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DIE EISERNE FERSE. Jack LondonЧитать онлайн книгу.

DIE EISERNE FERSE - Jack London


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seiner Stimme. Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken. Er war so anders als die Männer meiner Klasse, so fremdartig und so stark. Seine Überlegenheit entzückte und erschreckte mich zu-gleich, denn meine phantastischen Gedanken trieben ihr mutwilliges Spiel so weit, bis ich mich dabei ertappte, dass ich ihn mir als meinen Geliebten, als meinen Gatten vorstellte. Ich hatte stets gehört, dass die Stärke eines Mannes eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf Frauen ausübte; aber er war zu stark. »Nein! Nein!«, rief ich. »Es ist unmöglich, unsinnig!« Und am Morgen erwachte ich mit der Sehnsucht, ihn wieder zu sehen. Ich wollte ihn sehen, wie er andere Männer mit dem kriegerischen Klang seiner Stimme in der Diskussion abtat; ihn sehen, in all seiner Sicherheit und Kraft, wie er sie aus ihrer Behaglichkeit herausriss und aus ihren ausgetretenen Gedankenbahnen rüttelte. Warum er seine Klopffechterei betrieb? Um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, weil es zog, Effekt machte. Und zudem war seine Klopffechterei ein prachtvolles Schauspiel. Sie erregte einen wie der Angriff zur Schlacht.

      Mehrere Tage vergingen, in denen ich Ernsts Bücher las, die mein Vater mir lieh. Er schrieb, wie er sprach, knapp, klar und überzeugend. Eben diese klare Schlichtheit war es, die selbst dann überzeugte, wenn man noch zweifelte. Er hatte die Gabe, Klarheit um sich zu verbreiten. Er war der vollendete Erklärer. Und doch war ich trotz seines Stils in vielem nicht mit ihm einverstanden. Er legte zu viel Gewicht auf das, was er Klassenkampf nannte - den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, den Streit der Interessen. Vater erzählte mir mit großem Vergnügen das Urteil, das Doktor Hammerfield über Ernst gefällt hatte, und das in der Behauptung gipfelte, Ernst sei »ein frecher junger Laffe, den sein bisschen sehr unzureichendes Wissen aufgeblasen hätte.« Doktor Hammerfield wünschte auch nicht wieder mit ihm zusammenzutreffen.

      Dagegen erklärte Bischof Morehouse, dass Ernst ihn interessiere, und dass er ihn gern wieder sehen wolle. »Ein starker junger Mann«, sagte er. »Und lebhaft, sehr lebhaft. Aber er ist zu sicher, zu sicher.«

      Eines Nachmittags kam Ernst mit Vater. Der Bischof war bereits anwesend, und wir tranken Tee auf der Veranda. Dass Ernst so oft in Berkeley war, erklärte sich aus der Tatsache, dass er an der Universität Vorlesungen über Biologie hörte, und dass er ferner stark an seinem neuen Buche »Philosophie und Revolution (2)« arbeitete.

      Die Veranda schien plötzlich zu eng geworden, als Ernst kam. Nicht, dass er außergewöhnlich groß gewesen wäre - er maß nur ein Meter fünfundsiebzig -, aber er schien eine Atmosphäre von Größe auszustrahlen. Als er mich begrüßte, verriet er eine leichte Verlegenheit, die befremdend wirkte und nicht im Einklang stand mit seinem kühnen Blick und seiner festen, sicheren Hand, die die meine im Augenblick der Begrüßung drückte. Und eben in diesem Augenblick waren seine Augen ruhig und sicher. Er betrachtete mich lange, und eine Frage schien in seinem Blick zu liegen.

      »Ich habe gerade in Ihrer Philosophie der arbeitenden Klasse gelesen«, sagte ich und sah seine Augen zufrieden auf leuchten. »Sie haben doch natürlich das Publikum in Betracht gezogen an das das Buch sich richtet«, antwortete er. »Ja, und eben deshalb muss ich ein Wörtchen mit Ihnen reden«, sagte ich herausfordernd.

      »Ich habe auch einen Strauß mit Ihnen auszufechten, Herr Everhard«, sagte Bischof Morehouse.

      Ernst hob die Schultern und nahm eine Tasse Tee, die ich ihm reichte.

      Der Bischof ließ mir mit einer Verbeugung den Vortritt. »Sie schüren den Klassenhass«, sagte ich. »Ich halte es für unrecht und sträflich, all die niedrigen und rohen Instinkte der arbeitenden Klasse wachzurufen. Klassenhass ist unsozial, und, wie mir scheint, antisozialistisch.«

      »Falsch«, erwiderte er. »Weder im Wortlaut noch im Geist irgendeiner meiner Schriften ist Klassenhass.«

      »Oho!«, rief ich vorwurfsvoll, nahm sein Buch und schlug es auf. Er nippte lächelnd an seinem Tee, während ich die Seiten überflog.

      »Seite hundertzweiunddreißig«, las ich laut. »Daher gibt es im jetzigen Stadium der sozialen Entwicklung als einziges Mittel den Klassenkampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.«

      Ich blickte ihn triumphierend an.

      »Keine Spur von Klassenhass«, gab er lachend zurück.

      »Aber Sie sprechen doch von Klassenkampf«, sagte ich.

      »Etwas ganz anderes als Klassenhass«, erwiderte er. »Und glauben Sie mir, wir schüren den Hass nicht. Wir sagen, dass der Klassenkampf eine Folge der sozialen Entwicklung ist. Wir sind nicht dafür verantwortlich. Wir schaffen den Klassenkampf nicht. Wir erklären ihn nur, wie Newton das Gesetz der Gravitation erklärt hat. Wir erklären lediglich das Wesen des Interessenkonflikts, der den Klassenkampf hervorruft.«

      »Aber es sollte keinen Interessenkonflikt geben!«, rief ich.

      »Da bin ich völlig mit Ihnen einig«, antwortete er. »Das ist es ja, was wir Sozialisten erstreben - die Beendigung des Interessenkonflikts. Entschuldigen Sie bitte einen Augenblick; lassen Sie mich vorlesen.« Er nahm das Buch und blätterte darin. »Seite hundertsechsundzwanzig: Die Periode der Klassenkämpfe, die mit der Zersetzung der ursprünglichen Gütergemeinschaft und der Entstehung des Privateigentums begann, wird mit dem Aufhören des Privateigentums im Sinne des Sozialismus endigen.«

      »Aber da stimme ich nicht mit Ihnen überein«, fiel der Bischof ein, dessen blasses, asketisches Gesicht durch schwaches Erröten seine Erregung verriet. »Ihre Voraussetzung ist falsch. Es gibt nichts Derartiges wie einen Interessenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital - oder, vielmehr, es sollte ihn nicht geben.«

      »Danke«, sagte Ernst mit Nachdruck. »Durch diese Behauptung haben Sie mir meine Voraussetzung wiedergegeben.«

      »Aber warum muss es einen Konflikt geben?«, fragte der Bischof eifrig.

      Ernst zuckte die Achsel. »Weil wir einmal so geschaffen sind, denke ich.«

      »Aber das sind wir ja gar nicht!«, rief der andere.

      »Sprechen Sie vom Idealmenschen?«, fragte Ernst. »Von dem selbstlosen, gottähnlichen Idealmenschen, der so selten ist, dass er praktisch gar nicht in Frage kommt, oder sprechen Sie vom gewöhnlichen Durchschnittsmenschen?«

      »Vom gewöhnlichen Durchschnittsmenschen«, lautete die Antwort.

      »Der schwach und fehlbar und Irrtümern verfallen ist?«

      Bischof Morehouse nickte.

      »Und kleinlich und selbstsüchtig?« Er nickte wieder. »Beachten Sie wohl,«, sagte Ernst, »ich sagte selbstsüchtig.«

      »Der Durchschnittsmensch ist selbstsüchtig«, gab der Bischof tapfer zu.

      »Begehrt alles, was er bekommen kann.«

      »Begehrt alles, was er bekommen kann - leider wahr.«

      »Dann habe ich Sie.« Ernst ließ seine Kiefer wie eine Falle zuklappen. »Ich werde es Ihnen zeigen. Nehmen Sie einen Mann, der an der Straßenbahn arbeitet.«

      »Er hätte diese Arbeit nicht, wenn das Kapital nicht wäre«, unterbrach ihn der Bischof.

      »Stimmt, aber Sie werden mir zugeben, dass das Kapital zugrunde gehen würde, wenn die Arbeiter nicht die Dividenden verdienten.«

      Der Bischof schwieg.

      »Geben Sie das zu?«, beharrte Ernst.

      Der Bischof nickte.

      »Dann heben unsere Behauptungen sich gegenseitig auf«, sagte Ernst geschäftsmäßig, »und wir sind wieder, wo wir waren. Also lassen Sie uns wieder von vorne anfangen. Die Arbeiter bei der Straßenbahn liefern die Arbeit. Die Aktionäre liefern das Kapital. Durch die vereinigte Wirkung von Arbeit und Kapital wird das Geld verdient (3). Das verdiente Geld wird zwischen ihnen geteilt. Der Verdienstanteil des Kapitals heißt Dividende, der der Arbeit Lohn.«

      »Sehr richtig«, bemerkte der Bischof. »Und es ist kein Grund vorhanden, dass die Teilung nicht auf friedlichem Wege erfolgen sollte.«

      »Sie haben schon vergessen, worüber wir uns einig waren«, erwiderte Ernst. »Wir waren uns darüber einig, dass der Durchschnittsmensch selbstsüchtig ist.


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