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Herbststimmung. Siegfried SchröderЧитать онлайн книгу.

Herbststimmung - Siegfried Schröder


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Schröder ihr Beileid aussprechen wollten, weil sie meine Todesanzeige in der Sächsischen Zeitung gelesen hatten. Die Anzeige war leicht zu finden, ein Namensvetter aus Radebeul war gemeint, eine simple Verwechslung, wenn auch ein bisschen makaber.

      Da ich ja nun doch lebte, wuchs in mir der Entschluss, und sei es nur für meine Nachkommen als Mahnung, mein Erleben als Kind und in den unseligen Zeiten des Krieges, der Nachkriegszeit und in der DDR aufzuschreiben. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los und so schrieb ich nun beharrlich all das Erlebte auf, mein Gedächtnis arbeitete noch recht zuverlässig, allerdings tauchten auch Dinge in meiner Erinnerung auf, die ich komplett verdrängt, an die ich Jahrzehnte nicht mehr gedacht hatte. Natürlich fragte ich mich, wieso ich den Versuch unternehme Vergangenes aufzuschreiben, warum macht das eigentlich nicht jeder, haben wir Alten nichts zu sagen? Oder resignieren wir, weil uns keiner zuhören will? Braucht die heutige Jugend denn noch unsere Geschichten, können sie überhaupt noch zuhören? Fragen, die mich stark beschäftigten und auch manchmal beim Weiterschreiben insoweit etwas hinderlich waren. Schließlich machte es nicht gerade Mut, wenn Zweifel an meinem Tun dagegen standen.

      Diese Zeilen sind also mein Lebenslauf, mit allen Daten, allen Ereignissen, derer ich mich erinnere und mit allen Hoffnungen, Irrtümern, Fehlern und Enttäuschungen, aber auch mit den vielen glücklichen Stunden, die ich erleben durfte. Ich hoffe, den Leser nicht zu enttäuschen.

      So gebe ich nun das Buch aus den Händen, möge es ein Mahnmal gegen den Krieg sein, auch gegen die heutigen Kriege, die gewiss nicht weniger Kummer und Leid erzeugen als damals. Der geneigte Leser liest hier keinen Roman, was ich schreibe, habe ich ausnahmslos auch erlebt, auch alle Namen sind echt, soweit mich meine Erinnerung nicht trügt. Wo ich unsicher bin, dass ich eventuell Persönlichkeitsrechte verletzen könnte, arbeite ich mit Pseudonymen. Das gilt nicht für die Angehörigen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, hier sind bekanntgewordene Zugehörigkeiten und Klarnamen auch genannt. Was Sie an Einschätzungen und gefühlsmäßigen Haltungen und Bewertungen lesen, sind meine Einschätzungen und meine Gefühle. Ich bin auf meine weltanschauliche und politische Einstellungen nicht detailliert eingegangen, doch der Leser wird es spüren, es bedarf da keiner Worte.

      Siegfried Schröder

       Potius sero quam nunquam

       Spät ist es, doch nicht zu spät

       II Meine Familie

      Noch bevor der Lehrer Michael Dziobaka, mein Urgroßvater mütterlicherseits, im fernen Talken in Masuren die Augen für immer schloss, waren die meisten aus seiner großen Kinderschar nicht mehr in Heimat, sondern in alle Welt verstreut. So auch mein Großvater als fünftes Kind, er hatte eine Ausbildung als Huf- und Wagenschmied erfahren und die Meisterprüfung bestanden. Aber in Masuren gab es kaum Arbeit und so zog mein Großvater in das Ruhrgebiet. Dort gab es Arbeit und viele junge Leute aus Ostpreußen und Polen zog es nach Westen und wie sich herausstellte, nichtvergebens. Die deutsche Schwerindustrie konzentrierte sich da, wo die Kohle war, Krupp und Thyssen und andere wurden zu einem Inbegriff für den industriellen Aufbruch in Deutschland. Die fünf Milliarden Goldfranken an Kontributionszahlungen, die von Frankreich nach 1871 zu leisten waren, trugen ganz sicher dazu bei. Mein Großvater bekam Arbeit bei Krupp. Er wechselte dann zur Essener Berufsfeuerwehr, die ja damals noch mit Pferden ausgerüstet war und einen Huf- und Wagenschmiedemeister sicher gut gebrauchen konnte. Er übernahm nach kurzer Zeit dort die Schmiede, avancierte schnell und schließlich unterstanden ihm die Berufsfeuerwehren von Essen und Umgebung. Meine Großmutter hatte im Dessauer Hof in Insterburg bei Verwandten als Kaltmamsell gelernt und gearbeitet ging dann ebenfalls nach Essen, wo sie schließlich 1906 den Opa heiratete. Sie wurden

      Mitglied in einer Wohnungsgenossenschaft, der Allbau. Das Haus meiner Großeltern in Essen-Huttrop, war praktisch mein Elternhaus, meine Großeltern mütterlicherseits waren meine eigentlichen Eltern, auch wenn wir nicht immer dort gewohnt haben. Ich erinnere mich noch gut an Omas Schwester, Tante Anna, sie war ein richtiges Original. Ich sehe sie noch auf dem Ledersofa sitzend, wie sie sich eine Pfeife ansteckte und dann im breitesten ostpreußischen Dialekt sagte: Na Jungchen, wie jeht et denn?

      Ähnlich wie meinen Großeltern mütterlicherseits und etwa auch zur gleichen Zeit, erging es auch den Großeltern väterlicherseits. Sie lernten sich in Eisenach kennen und nachdem sie geheiratet hatten, zog das junge Paar 1907 von Eisenach in das Ruhrgebiet, um dort Arbeit zu finden. Der Großvater hatte Klempner gelernt und fand in Essen schnell Arbeit bei der Reichsbahn, wurde schließlich Lokführer. Auf dem Führerstand der Lok erlitt er auch im April 1945 den Tod im Feuerhagel der amerikanischen und britischen Jagdbomber, nachdem es ihm gelungen war, einen mit Flüchtlingen voll besetzten Zug aus dem Bahnhof zu fahren und vielen Menschen so das Leben zu retten. Die Stadt Essen hat ihn dafür geehrt, auf dem Heldenfriedhof beigesetzen lassen und betreut sein Grab. Erst ihre in Essen geborenen Kinder, nämlich meine Mutter und mein Vater, lernten sich kennen und so ist schließlich meine Familie entstanden.

      Beide Familien haben ihre Bindungen zu ihren Verwandten in Ostpreußen und in Thüringen bzw. Coburg nie aufgegeben und sind im Urlaub bzw. in den Ferien zu ihren Angehörigen gefahren. Schließlich ist meine Großmutter mütterlicherseits während des Krieges wieder nach Ostpreußen gezogen, von wo sie dann allerdings 1945 flüchten musste. Darüber ist später noch zu berichten.

      Als ich meiner Familie die ersten Entwurfsseiten meines Manuskriptes zu lesen gab, war die Meinung: Du schreibst einfach los und niemand weiß, wer Du bist. Mir kamen Zweifel, also versuchte ich zu schreiben, wer ich bin. Aber wer weiß schon, wer er ist? Sollte ich einfach nüchtern einen Lebenslauf schreiben oder doch etwas mehr? Schließlich habe ich mich entschlossen alles zu schreiben, was ich in den vielen Jahren erlebt habe. Der Leser wird mich so sicherlich am besten kennen lernen.

      Beim Schreiben tat sich eine neue Schwierigkeit auf, die ich in meinem Innern bis heute nicht vollkommen gelöst habe. Kann ich den engeren Kreis meiner Familie ausklammern, sollte ich die unangenehmen Dinge weglassen, eine heile Familienwelt darstellen, die es so nie gegeben hatte? Soll ich gar eine geschönte und eine wahre Darstellung schreiben? Das

      aber wollte ich nicht alleine entscheiden und habe folglich die wesentlichen Abschnitte mit meiner Schwester und meinem Bruder beraten. Sie waren beide der Auffassung, dass ich schreiben soll, wie es wirklich war, auch wenn manches doch schockierend und auch peinlich sein mag.

       Meine Eltern

      Meine Mutter war immer eine lebenslustige Frau, die stets bestrebt war, ihren Platz im Leben einzunehmen und auch zu behaupten. Diesen festen Willen hat sie auch unter den schwierigsten Bedingungen der Kriegs-und Nachkriegszeit nicht aufgegeben, manchmal schon irgendwie übertrieben, ja sogar ein bisschen fanatisch. 1911 in Essen geboren und als Beamtentöchterchen aufgewachsen, besuchte sie nach der üblichen Volksschule noch eine Töchterschule und erlernte den Beruf einer Stenotypistin. Sie konnte sehr gut Stenografie und Maschineschreiben, Nähen und Kochen.

      Mein Vater, 1908 ebenfalls in Essen geboren, erlernte den Beruf eines Buchdruckers und arbeitete auch als Buchdrucker bei der heutigen WAZ in Essen. Während der Inflationszeit hat er dort Geld gedruckt und mehr Geld verdient, als sein Vater bei der Reichsbahn, was den Opa immer sehr geärgert haben soll. Mit 17 Jahren wurde meine Mutter schwanger, ich war unterwegs. Ihre Mutter, meine energische Großmutter nahm sofort mit den Eltern meines Vaters Verbindung auf, ein uneheliches Kind und das bei einer Achtzehnjährigen, wäre eine große Schande gewesen. So war schnell Einigung der Eltern auf beiden Seiten erzielt. Die damals für dieses Alter noch genehmigungspflichtige Hochzeit wurde erwirkt und am 28. Juni 1929, zum 18. Geburtstag meiner Mutter, wurde geheiratet. Im Dezember 1929 erblickte ich dann das Licht der Welt. Die Schande war abgewendet. Ich vermute, dass meine Eltern nicht groß gefragt wurden, sicher wäre die nun folgende Ehekatastrophe verhindert worden, hätten meine Eltern damals nicht heiraten müssen.

      Mein Vater war bei den Wandervögeln organisiert, die sehr linksorientiert waren und so verlor mein Vater kurz nach der Hochzeit seine Arbeit, weil er als Wortführer agierte. Er fand auch keine neue Arbeit, denn in der Branche stand er auf einer illegalen schwarzen Liste. Das war


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