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Die Rebellion. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Die Rebellion - Йозеф Рот


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      Es gab wieder Hafergrütze, wie jeden Sonntag. Die Kranken wiederholten, was sie alle Sonntage zu sagen gewohnt waren: Hafergrütze ist langweilig. Andreas aber fand sie gar nicht langweilig. Er hob den Teller an die Lippen und trank den Rest, nach dem er ein paarmal mit dem Löffel vergeblich gefischt hatte. Die anderen sahen ihm zu und folgten zaghaft seinem Beispiel. Er hielt den Teller lange vor dem Mund und schielte über den Rand nach den Kameraden. Er stellte fest, daß ihnen die Suppe schmeckte und daß ihre Reden Prahlerei und Übermut gewesen waren. Sie sind Heiden! – frohlockte Andreas und setzte den Teller ab.

      Das Dörrgemüse, das die anderen »Drahtverhau« nannten, schmeckte ihm weniger. Dennoch leerte er den Teller. Er hatte dann das befriedigende Gefühl, eine Pflicht erfüllt zu haben, wie wenn er ein rostiges Gewehr blank geputzt hätte. Er bedauerte, daß kein Unteroffizier kam, um die Geschirre zu kontrollieren. Sein Teller war sauber, wie sein Gewissen. Ein Sonnenstrahl fiel auf das Porzellan, und es glänzte. Das nahm sich aus wie ein offizielles Lob des Himmels.

      Am Nachmittag kam die längst angekündigte Prinzessin Mathilde in einer Krankenschwestertracht. Andreas, der in seiner Abteilung das Zimmerkommando führte, stand stramm an der Tür. Die Prinzessin gab ihm die Hand, und er verneigte sich, wider Willen, obwohl er sich vorgenommen hatte, stramm zu bleiben. Seine Krücke fiel zu Boden, die Begleiterin der Prinzessin Mathilde bückte sich und hob sie auf.

      Die Prinzessin ging, hinter ihr die Oberschwester, der Oberarzt und der Priester. »Alte Nutte!«, sagte ein Mann von der zweiten Bettreihe. »Unverschämt!«, schrie Andreas. Die anderen lachten. Andreas wurde zornig. Er befahl: Betten in Ordnung bringen, obwohl alle Decken sauber und vorschriftsmäßig dreimal gefaltet waren. Niemand rührte sich. Einige begannen, ihre Pfeifen zu stopfen.

      Da kam der Gefreite Lang, ein Ingenieur, dem der rechte Arm fehlte und vor dem auch Andreas Respekt hatte, und sagte: »Reg dich nicht auf, Andreas, wir sind ja alle arme Teufel!«

      Es wurde sehr still in der Baracke; alle sahen den Ingenieur an, Lang stand vor Andreas und sprach. Man wußte nicht, ob er zu Andreas oder zu den anderen oder auch nur für sich selbst sprach. Er blickte zum Fenster hinaus und sagte: »Die Prinzessin Mathilde wird jetzt sehr zufrieden sein. Auch sie hat einen schweren Tag hinter sich. Sie besucht jeden Sonntag vier Krankenhäuser. Denn es gibt, müßt ihr wissen, schon mehr Krankenhäuser als Prinzessinnen und mehr Kranke als Gesunde. Auch die scheinbar Gesunden sind krank, viele wissen es nur nicht. Vielleicht machen sie bald Frieden.«

      Einige räusperten sich. Der Mann in der zweiten Bettreihe, der vorher »alte Nutte« gesagt hatte, hustete laut. Andreas humpelte zu seinem Bett, nahm vom Kopfbrett eine Schachtel Zigaretten und rief den Ingenieur herbei. »Gute Zigarette, Herr Doktor!«, sagte Andreas. Er nannte den Ingenieur »Doktor«.

      Lang sprach wie ein Heide, aber auch wie ein Geistlicher. Vielleicht, weil er so gebildet war. Aber immer hatte er recht. Man hatte Lust, ihm zu widersprechen, und fand keine Argumente. Er mußte recht haben, wenn man ihm nicht widersprechen konnte.

      Am Abend lag der Ingenieur auf dem Bett in Kleidern und sagte: »Wenn die Grenzen wieder offen sind, fahre ich weit weg. Es wird nichts mehr zu holen sein in Europa.«

      »Wenn wir nur den Krieg gewinnen«, sagte Andreas.

      »Alle werden ihn verlieren«, erwiderte der Ingenieur. Andreas Pum verstand es nicht, aber er nickte achtungsvoll, als müßte er dem Lang recht geben.

      Indessen nahm er sich vor, im Lande zu bleiben und künstlerische Postkarten in einem Museum zu verkaufen. Er sah ja ein, daß für Gebildete vielleicht kein Platz war. Sollte der Ingenieur etwa Parkwächter werden?

      Andreas hatte keine Angehörigen. Wenn andere Besuche empfingen, ging er hinaus und las ein Buch aus der Spitalsbibliothek. Er war oft nahe daran gewesen zu heiraten. Aber die Furcht, daß er zu wenig verdiente, um eine Familie zu erhalten, hatte ihn gehindert, um Anny, die Köchin, die Näherin Amalie, das Kindermädchen Poldi anzuhalten.

      Er war mit allen drei nur »gegangen«. Sein Beruf war allerdings auch nicht für junge Frauen. Andreas war Nachtwächter in einem Holzlager außerhalb der Stadt und nur einmal in der Woche frei. Seine eifersüchtige Natur hätte ihm die ruhige Freude am gewissenhaft ausgeführten Dienst gestört oder diesen ganz unmöglich gemacht.

      Einige schliefen und schnarchten. Der Ingenieur Lang las. »Soll ich abdrehen?«, fragte Andreas.

      »Ja«, sagte der Ingenieur und legte das Buch weg.

      »Gute Nacht, Doktor«, erwiderte Andreas. Er knipste das Licht ab. Er zog sich im Dunkeln aus. Seine Krücke lehnte an der Wand zur rechten Seite.

      Andreas denkt, ehe er einschläft, an die Prothese, die ihm der Oberarzt versprochen hat. Es wird eine tadellose Prothese sein, wie sie der Hauptmann Hainigl trägt. Man merkt gar nicht, daß ihm ein Bein fehlt. Der Hauptmann geht frei, ohne Stock durchs Zimmer, als hätte er nur ein kürzeres Bein. Die Prothesen sind eine großartige Erfindung der hohen Herren, der Regierung, die es sich wirklich etwas kosten läßt. Das muß man sagen.

      2

      Die Prothese kam nicht. Statt ihrer kam die Unordnung, der Untergang, die Revolution. Andreas Pum beruhigte sich erst zwei Wochen später, nachdem er aus den Zeitungen, den Vorgängen, den Reden der Menschen entnommen hatte, daß auch in Republiken Regierungen über die Schicksale des Landes walteten. In den großen Städten schoß man auf die Empörer. Die heidnischen Spartakisten gaben keine Ruhe. Wahrscheinlich wollten sie die Regierung abschaffen. Sie wußten nicht, was dann folgen würde. Sie waren schlecht oder töricht, sie wurden erschossen, es geschah ihnen recht. Gewöhnliche Menschen sollen sich nicht in die Angelegenheiten der Klugen mischen.

      Man erwartete eine ärztliche Kommission. Sie hatte über den Bestand des Spitals, über die Arbeitsunfähigkeit, über die Versorgung seiner Insassen zu entscheiden. Das Gerücht, aus anderen Krankenhäusern herüberflatternd, wollte wissen, daß nur die Zitterer bleiben würden. Alle anderen bekamen Geld und vielleicht eine Drehorgellizenz. Von einem Briefmarkenverschleiß, einer Wächterstelle in einem Park, in einem Museum könne keine Rede sein.

      Andreas begann zu bedauern, daß er kein Zitterer war. Von den hundertsechsundfünfzig Kranken des Kriegsspitals Numero XXIV zitterte nur einer. Alle beneideten ihn. Er war ein Schmied, namens Bossi, italienischer Abkunft, schwarz, breitschultrig, finster. Sein Haar wuchs schwer über den Augen und drohte, sich über das ganze Angesicht auszubreiten, die schmale Stirn zu überwuchern und, die Wangen bedeckend, eine Vereinigung mit dem wilden Bart zu finden.

      Bossis Krankheit milderte nicht die furchtbare Wirkung seiner körperlichen Gewalt, sondern vergrößerte seine Unheimlichkeit. Die schmale Stirn faltete sich und verschwand zwischen den buschigen Augenbrauen und dem Haaransatz. So traten die grünen Augen hervor, der Bart bebte, man hörte die Zähne klappern. Die mächtigen Beine krümmten sich, daß sich die Kniescheiben innen bald berührten und bald auseinanderstrebten, und die Schultern zuckten empor und fielen zurück, während der wuchtige Kopf in einem ständigen leisen, verneinenden Schütteln verharrte, wie man es bei kraftlosen Häuptern alter Frauen sieht. Die ununterbrochenen Bewegungen des Körpers hinderten den Schmied, deutlich zu sprechen. Er sprudelte halbe Sätze hervor, spuckte ein Wort aus, blieb eine Weile stumm und setzte wieder an. Daß ein so kräftiger, wilder Mann zittern mußte, ließ die allgemein bekannte Krankheit furchtbarer erscheinen, als sie war. Eine große Traurigkeit befiel jeden, der den zitternden Schmied sah. Er war wie ein schwankender Koloß auf unsicherem Grunde. Er hielt alle in der Erwartung seines bald erfolgenden Zusammenbruchs und brach dennoch nicht nieder. Unglaubhaft war, daß ein Mann von solchen Ausmaßen beständig wankte, ohne, sich selbst und seine Umgebung erlösend, endgültig auseinanderzustürzen. Sogar die unglücklichsten Invaliden, die ein zerschossenes Rückgrat hatten, gerieten in Bossis Nähe in eine unübersichtlich endlose Furcht, wie man sie vor Katastrophen empfindet, die nicht eintreffen wollen und deren Ausbruch eine Erlösung wäre.

      Wer ihn sah, fühlte die Notwendigkeit, ihm beizustehen, und die Ohnmacht zugleich. Schmerzlich war die Erkenntnis, daß man ihm nicht helfen konnte, und beschämend. Aus Scham hätte man selbst zittern


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