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Der Hafen meiner Träume. Eberhard SchielЧитать онлайн книгу.

Der Hafen meiner Träume - Eberhard Schiel


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habe den Weltkrieg an der Westfront mitgemacht. Eigentlich hatte ich mir geschworen nie eine Waffe in die Hand zu nehmen, aber als unser Kaiser diesen Krieg für unvermeidlich hielt, die Geistlichen ihn segneten und die Freiwilligen “Hurra!” schrien, da bin auch gern ins Feld gezogen. Was galt denn in dieser bewegenden Zeit noch ein Zivilist. Man wäre als Feigling abgestempelt worden. Und das wollte ich auf keinen Fall sein. Nun, ich gehörte einer Spezialeinheit an, war in Koblenz als Abhörfunker ausgebildet worden. Später lagen wir an der Westfront, in der Nähe von St. Quentin. Bisher hatte mich der Tod nur einmal kurz gestreift, als ich in der Stadt aus einem Bücherladen kam und plötzlich Granatfeuer einsetzte. Der Tod grüßte mich und ich grüßte zurück. Das war es. Danach alles wie bisher. Ein Tag glich dem anderen. Eine gewisse Eintönigkeit machte sich breit. Wir vertrieben uns die Langeweile, so gut es eben im Stellungskrieg ging. Ich fertigte einen Kalender an, Bilderrahmen aus Pappe, Lichtschalter aus Draht. Sogar ein dreibeiniges Gestell für einen Topf zum Aufwärmen des Kaffees. Ja, selbst ein Kaffeesieb aus Konservendosen, und ein Dame-und Mühlespiel. Und dann schrieb ich fast jeden Tag einen oder mehrere Briefe, an zu Hause, und an die Freunde, die im Osten standen, an meinen Verein. So vergingen die Tage. Man glaubte schon, der Krieg hätte uns vergessen. Dann kam die Angst wie ein schleichendes Gespenst auf mich zu. Ich kehrte gerade von einem Gang durchs Dorf zur Kompagnie zurück. Es war Abenddämmerung. Alles schien wieder so hübsch ruhig zu werden. Ich freute mich schon auf einen flotten Skatabend mit meinen Kameraden. Da lief mir unser Kompanieführer Maier über den Weg. Er musterte mich mit einem geringschätzigen Blick, fragte mit arroganter Stimme: “Leewe, trauen Sie sich zu, heute Nacht auf Patrouille zu gehen? Aber sicher ist das nichts für Sie. Sie sind doch Schneider von Beruf. Da haben Sie gleich die Hosen voll, waa?” Er lachte über seinen billigen Witz. Ich hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpaßt. Statt dessen salutierte ich vor meinem Vorgesetzten. Ich meldete: “Soldat Leewe für Patrouille bereit, Herr Leutnant!” Leutnant Maier machte ein verdutztes Gesicht. Er sagte: “Leewe, Sie gehen auf Patrouille? Also, gut, nehmen Sie Müller und Schneider mit. Der Tommy macht uns Kummer. Er ballert mit seiner Artillerie wie verrückt. Soll auch in unserem Abschnitt irgendwo auf der Lauer liegen. Kundschaften Sie das aus!” Ich fragte: “Kann ich noch kurz eine Abschiedskarte an meine Mutter schreiben, falls...” Leutnant Maier genehmigte mir zehn Minuten. Ich setzte mich hin und schrieb sinngemäß:

      Liebes Mütterchen! Trotzdem ich sonst Gegner des Freiwillig melden gewesen bin, habe ich mich doch entschlossen heute eine Patrouille mitzumachen. Ich sage mir, wenn mir eine Kugel bestimmt ist, dann ist es ja ganz gleich, wann ich sie erhalte. Hat der Herrgott die Absicht, mich nach dem Kriege gesund heimzuführen, dann kann ich heute Abend auch ruhig mitgehen. Einer muß ja doch mit, und bisher habe ich immer gekniffen. Da ich ja nicht weiß, was mir bevorsteht, will ich noch einige Zeilen schreiben. Wenn ich fallen sollte, was Gott verhüten möge, klage nicht um mich. Du hast ja noch vier Kinder, denen Du Dich um so mehr widmen kannst. Ich gehe gefaßt nach vorn. Wenn ich fallen sollte, und dies ist möglich, laßt mich in die Heimat überführen. Es wird Euch selbst sehr lieb sein, wenn ihr mein Grab pflegen könnt. Mein Sparkassenbuch liegt noch auf der Kasse. Die 200 Mark habe ich mit Sammeln von Messing, Kupfer und Munition verdient. Dies Geld ist die Grundlage für die Kosten der Überführung. Wenn ich in Gefangenschaft gerate, danket Gott, daß er mich gnädig beschützt.

      Ich hatte gerade den Schlußpunkt unter den theatralischen Brief gesetzt, da klopfte mir Wachtmeister Grünberg auf die Schulter. Er sagte: “So, Leewe, los komm, es ist soweit.” Ich kroch aus dem Unterstand. Draußen war die Luft frisch, und der Mond blinzelte mich durch eine dicke Wolke an. Ich besprach die Patrouille mit Grünberg und Kotte. Unterdessen ging der Mond unter. Einer unserer Posten machte: “Psst! Da vorn hat sich was bewegt.” Ich sah scharf in die Richtung und glaubte etwas Dunkles wahrzunehmen. Der Tommy etwa? Wir krochen, das Gewehr bereit, sehr vorsichtig aus dem Graben. Das Schwarze wurde deutlicher, aber auffallend dünn. So dünn können selbst die Tommys nicht sein, dachte ich. Es handelte sich um einen Holzpfahl. Wir mußten uns halblinks halten. Wir traten leise auf. Das Gras war feucht und raschelte nur ein wenig. “Nur keine schlenkernden Bewegungen machen”, flüsterte Kotte. “Dann entdecken Sie uns.” Wir gingen weiter. Den oberen Rand des Waldes sah ich schon deutlicher gegen den Himmel. Deshalb duckte ich mich langsam und kroch dann auf allen Vieren. Dort schien etwas zu sein. Das Ding vor mir war zu niedrig für einen Soldaten. Ich war auf zwei Schritt heran. Es war sehr dunkel. Ich griff zu. Hatte eine Schlafdecke mit einem Tornister darunter erwischt. Mitten in die Stille hinein ratterte plötzlich ein Maschinengewehr. Dann ein zweites, ein drittes. Wir gerieten unter Beschuß. Wachtmeister Grünberg und Unteroffizier Kotte krochen in ein Granatloch. Ich ging zurück, gelangte zu weit nach links, kam vor ein Stacheldraht-Verhau, rief unsere Parole, schrie in die Nacht hinein: “Dünaburg!” Die Antwort überraschte mich. Jemand fragte: “Who are you?” Ääh, der Tommy? Ich antwortete spontan: “Oh, oh”, und lief so schnell mich meine Beine tragen konnten. Die nachgesandten Kugeln verfehlten ihr Ziel, man hatte das Objekt zu hoch im Visier angesetzt. “Schießen können die auch nicht”, murmelte ich vor mich hin. Aber wo waren meine Kameraden abgeblieben? Ich irrte weiter durch den dunklen Wald, suchte hier, und suchte da, stolperte und fluchte, kam noch zweimal zwischen beide englischen Verhaue, wurde wieder befeuert, meine Brille ging verloren, die Hose war zerrissen, die Uniform über und über mit Lehm verschmiert, und zu guter Letzt hätten meine eigenen Landsleute um ein Haar noch zur Begrüßung eine Handgranate auf mich geworfen, doch dieses Mal stimmte die Parole: “Dünaburg”. Am nächsten Tag erhielt ich das E.K. I, wegen besonderer Tapferkeit vor dem Feind. Ich stand mit Stolz erfüllter Brust vor meinem Leutnant. Er heftete mir den Orden an die Uniform. “Gut gemacht”, knirschte er durch die Zähne. Auch mein Kamerad Müller klopfte mir auf die Schulter. Alle waren so nett zu mir. Ach ja, und das muß ich Euch auch noch erzählen, fuhr Her Leewe fort.

      Doch dazu kam er nicht mehr. Es klopfte an unsere Wohnungstür. Frau Leewe stand im Türpfosten, stemmte die dicken Hände wie ein Korporal in die Hüften und zischte: “Erzählst Du wieder Deine ollen Kamellen aus dem Ersten Weltkrieg. Hör auf damit. Das interessiert Frau Schiel doch gar nicht. Komm lieber mal mit in den Keller und repariere den Lichtschalter. Ich hocke da mit der Taschenlampe, und Du, Du spielst hier oben den Helden!” Oh, mit Frau Leewe war kein gutes Kirschen essen. Ihr Mann wagte nicht zu sagen: “Na, dann bis zum nächsten Mal!” Mit allen hatte er seinen Frieden geschlossen, nur mit seiner eigenen Frau ging das nicht. Aber das waren nur so seine Gedanken im verborgenen Winkel der Gefühle. Wieder auf dem Boden der Tatsachen stehend, gibt er uns artig die Hand, geht folgsam in den Keller und werkelt dort ein wenig herum, um sich abzulenken. Dafür übernimmt nun Frau Leewe in unserer Stube das Kommando. Sie erteilt meiner Mutter die Order, wann sie bei ihr in der Küche kochen darf und wann nicht, wo die Wäsche aufzuhängen ist, wie lange Besuch empfangen werden kann, und dergleichen. Ein Wort reibt sich am anderen. Mutter ist auch nicht auf den Kopf gefallen, hat Haare auf den Zähnen, und so wird der Krieg, den Herr Leewe gerade abrupt beenden mußte, nun unter Frauen mit anderen Mitteln fortgesetzt. Und mein Bruder, in Gedanken ganz wo anders, greift in diesem Wortgefecht Mutter nicht unter die Arme, so daß Frau Leewe triumphierend sagen kann: “Noch bestimme immer noch ich, was in meinem Haus geschieht!” Mit diesen gewaltigen Worten knallt sie die Tür zu. Die dicke Luft droht nun über uns Brüder zu kommen. Mutti, in ihrer Rage, sagte eine Vokabel in falschem Englisch. Wölfi verbessert sie. Das ist zu viel. Ring frei zur ersten Runde! Meine Heimerzieherin tritt kampfentschlossen in den Ring. Warum sie ausgerechnet gegen einen gestandenen Boxer antreten will, ist mir schleierhaft. Jedenfalls rennt sie an unserem kantigen Tisch hinter Wölfi her, um ihn zu versohlen. Er geht mit 20 Jahren an den Start, Mutter zählt 52 Lenze. Ein ungleiches Duell. Beinahe hätte sie den jungen Boxer doch erwischt, aber ich werfe mich dazwischen. Die Ohrfeige, die mich nur streift, hat eher moralischen Wert als daß sie als körperliche Strafe verstanden werden kann. Frau Schiel sinkt stöhnend in ihren Lehnstuhl. Der Angriff hat sie völlig erschöpft. Ihr bleibt die Puste weg, sie ist in einem bemitleidenswerten Zustand. Trotzdem muß Muttis ungebührliches Verhalten gegenüber meinem leiblichen Bruder bestraft werden. Ich denke mir eine empfindliche Rache aus. Wie wäre es, wenn man sie durch eine künstlich erzeugte Erkältung in Unruhe versetzen würde. Ich lege mich trotzig zu Bett, mit dem Rücken zur kalten Außenwand, ziehe heimlich mein Nachthemd aus und wünsche mir eine Krankheit. Was darf`s denn sein? Etwa eine leichte Lungenentzündung oder eine schwere Grippe. Über die Erfüllung


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