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Schutz vor Taschendieben. Antonio RudolphiosЧитать онлайн книгу.

Schutz vor Taschendieben - Antonio Rudolphios


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Der Taschendieb im Wandel der Zeit

       Natürlich unterliegt auch Taschendiebstahl dem Wandel der Zeit. Was früher „nur“ der geschickte Gauner war, der aus fremden Taschen Geldbörsen und Schmuck fingerte, sind heute Klau-Kids, Diebesbanden, Nelken-Frauen, Rempler, Diebes-Dirnen und andere Ganoven. Dabei haben es die Diebe nicht mehr nur auf Portmonees abgesehen, sondern heutzutage natürlich auch auf Handys, Scheckkarten und Laptops. Und auf Ausweispapiere aller Art wie Krankenversicherungskarte, Führerschein, Personalausweis oder Bahncard. Es gibt an bestimmten Bahnhöfen sogar einen Markt für solche Papiere. Drogensüchtige zum Beispiel wissen, dass sie am Frankfurter Hauptbahnhof oder am Bahnhof Zoo in Berlin die Versichertenkarte einer Krankenkasse für bis zu 50 Euro versilbern können, um sich mit dem so erworbenen Geld den nächsten Schuss zu leisten.

       Die Gauner sind so alt wie es Taschen gibt

       Taschendiebstahl ist fast so alt wie es Taschen gibt. In der Literatur werden Taschendiebe bereits im 13. Jahrhundert erwähnt. Da wurde schon vermehrt von solchen Gaunern berichtet. Im Mittelalter bezeichnete man sie als Beutelschneider. Denn damals war es üblich, Barvermögen in einem Beutel am Gürtel mitzuführen. Damals schon machten sich Diebe oft das Gedränge auf Straßen oder bei einem Menschenauflauf zunutze. Auch der Begriff „Paddendrücker“ war in einigen Gegenden gebräuchlich. In der Berliner Umgangssprache war die „Padde“ eine Geldbörse. Schon im Mittelalter lenkten Taschendiebe auch ihre Opfer gezielt ab, um den Geldbeutel dann vom Gürtel zu schneiden.

       Der heutige Taschendieb ist aus der Gruppe der Straßenräuber hervorgegangen. Er ist sozusagen der Spezialist unter ihnen und nimmt eine Sonderstellung ein. Sein Phänomen ist es, nie in abgehängte Mäntel oder Jacken zu greifen – ganz im Gegensatz zu den modernen Taschendieben unserer Zeit. Während heute Taschendiebe bei fast allem zugreifen – ausgelegte Ware, achtlos abgelegte Jacken, abgestellte Taschen – war der Taschendieb des Mittelalters sehr deliktscheu. Es war ihm einfach zu plump und zu einfach, weil er sich als ein Künstler unter den Straßenräubern sah. Er lebte förmlich vom Kontakt zum lebendigen Objekt. Er brauchte den Kick und die Anspannung, um seine Beutezüge durch die Taschen der Opfer zu wagen. Man nannte ihn deswegen auch den Meister des Einfühlungsvermögens, weil er mit List, Tücke und seiner spielerischen Art am Menschen arbeitete. Er hatte ein perfektes Zusammenspiel sinnlicher Erfassung, rascher Willensaktivierung und guter Auffassungsgabe. So näherte er sich zielgerichtet an sein ausgewähltes Opfer heran und bestahl es mit Sanftheit, Fingerfertigkeit und Behutsamkeit. Dabei war die Gewaltlosigkeit immer sein oberstes Gebot – und die Heimlichkeit. Das Ausnutzen von Behinderung, Gebrechlichkeit oder einer misslichen Lage erschienen ihm als unwürdig. Er wahrte stets seine Anonymität durch angepasste Kleidung; er bewegte sich unauffällig unter seinen Mitmenschen. So war er schlicht ein Durchschnittsmensch. Noch eins zeichnete den Taschendieb alter Schule aus: seine Menschenkenntnis. Das unterschied ihn vom plumpen Straßenräuber, der meist in Gruppen mit offenem Visier auftrat und auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckte. Nehmen Sie die Räuber des Mittelalters, die Kutschen brutal überfielen, Postwagen und im Wilden West der USA sogar Züge. Der Taschendieb erbeutete immer nur kleine Summen, weshalb er auch sehr aktiv sein musste, um sein Überleben zu sichern. Obwohl er einen hohen Eifer entwickelte, war die Aufklärungsquote damals schon sehr gering. Insofern ist es auch verständlich, dass es unter Taschendieben alter Schule eine hohe Rückfallquote gab.

       Wie auch andere Ganoven wurden überführte Taschendiebe früher hart bestraft: Tod durch Ertrinken, Verbrennen auf dem Scheiterhaufen, öffentliches Erhängen und das Abhacken einzelner Finger oder ganzer Hände. Und wiederum zog gerade das Erhängen ertappter Taschendiebe auf öffentlichen Plätzen viele Schaulustige an, was andere Taschendieben dreist nutzten, sich trotzdem und gerade da zu „bedienen“.

       Von Diebesschulen und Klingelpuppen

       Ein anderes Phänomen wurde 1585 erstmals erwähnt: die Diebessschule von Mister Wotton. Sie war Vorbild für ähnliche „Ausbildungsstätten“ in London, Prag, Sevilla, Rom, New York, Warschau und Madrid. Mister Wotton „lehrte“ noch neben einer angrenzenden Gaststätte. Dazu hatte man eigens Übungsmaterial konstruiert, so genannte Klingelpuppen. Die jungen Diebes-Meister wurden erst entlassen, wenn Sie die Prüfung an der Puppe bestanden, also Geldbörsen, Taschenuhren, Seidentücher, Tabakdosen, goldene Schärpen und dergleichen mit dem so genannten Scherengriff unbemerkt von der Puppe, die überall mit kleinen Schellen versehen waren, entwendeten; sie hing frei schwebend an einer Wäscheleine. Es durfte nicht klingeln, während sie die Taschen leerten. Hatten Sie die Prüfung bestanden, bekamen sie von ihrem Meister ein Revier zugewiesen, in dem sie fortan wildern durften, aber auch einen erheblichen Anteil an ihn abliefern mussten.

       Klau-Kids durchlaufen moderne „Trainingslager“

       Die modernen Diebesschulen sind heute in Rumänien, der Ukraine und auf dem Balkan. Speziell aus Rumänien stammen ganze Banden von Klau-Kindern, die natürlich vorher entsprechend von ihren Chefs ausgebildet wurden.

       Der Unterschied zur alten Schule besteht darin, dass sie in Gruppen auftreten und nicht mehr Einzelkämpfer sind. Sie sind in der Regel unter 14 Jahre alt und damit minderjährig sowie schuldunfähig. Der Entschluss zum Klauen kommt nicht von ihnen selbst; ihre Eltern haben es ihnen befohlen. Oft werden sie in den armen Gegenden ihrer Herkunftsländer von ihnen wie Sklaven an solche Banden weitergereicht – in der Hoffnung, später Geld für ihr eigenes Überleben zu bekommen. Oder die Kinder wurden direkt gegen Cash verkauft. Man nimmt ihnen ihre Ausweisdokumente, damit sie abhängig sind und man ihnen ihr wahres Alter nicht nachweisen kann. Deshalb sind Klau-Kids auch nicht so einfach abzuschieben. Sie werden lediglich ins nächste Jugendheim gebracht, von wo sie nach einer Nacht wieder zu ihren Touren aufbrechen. Erst wenn ihnen bandenmäßiger Taschendiebstahl nachgewiesen wird, machen sich Behörden die Mühe, sie zu erfassen und zu registrieren. Denn bei jedem aufgegriffenem Kind das tatsächliche Alter sowie erkennungsdienstliche Merkmale festzustellen, dafür haben Polizei und Ordnungsämter keine Mittel und Möglichkeiten. Die Kinder wissen genau, dass sie unter 14 Jahren nicht belangt werden können und wieder freizulassen sind. Deshalb ziehen sie auch weiter von Diebestour zu Diebestour. Wird ihnen die Luft in einer Stadt zu heiß, geht es in die nächste City oder gar in ein anderes Land.

       Sie sind so clever, dass illegal einreisende Kinder und Jugendliche bei der ersten Polizeikontrolle Asyl beantragen. Dabei geben sie frei erfundene Personendaten an. Viele Klau-Kinder steuern aber auch sofort eine Erstaufnahme-Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an; sie wissen nämlich, dass sie nicht abgeschoben werden können. So bekommen sie auch weniger Probleme mit der Polizei, wenn sie einen schriftlichen Nachweis besitzen, der ihren Kontakt beim Ausländeramt oder einer Aufnahmestelle dokumentiert. Sie haben dann nämlich eine meldefähige Adresse in einem Heim für minderjährige Flüchtlinge. Werden sie von der Polizei erwischt, kann diese sie nur ins Heim zurückbringen. Beim Erstkontakt machen sich Klau-Kinder oft um Jahre jünger.

       Sie werden schnell mit ein paar bettelnden Worten, einem Pappschild ausgestattet und in geschickte Klau-Techniken eingewiesen. Manchmal erhalten sie sogar Vorgaben (300 bis 800 Euro pro Tag), wie viel Geld sie jeden Tag zu klauen haben. Wenn sie ihr Soll nicht erfüllen, bekommen sie Prügel oder Essensentzug – ähnlich wie in den Drücker-Kolonnen. Auch reisende Roma-Verbände setzen Klau-Kinder ein, die zu 20 Prozent aus Mädchen und zu 80 Prozent aus Jungen bestehen. Sie sind überwiegend dunkel- bis schwarzhaarig und unterscheiden sich so von deutschen Kindern – oft auch durch eine dunklere Haut. Natürlich werden sie von ihren Patronen für den Einsatz vorbereitet, wie sie am geschicktesten an Wertsachen kommen und ihre Opfer ablenken. Die Kinder sehen oft auch etwas verwahrlost aus, ungepflegt, kränklich, um noch mehr Eindruck zu schinden. Ihre Ernährung ist einfach.

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