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Panoptikum. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Panoptikum - Йозеф Рот


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sind Krüge, Töpfe, Schüsseln aufgespießt wie abgeschnittene Häupter. Eine Fabrik, rote Ziegel, Backsteine, ein eisernes Gitter, ein kleines Portierhäuschen aus weißem Stein, mit sichtbarer Kontrolluhr, dahinter große Schlote, vier, fünf, sechs, bereit, sich noch zu vermehren, ihnen soll's nicht darauf ankommen.

      Das Land will immer wieder anfangen, Land zu sein – und kann's nicht. Da sind keine Häuser. Jetzt könnte es eine Landstraße werden. Sogar Bäume stehen zu beiden Seiten und sind bereit, sie zu bestätigen. Aber unsere Straßenbahn bedarf der Drähte, und die Drähte bedürfen der langen, hölzernen Pfosten, der kahlen, an deren höchstem Ende ein paar weiße Porzellangefäße zu elektrischen Zwecken blühen. Karikaturen von Schneeglöckchen.

      Hinten, weit, am Horizont, sind Bestrebungen der Natur im Gange, einen Wald hervorzubringen. Aber es ist kein Wald. Es entsteht eine Art beginnender Vegetationsglatze, mit vereinsamten Tannensträhnen.

      Jetzt fangen die Gasthäuser an, eines folgt dem andern, und jedes kündigt ein »ausgezeichnetes Gartenlokal« an. Was mag das sein, ein Gartenlokal? Ich stelle mir ein Lokal mit gemalten Orangenbäumen vor und Lorbeeren in Blumentöpfen; oder ein Stückchen Kohlrübenfeld mit einer Veranda; vier Zäune mit wildem Weinlaub. Der Phantasie sind keine Schranken gesetzt.

      Jetzt folgt ein Aufenthalt ohne logischen Grund. Der Führer steigt vom Trittbrett, der Schaffner folgt ihm, in der Mitte begegnen sie einander. Man hört den Regen rinnen. Man sieht kein Wartehäuschen. Schornsteine, große, schlanke, dampfen in unerlöster Qual. Der Regen zerfranst den dicken Rauch, zerstäubt ihn, gleichmäßig, ohne Wut. Der Regen spannt Vorhänge über die Landschaft, ohne Ornamente. Es ist keine Landschaft, es ist eine Art langgedehnter Stadtschaft, Industrieschaft, von blühenden Gartenlokalen unterbrochen.

      Da kündigt sich, durch den Regenvorhang noch sichtbar, ein Beerdigungsinstitut an und auf der anderen Seite Persil, das Sinnbild des Lebens. Niemand spricht. Sooft die Tür aufgeht, schlägt sie einer mit Überzeugung zu. Es ist kalt. Wenn wir halten, ist es noch kälter. Alle möchten ihre Füße auf die Sitze hinaufziehen, aber es wäre sicherlich verboten. Gestattet ist die Lektüre der Aufschriften: »20 Sitzplätze«, »Nicht in den Wagen spucken«. Ich täte es gern.

      Wir fahren jetzt wieder. Da beginnt auch schon die nächste große Stadt. Wir sind am Ziel. Es sieht aus wie der Anfang. Es ist, als gäbe es keine räumlichen Ziele hier: nur zeitliche, wie den sicheren, unausbleiblichen, endgültigen Tod des letzten Stückchens Erde.

      Der Rauch verbindet Städte

      Hier ist der Rauch ein Himmel. Alle Städte verbindet er. Er wölbt sich in einer grauen Kuppel über dem Land, das ihn selbst geboren hat und fortwährend neu gebärt. Wind, der ihn zerstreuen könnte, wird vom Rauch erstickt und begraben. Sonne, die ihn durchbohren möchte, wehrt er ab und hüllt sie in dichte Schwaden. Als wäre er nicht erdgezeugt und sein Wesen nicht vergänglich, erhebt er sich, erobert himmlische Regionen, wird konstant, bildet aus Nichts eine Substanz, ballt sich aus Schatten zum Körper und vergrößert unaufhörlich sein spezifisches Gewicht. Aus ungeheuren Schornsteinen zieht er neue Nahrung heran. Sie dampft zu ihm empor. Er ist Opfer, Gott und Priester. Milliarden kleiner Stäubchen atmet er wieder aus, er, ein Atem. Indem man ihn erzeugt, betet man ihn an. Man erzeugt ihn mit einem Fleiß, der mehr ist als Andacht. Man ist von ihm erfüllt.

      Erfüllt ist von ihm die ganze große Stadt, die alle Städte des Ruhrgebiets zusammen bilden. Eine unheimliche Stadt aus kleinen und größeren Gruppen, durch Schienen, Drähte, Interessen verbunden und vom Rauch umwölbt, abgeschlossen von dem übrigen Land. Wäre es eine einzige, große, grausame Stadt, sie wäre immer noch phantastisch, aber nicht drohend gespenstisch. Eine große Stadt hat Zentren, Straßenzüge, verbunden durch den Sinn einer Anlage, sie hat Geschichte, und ihre nachkontrollierbare Entwicklung ist beruhigend. Sie hat eine Peripherie, eine ganz entschiedene Grenze, sie hört irgendwo auf und läuft in Land über. Hier aber ist ein Dutzend Anfänge, hier ist ein Dutzendmal Ende. Land will beginnen, armseliges, rauchgeschwängertes Land, aber schon läuft ein Draht herbei und dementiert es. Große Fabrikwürfel aus Ziegelstein rücken unversehens heran, stehen da, fester gegründet als Berge, Hügel, naturnotwendiger als Wälder. Jede kleine Stadt hat ihren Mittelpunkt, ihre Peripherie, ihre Entwicklung. Da sie aber alle vom Rauch zu einer einzigen Stadt vereinigt werden sollen, verliert ihre natürliche Anlage und ihre Geschichte an Glaubwürdigkeit, jedenfalls an Zweckmäßigkeit. Wozu? Wozu? Wozu hier Essen, da Duisburg, Hamborn, Oberhausen, Mülheim, Bottrop, Elberfeld, Barmen? Wozu so viele Namen, so viele Bürgermeister, so viele Magistratsbeamte für eine einzige Stadt? Zum Überfluß läuft noch in der Mitte eine Landesgrenze. Die Bewohner bilden sich ein, rechts Westfalen, links Rheinländer zu sein. Was aber sind sie? Bewohner des Rauchlands, der großen Rauchstadt, Gläubige des Rauchs, Arbeiter des Rauchs, Kinder des Rauchs.

      Es ist, als wären die Bewohner der Städte weit zurück hinter der Vernunft und dem Streben der Städte selbst. Die Dinge haben einen besseren Zukunftsinstinkt als die Menschen. Die Menschen fühlen historisch, das heißt rückwärts. Mauern, Straßen, Drähte, Schornsteine fühlen vorwärts. Die Menschen hemmen die Entwicklung. Sie hängen sentimentale Gewichte an die beflügelten Füße der Zeit. Jeder will seinen eigenen Kirchturm. Indessen wachsen die Schornsteine den Kirchtürmen über die Spitze. Verschiedenartige Glockenklänge verschlingt der Rauch. Er hüllt sie in seine düstere Wattesubstanz, daß sie nicht vernehmbar, geschweige denn zu unterscheiden sind. Jede Stadt hat ihr Theater, ihre Andenken, ihr Museum, ihre Geschichte. Aber nichts von diesen Dingen hat erhaltende Resonanz. Denn die Dinge, die historischen (sogenannten »kulturellen«), leben vom Echo, das sie nährt. Hier aber ist kein Raum für Echo und Resonanz. Glockenklänge leben vom Widerhall, und alle kämpfen gegeneinander, bis der Rauch kommt und sie erstickt.

      Da haben einige kleine Städte ihre alten, winkligen, wenn man will: romantischen Teile. Man nennt so was lauschig. Rings um sie schmettert die Zeit. Dröhnende Drähte umspannen sie. Alle zitternden Luftwellen sind erfüllt von radio-gesprochenen Worten der Gegenwart. Was wollen diese schlummernden Portale, diese verträumten Schönheiten? Sie waren daheim, als der blaue Himmel noch über ihnen sich wölbte. Nun aber wölbt sich grauer Rauch über ihnen. Nun sind sie verschüttet von Millionen Kohlenstäubchen. Niemals, niemals wird ihre Wiederauferstehung erfolgen. Niemals mehr wird ein reiner, nackter Sonnenstreifen sie vergolden. Niemals wird ein sauberer Regen sie waschen. Niemals wird eine echte Wolke sie beschatten. Verloren sind sie in all ihrer Festigkeit. Sie waren für Jahrhunderte gebaut aus ewigem Stein, und nur weil ihre materielle Substanz so dauerhaft ist, sind sie noch da. Nicht, weil ihre Lebenskraft noch vorhanden ist. Sie sind wie alte Münzen aus solidem Silber, die keinen Währungswert mehr haben. Die lächerlichste Banknote aus dünnstem Papier ist gegenwärtiger.

      Aus lächerlich dünnem Material sind die neuen Stadtteile. Da sind Wände, die man mit Daumen und Mittelfinger umspannen könnte. Da sind Baracken aus Holz und hohlem Ziegel. Da sind Schindeldächer, wie von Kindern aufgestülpt. Es steht, es fällt, es wird wiederaufgebaut. Soeben noch waren sie weiß, strahlend von neuer, kurzlebiger Tünche. Jetzt sind sie schwarz wie faule Zähne. Jede Straße wie ein offener Mund.

      Menschen wohnen hier. Menschen, die alle ein Ziel haben. Auch die Arbeitslosen haben ein Ziel. Sie schreiten aus. Wozu schlendern? Was ist hier zu sehn? Kinder spielen in der Straßenmitte. Alle Fenster sind gleich. Alle Häusertüren sind gleich. Hier sind nur Nummern verschieden. Alle Menschen haben den verbissenen Willen, ein Ziel zu erreichen. Vielleicht ist es die Arbeitslosenunterstützung. Vielleicht ist es der Konsumverein. Vielleicht ist es das Versammlungslokal. Vielleicht ist es ein Einbruch. Vielleicht ist es die Revolution. Vielleicht ist es das Kino.

      Ach, es ist so gleichgültig! Ein Ziel wie das andere. Eine Stadt wie die andere. Eine Straße wie die andere. Steig in die Straßenbahn. Du bist in einer halben Stunde in der nächsten Stadt. Hat sich was geändert? Rauch über der Welt! Man fährt nach Oberhausen, von da nach Mülheim, von da nach Recklinghausen, nach Bochum, nach Gladbeck, nach Buer, nach Hamborn, nach Bottrop. Rauch über der Welt! Kein Himmel, keine Wolke! Regen, der aus Rauch kommt. Schwarzer Regen. Hundert Schornsteine, aufgestreckte Zeigefinger, Säulen des Rauchhimmels, Altäre des Gottes Rauch. Schienen auf der Erde, korrespondierende Drähte in der Luft. Eine einzige, grausame


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