmal war es die Tochter des Gefängnisdirektors, manchmal die Schwester des Geistlichen. Ihr Alter schwankte zwischen neun und neunzehn Jahren. Und die Erinnerung an ihre blauen Augen bewog jeden, seine Verbrecherlaufbahn aufzugeben. Das war das Ende!«
»Sie reden nur soviel, damit ich nicht weinen muß«, sagte Stella leise.
Im Kamin rauchte wieder ein Haufen verbrannter Papiere.
»Die Stecknadel hätten Sie nicht verbrennen sollen,« Scottie hob sie sorgfältig auf, so heiß sie auch war, und steckte sie unter seinen Rockaufschlag. »Verbranntes Papier ist verbranntes Papier, aber nehmen Sie einmal an, Artur Wilmot rennt wirklich zur Polizei und erzählt die Geschichte von den beiden Wechseln, die mit einer Stecknadel zusammengeheftet waren, und man findet dann die Asche der Papiere und eine angebrannte Stecknadel? Das würde doch seine Aussagen bestätigen, und das wäre mir sehr peinlich.«
»Sie haben alles gehört?« fragte sie und trocknete ihre Augen.
»Das meiste«, gestand Scottie. »Ich stand gerade im Garten, als er mit Ihnen an der Haustür sprach. Die Tür blieb offen, und ich konnte fast alles hören. Der Mann ist noch lange kein richtiger Erpresser. Der müßte erst noch fünf Jahre in die Lehre gehen, bis er so etwas ordentlich anfängt. Er ist zu nervös, außerdem schwatzt er zuviel. Aber diese Eigenheit besitzen alle Bewohner von Beverley Green. Sie sehen mich so zweifelnd an, Miss Nelson – vielleicht denken Sie, daß ich auch zuviel rede? Das stimmt, aber was ich sage, hat Hand und Fuß. Ich weiß Bescheid. Wenn man, wie ich, die ganze Welt gesehen hat, durch Kanada, die Vereinigten Staaten, Australien, Südafrika und diese Inseln gekommen ist, erweitert man seine Kenntnisse. Und ein gelegentlicher Aufenthalt im Gefängnis vertieft das Wissen.«
»Ich gehe jetzt in mein Zimmer, Mr. – Scottie. Ich kann Ihnen