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Geschichten aus einem anderen Land. Joachim GerlachЧитать онлайн книгу.

Geschichten aus einem anderen Land - Joachim Gerlach


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Beitrag an. Weltanschauung sei wie Religion eine Sache des Individuums, ganz egal ob blau, rot oder gelb. Worum es wirklich gehe, das wäre die Errichtung eines modernen Wirtschafts- und Finanzsystems nach den Maßstäben Westeuropas und Amerikas. Welche Farben darin aufträten, sei völlig unbedeutend, wesentlich allein sei die wirtschaftliche Effizienz im Gegensatz zur Mangelwirtschaft des momentan betriebenen Staatssozialismus.

      Der Inhalt dieser Rede zielte unter dem Strich klar und unmissverständlich auf nichts anderes als auf die Restauration des Kapitalismus in der DDR, das aber war nicht Holsteins Ziel und auch nicht das der meisten Mitglieder des Neuen Forums, die er kennengelernt hatte. Holsteins Ziel war und blieb eine Gesellschaft welche in ihrer politischen und ökonomischen Substanz die optimale Erzeugung und Verteilung von Gebrauchswerten vor den Tanz ums Goldene Kalb, die Chance auf ein existenziell gesichertes, in Übereinstimmung mit den natürlichen Ressourcen die Bedürfnisse der Menschen immer besser befriedigendes, langfristig plan- und berechenbares Leben für Millionen vor die Chance des Individuums auf den Erwerb von Millionen, Kontinuität und Stabilität der Lebensverhältnisse aller vor den Milliardenerfolg weniger, eine humanistisch-ästhetische Bildung und Erziehung vor die merkantile Nutzbarmachung menschlicher Urtriebe und Instinkte setzte

      Am Abend erscheinen bei ihm zu Hause sein Abteilungsleiter und der Parteisekretär seiner Grundorganisation. Sie verlangen von ihm die Entfernung des am Balkon befestigten Transparentes. Dieses Ansinnen aber lehnte Holstein strikt ab.

      Manchmal wurde ihm auch grundübel, dann hatte er Angst, höllische Angst. Sie überkam ihn wellenartig bei Tag und vor allem in der Nacht. Sie würgte ihn, presste ihm den Brustkorb zusammen, nahm ihm die Luft. Was, wenn sich die Dinge plötzlich wieder wendeten? Wenn es den dogmatischen Kräften wider Erwarten doch gelänge, erneut Oberwasser zu erlangen? Dann stecken sie ihn wegen des Versuchs zum Hochverrat und Volksverhetzung in den Knast oder wenigstens als Hilfsarbeiter in irgendeine Bude zur Flaschenreinigung oder in die Tierkörperverwertung oder ähnliches. Mit einem Schonplatz im Bereich Konsumgüter wäre dann nicht mehr zu rechnen. Dann wäre es auch aus mit der wissenschaftlichen Laufbahn des Sohnes. Dann wird es auch nichts mit Marias Abitur, dann bleibt auch Daniela nicht ungeschoren. Dann machen sie reinen Tisch. Dann stellen sie Einheit, Reinheit und Geschlossenheit wieder her und zwar mit all ihrer Tatkraft.

      Montag, 6. November 1989

      Holstein wurde gleich morgens nach Dienstantritt zum Leiter des Fachorgans gerufen. Neben ihm haben an der großen Beratungstafel sein Stellvertreter und der Parteisekretär Platz genommen. Es ging um das Transparent am Balkon seiner Wohnung und um seinen Auftritt in der Mensa der Uni am gestrigen Sonntag. Sie kamen allerdings auf keinen gemeinsamen Nenner, Holsteins Tragbarkeit als Mitarbeiter des Staatsapparates wird in Abrede gestellt, auch wenn er darin nur technischer, kein politischer Angestellter ist. Bei allem Hin und Her des Disputs einte sie lediglich noch der Begriff „Sozialismus“. Holsteins Entlassung aus dem Dienstverhältnis im Staatsapparat schien am Ende eine beschlossene Sache zu sein. Nur überrollten die Ereignisse die Entscheidungsträger.

      Nach dem unblutigen Verlauf der Berliner Demonstration am vergangenen Samstag erwartete Holstein für den Abend, dass nun auch in seiner Stadt die montägliche Willenskundgebung sich erheblich verstärken wird. So war es auch. Trotz Kälte und strömenden Eisregens waren Hunderttausende in mehreren Marschblöcken unterwegs. Der Straßenverkehr in der Innenstadt kam zum vollständigen Erliegen. Die Demonstranten setzten sich in mehreren Richtungen in Bewegung, sie durchfluteten die gesamte Innenstadt. Die Menschenmasse, dicht bei dicht, quoll durch die Straßen, es gab kein Zurück, kein Ausweichen, nur vorwärts, vorwärts, dem Monument von Karl Marx entgegen. Dort war eine Rednertribüne errichtet worden. Massive Sprechchöre wanden sich gegen den Führungsanspruch der SED, forderten einen Volksentscheid zur Verfassung, verlangten die sofortige Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. Und immer wieder erklang im von Herbststürmen gepeitschten kalten Regen der alle vereinende Ruf „Wir sind das Volk!“. Rufe nach dem Ersten Sekretär der Bezirksleitung wurden laut, der erschien auch, Ordner des Neuen Forum um ihn herum zu seinem Schutz vor Übergriffen der erregten Masse. Der Mann war sichtbar um Jahre gealtert, verloren seine sonst so sichere Redeführung, stockend versuchte er sich zu artikulieren und Argumente aufzubauen, umsonst. Er wurde immerzu unterbrochen: „Wir wollen keine Lügen mehr!“, „Zu spät, zu spät!“, „Vierzig Jahre DDR sind genug!“. Pfiffe und Buh-Rufe verhinderten den Fortgang seiner Rede, andere Redner betraten das Podium. Demokratie jetzt, Vereinigte Linke und wie sie alle heißen, die breite Palette der politischen Strömungen stellte sich dar. Obgleich Holstein letzten Endes unter der Leitung des Ersten Sekretärs während seiner Tätigkeit in der SED-Bezirksleitung die bisher mit Abstand schlimmste Phase seines Berufslebens durchgemacht hatte, tat ihm der Erste jetzt leid. Auch auf dem Alexanderplatz hatte Holstein am vierten November Pfiffe und Buh-Rufe gehört, viele bei Schabowski, weniger bei Markus Wolf, nie aber in der Form, dass wie er heute erstmals erlebte eine Argumentation gänzlich verhindert wurde. Das widersprach seinen Vorstellungen von einem sachlichen Disput, wie auch immer sich manche der jetzt derart überzogen Rebellierenden durch die bisherigen Machtausübenden behandelt fühlen mochten.

      Auch mehrten sich die Anzeichen dafür, dass die Bürgerbewegung zur Demokratisierung und wirtschaftlichen Konsolidierung der DDR abglitt in das Bestreben nach Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Statt der bislang noch mitgeführten DDR-Flaggen und roten Fahnen sah Holstein nun mehrheitlich schwarz-rot-goldene Flagge ohne DDR-Emblem. Särge mit der Aufschift „DDR“ wurden herumgetragen. Am Rande der Kundgebung hielten ein paar zweifelsfrei Angetrunkene ein riesiges Transparent über sich gespannt, worauf geschrieben stand: „Keine Experimente mehr! Probiert euren Sozialismus erst an weißen Mäusen aus.“ Prima, dachte Holstein bei sich, allem Anschein nach auch Vertreter der führenden Klasse. Wenn sie tatsächlich den Kohl als baldigen Chef aller Deutschen sehen sollten, sind solche wie die wohl die Ersten, die nicht nur befreit von Diktatur sondern befreit auch von Arbeit auf der Straße liegen werden.

      Dienstag, 14. November 1989

      Fast eine Woche nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung der Westgrenzen schien das Volk anderen Sinnes zu sein. Statt zur Demonstration für eine wirkliche demokratische Wende in der DDR, die ja beileibe noch nicht vollzogen ist, setzten sie sich mit allen möglichen Fahrwerken in Richtung Westen in Bewegung, um den Duft der freien, weiten Welt zu schnuppern und das Begrüßungsgeld zu kassieren. Manche, so hörte Holstein, seien sogar im Trabi vom fernen Wismar bis nach München gefahren, da soll es zusätzliche Begrüßungsgelder gegeben haben. Mutierte das Volk der DDR, welches gerade erst die wichtigsten Grundlagen der Demokratisierung des Landes erkämpft hatte, jetzt zu Bettlern und Bittstellern? Gab es im Land nicht Wichtigeres zu tun als zu gieren nach ein paar Westgroschen? Die Öffnung der Grenzen betrachtete Holstein als einen folgerichtigen Akt, einer im wahrsten Wortsinn grenzenlosen Euphorie verfiel er deswegen nicht, seine Heimat war die DDR.

      Früh am Morgen nahm ihn sein Kollege Schwarzer zur Seite, ein sachlicher und überlegter Mensch. Früher diente der bei den Raketentruppen der NVA als Stabsoffizier. Für die Ziele der Bürgerbewegung hat er sich nie eingesetzt, er gehört aber auch nicht zum Kreis derer, die Holstein der konterrevolutionären Aufwieglung beschuldigen. Schwarzer beobachtete die Geschehnisse von einer höheren Warte ohne eigenes Zutun, weder für noch wider. Gestern machte er vor der nunmehr routinemäßigen Montagsdemonstration beim üblichen Bier nach Dienstschluss in der Stehkneipe an der Ecke eine Entdeckung. Dort standen an die zwanzig Kerle, die offensichtlich von einem in bayrischer Mundart sprechenden Mann bei reichlich Bier und Schnaps instruiert wurden. „Du stehst in der Ecke beim Zeitungskiosk, ihr zwei gleich vor dem Monument, du dort und du dort. Hier sind die Losungen.“ Der mutmaßte Bayer teilte Zettel aus, und die Eingeteilten zogen zu den ihnen zugewiesenen Stellplätzen ab.

      Holstein hatte es selbst schon mit Befemden vermerkt, dass sich die versammelten Massen Sprechchören, die eigentlich von ganz wenigen, dafür um so lautstarker und eindringlicher vorgetragen wurden, schnell anschlossen. Massensuggestion. Sollte es nunmehr wirklich eine gezielte Steuerung geben? Möglich war alles. Und warum sollte ausgerechnet der Westen jetzt nicht alles tun, um mit seiner Unterstützung dem Sozialismus auf deutschem Boden ein für alle mal, zumindest für kaum absehbare Zeiten, den Garaus zu machen, eine bessere Chance als zur Zeit wird es dafür kaum geben. Holstein schien, dass man Schwarzers Beobachtungen


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