Weißer Stein. Christian Friedrich SchultzeЧитать онлайн книгу.
einer abendlichen Veranstaltung der Hamburger Sozialdemokraten hatte mich Rudi J. angesprochen, ob ich nicht kleine oder mittelständische Unternehmen in der Region kennen würde, die Hilfe in Buchhaltung, Computerwesen und Betriebswirtschaft gebrauchen könnten. Er hätte Zeit, kenne sich außerdem auf dem umfangreichen Gebiet der Fördergelder aus, die der westdeutsche Staat im Milliardenumfang für den „Aufschwung-Ost“ auf den Weg brachte und würde außerdem gerne die ihm bisher unbekannten Gebiete Ostdeutschlands, besonders den neuen Freistaat Sachsen, kennenlernen.
Rudolf J. war offensichtlich ein interessierter Mann, dem der übliche überlegene Siegesdünkel, den man bei vielen aus dem Westen Zugereisten beobachten konnte, vollkommen abging. Ich sagte entsprechende Vermittlungsversuche zu, zumal dies, wie er schnell und richtig erkannt hatte, gut in den Rahmen meiner eigenen neuen Tätigkeit hineinpasste. Und als es dann darum ging, wo er wohl in dieser Zeit in der Oberlausitz wohnen könnte, fielen mir natürlich sogleich die brachliegende Zimmervermietungs-Branche im Zittauer Gebirge und meine Nachbarn Peter und Sonnhild I. ein.
So kam es, dass Rudolf J. im Sommer 1991 einer der ersten Sommergäste nach der so genannten Wende im ansonsten ziemlich besucherleeren Kurort Jonsdorf wurde. Mit weitreichenden Folgen, wie sich wenig später herausstellte.
7. Gefühlswelten
Die Anklageschrift des Zittauer Staatsanwaltes Sebastian Matthieu vom 20. November 2000 führt zur Beurteilung des damaligen Ehelebens des Oberlausitzer Paares im Jahre 1992/92 folgendes aus:
„...Am 21.04.1982 kauften die Eheleute I. das Grundstück Hutungswiese in Jonsdorf vom Vorbesitzer Herbert T., der seinerseits in die damalige BRD übersiedelte...
Mit dem ihm eigenen Geschick führte der Angeklagte umfangreiche Baumaßnahmen an dem genannten Grundstück durch, wobei seine Ehefrau jeweils tatkräftig zur Hand gehen mußte. Zeugen beschreiben, dass Sonnhild I. mitgearbeitet habe ´wie ein ´Vieh´, und dass sie durch ihren Ehemann während des Baugeschehens regelmäßig angeschrieen und traktiert worden sei [...] Das Verhältnis der Eheleute I. untereinander darf als ´unterkühlt´ charakterisiert werden. Für den Angeklagten war es offensichtlich wichtig, dass eine Frau im Hause ist, die den Haushalt bewältigt und für die Betreuung der Kinder da ist. Somit hatte der Angeklagte dann die Freiheiten, seinen Interessen, nämlich Bau- und Handwerkerarbeiten, nachzugehen. Auf familiäre Belange nahm er dabei wenig Rücksicht. Als der Angeklagte 1991 auf Montage nach Spanien ging, war seine Ehefrau nur spärlich darüber informiert, wo er sich aufhält. Auch war ihr weder bekannt, wie sie persönliche Kontakte zum Angeklagten in Spanien unterhalten konnte, noch wusste sie, zu welchen Zeiten der Angeklagte von Montage nach Hause zurückkehrt. Eine Verständigung der Eheleute zu diesen Zeiten war lediglich dadurch möglich, dass sich Sonnhild I. regelmäßig an den Wochenenden bei ihren Schwiegereltern, Elfriede und Joachim I., in Bertsdorf einfand, die wussten, wie Peter I. zu erreichen war. Die dann geführten Telefonate waren von wenig Herzlichkeit geprägt. Der Zeuge J. berichtet dazu, das Sonnhild ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, dass die telefonischen Kontakte mit dem Ehemann nur eine Art ´Befehlsempfang´ seien.
Während der Zeit der Abwesenheit des Angeklagten mietete der Zeuge Rudolf J., der als Unternehmensberater den Aufbau verschiedener Firmen in Ostsachsen fördern wollte, eine Ferienwohnung im Hause I. an. In der weiteren Folge kam es zu vertrauensvollen Gesprächen, wobei Sonnhild I. über Probleme in der Ehe berichtete. Sonnhilds Unzufriedenheit und die Zuwendungen des Zeugen J. führten dazu, dass sich ein intensives Verhältnis einschließlich sexueller Kontakte zwischen den beiden entwickelte...“
Der damals noch junge Görlitzer Staatsanwalt war einer von den etwa 45 Prozent vormals im Staatsdienst der DDR tätigen Justizangestellten, die in den neuen sächsischen Justizapparat übernommen wurden. In seiner Anklageschrift hat er die Gefühlswelten im Hause I. in nüchternen, allerdings deutlich gegen den Angeklagten voreingenommenen Worten, geschildert. Ob diese Ehe tatsächlich so zerrüttet war, erschließt sich besser aus den Niederschriften der Ermittler aus dem Jahre 1992.
Bevor dies alles geschah, hatte ich Rudolf J. während meiner kurzen Zeit als Abgeordneter im 16. Deutschen Bundestag in Bonn für eine Weile in unsere Wohnung in Berlin, die nahe am ehemaligen Stasigefängnisses von Hohenschönhausen lag, einquartiert. J. war ein ruhiger, großer, drahtiger Typ und ehemaliger Boxer, mit dunklen, grauen Augen, hoher Stirn und schütterem Haar. Er stand in seinem fünfzigsten Lebensjahr, was arbeitslos, gab sich aber als typischer, weltgewandter, westdeutscher Großstädter. Während er arbeitete, rauchte er ununterbrochen starke Zigaretten und trank literweise Kaffee. Um ihn herum, besonders in seinem kleinen roten Peugeot, sah es stets liederlich bis chaotisch und verdreckt aus. Alsbald natürlich auch unsere Berliner Wohnung, was zu einigen Auseinandersetzungen zwischen uns führte. Wenn Rudolf irgendwo residierte, vereinnahmte er ohne jede Zurückhaltung seine Umgebung und errichtete um sich herum umgehend seine spezielle „Ordnung“. Schließlich zog er auf meine Vermittlung erst in das ehemalige Haus unserer Großmutter zu Lydia W. auf der „Hutchwiese“ und wegen baldiger Auseinandersetzungen mit dieser etwas schwierigen Vermieterin in das Haus I.
Wann er mir gestand, dass er sich unsterblich in Sonnhild verliebt habe, weiß ich nicht mehr genau. Es kann in der Vorweihnachtszeit im Jahre 1991 gewesen sein. Schließlich ist die dunkle Adventszeit bei den meisten Menschen eine gefühlsanfällige Periode. Mord- und Selbstmordstatistiken steigen in diesen Wochen in allen christlichen Ländern dieser Welt drastisch an. Beiden stand nicht nur das Weihnachtsfest bevor, sondern außerdem ihre Geburtstage. Und beide waren im Grunde einsame Menschen.
J. erzählte mir, dass Sonnhild in unglaublicher Weise seiner ersten, an Krebs verstorbenen, Frau ähnele und er große Gefühle zu dieser Oberlausitzerin hege. Er wolle die innig Geliebte aus ihrer Eheknechtschaft und provinziellen Abgeschiedenheit und Verkümmertheit unbedingt herausholen. Ein großes Problem seien allerdings die Kinder, die sich vehement gegen eine Trennung ihrer Eltern stellen würden.
Meine Gefühle waren ebenfalls durcheinander. Rudi war siebzehn Jahre älter als Sonnhild. Was bedeutete das für sie? Ich mochte die Nachbarn, wusste, dass Peter ein typischer Oberlausitzer Granitschädel, ein „Workoholic“ und manchmal nicht einfach war. Ich fühlte mich irgendwie schuldig an dem sich anbahnenden Drama, in das wir vier Erwachsenen und die beiden Jungs unmittelbar verwickelt wurden. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass Sonnhild, die am 30. Dezember 33 Jahre alt werden sollte, Rudolf J. nicht über alle Maßen liebte oder gar mit dem Gedanken konform ging, zu ihm nach Hamburg zu ziehen. Aber in der Folgezeit konnte ich bei meinen gelegentlichen Besuchen in Jonsdorf feststellen, dass Sonnhild die Zuwendung J.s, ihre gemeinsamen Ausflüge nach Dresden oder nach Prag und einmal sogar nach Hamburg, durchaus gefielen. Hatte sie früher vielleicht gar nicht wahrgenommen, dass es noch etwas anderes als Arbeit, Häuslebauen, Kinder und Garten auf der „Hutchwiese“ gab, zeigte ihr der Hamburger nun die neue „weite Welt“ und füllte offenbar auch noch die sexuelle Lücke ihres ziemlich kühlen Ehelebens aus. Allerdings haben das die beiden mir gegenüber niemals zugegeben. Aber mit der Zeit begann Sonnhild wohl zu ahnen, was ihr zukünftig alles fehlen könnte.
Von all dem wusste der ferne, ein wenig desinteressierte aber vertrauensselige Ehemann zunächst nichts. Ihm war vor allem wichtig, dass er genügend Geld nach Hause brachte.
Im Oktober des Jahres 2012 fand ich beim Studium der mir vorliegenden Zweitakte, welche Peter I. nach seinem Freispruch übergeben wurde, einen Brief Rudolf J.s vom 1. Februar 1992:
„Liebe Sonnhild,
Da ich diesen PC bedienen und alle Dateien lesen kann, habe ich eben die Datei ´Peter´ gelesen. Es ist sicherlich ein Einbruch in Deine Intimsphäre und ich bereue es. Du bist innerlich gespalten, aufgrund Deiner Erziehung auch an Verhaltensweisen gebunden, die es in einer Wolfsgesellschaft nicht gibt. In dem Buch über menschliches Verhalten las ich, daß die Frau aus dem Besitz des Vaters in den Besitz des Mannes übergeht und ihre eigentliche Aufgabe mit dem Gebären von Söhnen erledigt sei. Sie bleibt im Besitz des Mannes und kommt selbst im Alten Testament ganz am Ende der Skala dieses Besitzes (nach Söhnen, Haus, Acker, und Ziegen).
Frauen sind Mangelware. Der Mann ist von Natur aus promisk