Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern. Christian SpringerЧитать онлайн книгу.
Musikstücke geben könne, die man stinken hört“, ein oft zitiertes Verdikt, das in krassem Gegensatz zu Hanslicks Rezension des Eugen Onegin steht. Seine oft als Fehlurteile bezeichneten Einschätzungen bestimmter Kompositionen von Wagner oder Richard Strauss geben Zeugnis von Hanslicks unverblümt subjektivistischer Haltung, zu der er nach seinen ersten „objektiven“ musiktheoretischen Arbeiten übergewechselt war. Sie sind vor dem Hintergrund des kulturellen Klimas der Zeit zu begreifen.
Ungemein brillant ist Hanslicks Formulierkunst, bewundernswert sein Geist, kaustisch sein Witz. Als Vorbild beim Schreiben diente ihm wohl sein „Lieblingshumorist Dickens“.{34} Grenzenlos sind seine begeisterte Zustimmung, Verehrung und Liebe (vor allem für Brahms), grenzenlos sind aber auch seine wütende Ablehnung vieler Komponisten, seine dramatische Verkennung und tiefe Verachtung derselben, seine heftige Empörung über deren Arbeiten. Seiner Selbsteinschätzung der „weichen Empfindlichkeit meines Charakters“{35} mag man dabei nicht ganz vorbehaltlos folgen, auch wenn auf ihn und sein Verhältnis zu Verdi wahrscheinlich das zutrifft, was Ernest Hemingway im 20. Jahrhundert diagnostizierte, dass nämlich Sensible zumeist nur in eigenen Belangen sensibel sind, anderen gegenüber hingegen oft von ausgesuchter Brutalität. Oftmals schoß Hanslick übers Ziel hinaus, wenn er beispielsweise, gegen ein ungeschriebenes Gesetz der Zunft verstoßend, Namen witzelnd verwendete oder, was häufig vorkam, die Grenzen des guten Geschmacks überschritt und ins Peinliche abrutschte. Trotzdem räumten die Zeitungsherausgeber, für die er tätig war, diesem nicht unumstrittenen Literaten der Musikkritik viel Platz für seine episch breiten Ausführungen ein.
HANSLICK VERSUS VERDI
Dieser in der Musikliteratur unvermeidlich als „Kritikerpapst“ bezeichnete und mit dem Epitheton „gefürchtet“{36} (zweifellos ein Hinweis auf seine in vieler Hinsicht unbestreitbare Kompetenz und Autorität) ausgestattete Kritiker schrieb vehement gegen Verdis Werke an, wobei er auch dessen Anfänge, die er nur vom Hörensagen kannte, aufs Korn nahm:
Als die ersten Klänge von Verdi in Deutschland ertönten, hätte Niemand geglaubt, daß dieser Name binnen Kurzem den obersten Machthaber der italienischen Opernbühne, ja einen Mitbeherrscher der deutschen bezeichnen würde. [...]
Verdi begann seine Carrière mit der im Jahre 1839 an der Scala in Mailand aufgeführten Oper Oberto, Conte di San Bonifazio, eine geradezu schülerhafte Composition, die von Bellini’schen Reminiszenzen wimmelte, aber einige Züge dramatischen Talents aufwies. Ein Mailänder Bericht über diese erste Aufführung huldigte im Tone prophetischen Entzückens dem „neuen Genie“. Die Entscheidungsgründe klangen uns ebenso unbegreiflich, wie das Urtheil selbst. „Verdi“, so schreibt der Correspondent, „hat den rechten Weg eingeschlagen, den Weg der Rührung, der reineren Gefühle. So wie Bellini meidet auch Verdi jedes ohrenbetäubende Geräusch. So haben Wenige begonnen! Das Fortschreiten hängt nur von ihm ab.“ Der nächste Schritt war freilich ein Rückschritt: die nach einem französischen Vaudeville bearbeitete Oper Un giorno de [sic] regno, die bei ihrer ersten und zugleich letzten Vorstellung in der Scala (1840) durchfiel. Unbeirrt durch diese Schlappe nahm Verdi sofort dem Poeten Solera das Textbuch der heroischen Oper Nabucco ab, welches Otto Nicolai (unser damals italienisch componirender Landsmann) refüsiert hatte. Dieser Nabucco erregte in der Scala, 1842, unendliches Furore und hat Verdi’s Ruf fest begründet.{37}
Bei der Lektüre dieser und der folgenden gegen Verdi gerichteten Ergüsse Hanslicks muss beachtet werden, dass es sich dabei nicht um zeitgenössische Rezensionen eines Anfängers (Hanslick war 1840 gerade fünfzehn Jahre alt) handelt, mit einem legitimen Anspruch auf Irrtum beim Einschätzen erstmalig gehörter Neuheiten, sondern um die 1875 veröffentlichte Meinung eines musikalisch hochgebildeten fünfzigjährigen Kritikers, der aufgrund seiner Erfahrung überholte Sichtweisen unschwer hätte richtigstellen können. Die Umstände, unter denen Verdi Un giorno di regno aus vertragstreuem Pflichtbewusstsein komponiert hatte{38}, mussten Hanslick ebenso bekannt sein wie die Tatsache, dass Verdi die Komposition des Nabucco weder freiwillig noch begeistert in Angriff genommen hatte.
Am 4. April 1843 war es, daß in Wien die erste Oper des damals noch unbekannten Componisten, „Nabucco“, von italienischen Sängern gegeben wurde. Der junge Maestro dirigirte selbst, Ronconi sang die Titelrolle. Die Oper machte sehr geringe Wirkung. Nur die Italianissimi im Publicum wagten es, ihr Wohlgefallen zu bekennen; die Kritik brandmarkte die Geistlosigkeit und Trivialität dieser Musik und protestirte damals noch gegen den entferntesten Vergleich Verdi’s mit Donizetti. In Italien hingegen ist Verdi gleich bei seinem ersten Auftreten als eine epochemachende Erscheinung enthusiastisch begrüßt worden, und insofern mit richtigem Instinct, als seine Musik sich seither auf allen europäischen Bühnen durchgesetzt hat und seit fünf und zwanzig Jahren das italienische Repertoire ohne Rivalen beherrscht. [...]
Herr Temistocle Solera verdient für sein Libretto einen Kranz von Stechpalmen anstatt des Lorbeers. Er entstellt den biblischen Stoff mit großer Ungenirtheit; überdies entbehren seine willkürlichen Erfindungen aller inneren Wahrheit und Poesie. Neben den gewöhnlichen, hier zur Ungeheuerlichkeit gewachsenen Mängeln der italienischen Oper mußte an dieser Musik noch der Mangel eines fließenden melodiösen Gesangs auffallen. Ein Wiener Kritiker wendete auf Verdi’s Oper das Witzwort Shakespeare’s an: „In was ist sie gut, als in gar nichts? und in was ist sie schlecht, als in Allem?“ Kurz, den Deutschen war die Kost nicht genießbar, noch weniger wurde es ihnen leicht, im Nabucco die Elemente jenes angeblich neuen und originellen Styls herauszufinden, den die Italiener sofort daran priesen. Wir Deutschen bemerkten kaum einen wesentlichen Unterschied zwischen den Opern Verdi’s und den gleichzeitigen eines Mercadante, Pacini, Donizetti, höchstens ein derberes Dreinfahren mit kecker Rhythmik und Instrumentirung. Die Italiener, welche, mit feineren Unterschieden ihrer eigenen Musik natürlich genauer vertraut, in zwei einem deutschen Ohr kaum unterscheidbaren Opern verschiedene Stilrichtungen nachweisen (- gerade wie die Neger sich untereinander sehr unähnlich vorkommen, während sie für den Europäer alle Ein Gesicht haben -), die Italiener bewiesen an den ersten Versuchen Verdi’s jedenfalls die schärfere Spürnase.{39}
Zur Zeit der Wiener Nabucco-Erstaufführung 1843 lebte der achtzehnjährige zukünftige Kritiker noch in Prag und war gerade im Begriff, seine Musikstudien aufzunehmen. Er erlebte die Übernahme dieser Oper (in der Übersetzung von Heinrich Proch) in das deutsche Repertoire des Kärntnertortheaters erst 1848. Die mit seinem Davidsbündlernamen „Renatus“ gezeichnete Rezension des Dreiundzwanzigjährigen, sofern man von einer solchen sprechen kann, gibt einen Vorgeschmack auf das, was später folgen sollte:
Eine größtentheils sehr gelungene Vorstellung war die des Verdischen „Nabukodonosor“, welcher am 22sten d.M. zum ersten Mahle in Deutscher Sprache über die Bretter des Hofoperntheaters ging. Da die Oper von den Italienischen Vorstellungen her bekannt, und die Kritik über den Werth der Musik, und ihre Zweckmäßigkeiten zu Wachtparaden vollkommen im Reinen ist, so erübrigt sich dießmahl nur der factische Theil eines Berichtes. Die tüchtigsten Leistungen des Abends waren die der Fr. v. Hasselt = Barth und des Hrn. Draxler. Erstere exzellirte als Abigail durch die außerordentliche Volubilität ihrer Stimme, Letzterer (Zacharias) durch den kräftig würdevollen Vortrag der Cantilenen. Hr. Leithner hatte gelungene Momente; um die ganze Rolle wirksam durchzuführen, fehlt es seiner Stimme, besonders in der Höhe, an Fülle und Kraft. [...] Die Ausstattung war hübsch, Chöre und Orchester tadellos.“{40}
Im Revolutionsjahr 1848 wurde Nabucco sechs Mal gespielt, am 13. und 15. Februar 1849 folgten noch zwei Vorstellungen. Über diese Oper und den in Wien ungemein beliebten Ernani geiferte Hanslick in seiner Kritik in einem Tonfall, der seine empörte Haltung dem verhassten Verdi gegenüber unmissverständlich darlegt:
Daß schlechte Musik ausnahmsweise auch eine schlechte Spekulation sein könne, bewiesen die großen Opern „Nabucco“ und „Ernani“, welche die vorige Direction mit unglaublichem Eifer nach einander aufführte. Diese zwei Verdi’schen Opern, das Geschmack= und Sinnloseste, was die neuere Opern-Literatur hervorgebracht hat, wurden mit den vorzüglichsten Kräften besetzt, mit der größten Sorgfalt einstudiert; zum Ernani allein sollen dreißig Proben gemacht worden sein! Ueberall, wo bedeutende Kraftanstrengungen muthwillig und nutzlos verschwendet werden, regt sich in uns ein tiefer sittlicher Unwille, umsomehr muß dieß der