Ein undurchsichtiger Gentleman.. Catherine St.JohnЧитать онлайн книгу.
diese Ecke von Kent war das reinste Paradies und sie durfte hier leben, bald mit dem Mann, den sie liebte und der schließlich, wie Papa argumentiert hatte, um Mama zu beruhigen, eines hoffentlich fernen Tages auch Lord Norton sein würde und sie damit Lady Norton! Nein, sie war wirklich wunschlos glücklich, nur wusste sie immer noch nicht, was sie an London irritiert hatte. Und wenn sie John fragte? Er würde wenigstens nicht von mangelnder Dankbarkeit sprechen, wenn sie zugab, dass ihr an London etwas nicht gefallen hatte!
Sie eilte durch das ganze Haus, um ihn zu finden, und entdeckte ihn schließlich in den Stallungen, wo er zusammen mit dem Stallmeister den Hinterhuf eines Fuchsjährlings inspizierte. Als sie eintrat, sah er auf und Tom Brady verbeugte sich höflich. „Miss Horbury…“
„Mr. Brady, einen guten Tag“, antwortete sie recht förmlich. „John, wenn du hier fertig bist, hätte ich dich gerne kurz gesprochen.“
John ließ den Fuß des jungen Hengstes sinken. „Wir sind eigentlich schon fertig. Tom, versuch´s zunächst einmal mit einem passenden neuen Hufeisen, auf der Innenseite etwas stärker.“
„Gut, Sir. Ich spreche mit dem Hufschmied. Miss…“ Brady tippte sich an die Mütze und wandte sich dann ab.
„Nun, Belle, was gibt es denn so Dringendes?“
Annabelle trug ihm vor, was sie immer noch beschäftigte.
John lächelte, als sie etwas atemlos innehielt. „Vielleicht bist du einfach ein gesundes Landmädchen?“
„Ja, das bestimmt.“ Annabelle war nicht beleidigt. „Aber das erklärt zwar, warum mir die schlechte Luft und der Lärm missfallen haben, aber nicht, was mir an London so unheimlich erschienen ist!“
John führte sie zu einer Bank vor den Stallungen. „Setz dich doch! Der Sache sollten wir doch einmal auf den Grund gehen. Weißt du mittlerweile genauer, wann du dieses Gefühl gespürt hast?“
Annabelle überlegte. „Nicht, als wir eingekauft haben, da bin ich sicher.“
John lachte. „Das kann ich mir vorstellen, Schwesterchen! Da haben die schönen Gefühle wohl überwogen, nicht wahr?“
„Affe. Nicht unbedingt bei den Handtüchern, bei der Nachtwäsche vielleicht schon eher.“
John antwortete darauf nichts – ein doch etwas frivoles Thema wollte er nun wirklich nicht mit seiner kleinen Schwester erörtern. Ja, mit Hester Wentworth – sobald sie verheiratet wären, natürlich…
„Also bei anderer Gelegenheit? Bei Gunter´s? Im Theater? Oder hast du dich vielleicht im Hotel unwohl gefühlt? Ich hatte es ausgewählt, weil es den Ruf hat, sich auch für reisende Damen besonders gut zu eignen!“
Das klang tatsächlich wieder leicht gekränkt, fand Annabelle. Hastig bemühte sie sich also, ihren Bruder zu versöhnen: „Nein, das wollte ich nicht sagen, das Miller´s war wirklich sehr schön. Sehr luxuriös und wirklich sehr für – äh – weibliche Gäste geeignet. Ich weiß es doch auch nicht so recht! Eigentlich waren die Läden, das Theater und natürlich das Hotel alle sehr schön und wirklich eindrucksvolle Erfahrungen, aber es gab etwas, was mich daran gestört hat…“
„An allen dreien?“
Sie überlegte. „Ich glaube schon. Aber es war, scheint mir, nicht immer gleich. Mit der Zeit wurde es stärker.“
„Dann war es wohl eher nicht das Ungewohnte der Stadt“, folgerte John. „Das Theater hat dich also am meisten irritiert?“
„Ja, aber das Stück war es nicht. Die in Purpur gewandete Dame war es auch nicht.“
„Mrs. Templeton“, nickte John. „Ja, von dieser Frau droht dir keine Gefahr. Eher droht ihr Gefahr…“
„Oh, warum das?“ Annabelle sah ihn mit weit aufgerissenen Augen bettelnd an.
„Wollten wir nicht deine Sorgen besprechen, Belle?“
„Ach bitte, Johnny!“
„Sag nicht Johnny zu mir, ich bin kein Schuljunge mehr. Na gut – Mrs. Templeton ist eine sehr wohlhabende Witwe. Es könnte durchaus sein, dass jemand sie heiraten möchte, um sich in den Besitz dieses Vermögens zu setzen.“
„Ein Mitgiftjäger?“, hauchte Annabelle fasziniert.
„Gewiss. London ist voll davon, das muss man leider sagen.“
„Oh!“
„Was hast du, Belle?“
„Mitgiftjäger… nein. Wir haben doch niemand derartigen kennengelernt. Ich grüble immer noch…“
John klopfte ihr recht brüderlich-kräftig auf die Schulter. „Es wird dir schon wieder einfallen! Ich muss jetzt wirklich mit dem Verwalter sprechen.“
Ungetröstet schlenderte Annabelle zum Haus zurück, nicht einmal die graue Stallkatze, die ihr schmeichelnd um den Rocksaum strich, konnte sie lange ablenken. Sie kraulte sie zerstreut unter dem Kinn und ging dann weiter.
Im Haus kehrte sie sofort in ihr Zimmer zurück und sah wieder aus dem Fenster, wo sich ganz langsam Dämmerung über die Landschaft senkte. Immerhin konnte man auf der Straße hinter den Feldern gerade noch eine Kutsche erkennen. Wer das wohl war?
Ach, wen interessierte das denn! Irgendjemand aus der Umgebung fuhr eben irgendwohin. Eine Einladung, vermutlich. Nein, sie hatte vorläufig genug von Unternehmungen. Nach dem Dinner würde sie ein wenig Klavier spielen und dann früh schlafen gehen – wie die vornehmen Londoner diese langen Bälle überstanden, von denen Susan ihr erzählt hatte, verstand sie ohnehin nicht.
Beim Dinner aß sie mit gutem Appetit, obwohl die Speisen nicht halb so aufwendig waren wie in Miller´s Hotel. Aber hier kannte sie alles, hier störte niemand und Mama musste sie nicht kritisieren. Papa zwinkerte ihr zu: „Na, Belle, wie war´s in der großen Stadt?“
„Beeindruckend“, antwortete Annabelle vorsichtig, „und sehr aufregend. Aber ich fürchte, London ist nichts für mich. Hier ist es schöner. Immerhin bin ich jetzt für meinen künftigen Hausstand perfekt gerüstet, nicht wahr, Mama?“
Lady Horbury nickte, die Gabel zierlich erhoben. „Gewiss, mein Kind. Alles Nötige ist vorhanden, denn die Nortons sind ja schon selbst sehr gut ausgestattet.“
Sir Joshua war zufrieden und widmete sich wieder dem Rinderbraten. Annabelle versank erneut in Gedanken – eben hatte sie sich doch etwas überlegt? Etwas, das sie im Nachhinein auch wieder verwirrte?
Ach ja: Niemand störte sie beim Essen. Aber das war doch in London auch nicht geschehen?
Sie hatten stets ganz unbehelligt gespeist, sehr gut gespeist, das ließ sich nicht leugnen. Nur einmal war dieser Bekannte von John aufgetaucht, dieser Sir Ernest Wie-auch-immer, aber er hatte doch gar nicht gestört? Einige Minuten harmloses Geplauder, mehr nicht…
Aber war er nicht auch bei Gunter´s und im Theater gewesen?
Zufall, beschloss sie, dieser belanglose junge Mann konnte unmöglich der Grund für ihr diffuses Unbehagen sein. Nein, das war alles Unsinn – wahrscheinlich hatte London sie nur etwas überwältigt!
Kapitel 7
Am nächsten Vormittag spazierte sie tatsächlich zu den Nortons hinüber, wo zuerst Stephen sie ausgesprochen liebevoll begrüßte und ihr erklärte, wie sehr er sich auf die Hochzeit freute, bevor er sie durch das nahezu fertig ausgestattete Dower House führte.
„Vor fünf Jahren ist die alte Großtante Elizabeth gestorben. Seitdem stand das Haus leer, aber ich denke, wir werden es hier durchaus gemütlich haben, meinst du nicht?“
Annabelle betrachtete sich die freundlichen Räume, die schöne Holzböden und helle Wände in verschiedenfarbiger Seidenbespannung aufwiesen, außerdem die dazu passenden, bequem aussehenden Möbel und im oberen Stockwerk zwischen den beiden Schlafzimmern ein richtiges hochmodernes Badezimmer mit einer fest installierten Wanne – und