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Radetzkymarsch. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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Lider von seinen großen, hellen Augen empor, betrachtete ein paar Sekunden den Bezirkshauptmann, streckte die Hand aus und sagte: »Trotta!«

      Im nächsten Augenblick schon hatte er die Bestürzung wie die Sanftheit abgelegt, schmetterte die Mappe hin, daß die Gläser zitterten, rief dreimal hintereinander: »Donnerwetter!«, so mächtig, als erzeugte er es wirklich, ließ den Blick triumphierend über die benachbarten Tische kreisen und schien Applaus von den Gästen zu erwarten, setzte sich, lüftete den Schlapphut und warf ihn auf den Kies neben den Stuhl, schob mit dem Ellbogen die Mappe vom Tisch, bezeichnete sie gelassen als »Dreck«, neigte den Kopf gegen den Leutnant vor, zog die Augenbrauen zusammen, lehnte sich wieder zurück und sagte: »Wie, Herr Statthalter, dein Herr Sohn?«

      »Das ist mein Jugendfreund, der Herr Professor Moser!«, erklärte der Bezirkshauptmann.

      »Donnerwetter, Herr Statthalter!«, wiederholte Moser. Er faßte gleichzeitig nach dem Frack eines Kellners, erhob sich und flüsterte eine Bestellung wie ein Geheimnis, setzte sich und schwieg, die Augen in jene Richtung gewendet, aus der die Kellner mit den Getränken kommen mußten. Schließlich stand ein Sodawasserglas vor ihm, halbgefüllt mit wasserklarem Sliwowitz; er führte es vor geblähter Nase ein paarmal hin und her, setzte mit einer mächtigen Armbewegung an, als gälte es, einen schweren Humpen auf einen Zug zu leeren, nippte schließlich nur ein wenig und sammelte dann mit vorgestreckter Zungenspitze die Tropfen von den Lippen ab.

      »Du bist zwei Wochen hier und besuchst mich nicht!«, begann er mit der forschenden Strenge eines Vorgesetzten.

      »Lieber Moser«, sagte Herr von Trotta, »ich bin gestern gekommen und fahre morgen wieder zurück.«

      Der Maler sah lange in das Gesicht des Bezirkshauptmanns. Dann setzte er das Glas wieder an und trank es ohne Aufenthalt leer wie Wasser. Als er es hinstellen wollte, traf er nicht mehr die Untertasse und ließ es sich von Carl Joseph aus der Hand nehmen. »Danke!«, sagte der Maler, und mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Leutnant: »Außerordentlich, die Ähnlichkeit mit dem Helden von Solferino! Nur etwas weicher! Schwächliche Nase! Weicher Mund! Kann sich aber mit der Zeit ändern ...!«

      »Professor Moser hat den Großvater gemalt!«, bemerkte der alte Trotta. Carl Joseph sah den Vater und den Maler an, und in seiner Erinnerung erstand das Porträt des Großvaters, verdämmernd unter dem Suffit des Herrenzimmers. Unfaßbar erschien ihm die Beziehung des Großvaters zu diesem Professor; die Vertrautheit des Vaters mit Moser erschreckte ihn, er sah die schmutzige, breite Hand des Fremden mit freundschaftlichem Schlag auf die gestreifte Hose des Bezirkshauptmanns niederfallen und den abwehrenden, sanften Rückzug des väterlichen Oberschenkels. Da saß nun der Alte, würdig wie sonst, zurückgelehnt und gleichsam abgehalten vom Alkoholgeruch, der gegen seine Brust und sein Angesicht gerichtet war, lächelte und ließ sich alles gefallen. »Solltest dich renovieren lassen«, sagte der Maler. »Schäbig bist du geworden! Dein Vater hat anders ausgesehn.«

      Der Bezirkshauptmann strich seinen Backenbart und lächelte. »Ja, der alte Trotta!«, begann wieder der Maler.

      »Zahlen!«, sagte plötzlich leise der Bezirkshauptmann. »Du entschuldigst, Moser, wir haben eine Verabredung.«

      Der Maler blieb sitzen, Vater und Sohn verließen den Garten.

      Der Bezirkshauptmann schob seinen Arm unter den des Sohnes. Zum erstenmal fühlte Carl Joseph den dürren Arm des Vaters an der Brust. Die väterliche Hand im dunkelgrauen Glacéhandschuh lag in leicht gekrümmter Zutraulichkeit auf dem blauen Ärmel der Uniform. Es war die gleiche Hand, die, hager und zürnend, umscheppert von der steifen Manschette, mahnen konnte und warnen, mit leisen und spitzen Fingern in Papieren blättern, die Schubladen mit grimmigem Ruck in ihre Fächer stieß, Schlüssel so entschieden abzog, daß man glauben konnte, die Schlösser seien für alle Ewigkeit versperrt. Es war die Hand, die mit lauernder Ungeduld auf die Tischkante trommelte, wenn es nicht nach dem Willen ihres Herrn ging, und an die Fensterscheibe, wenn im Zimmer irgendeine Verlegenheit entstanden war. Diese Hand hob den mageren Zeigefinger, wenn jemand im Haus etwas unterlassen hatte, ballte sich zur stummen, niemals aufschlagenden Faust, bettete sich zärtlich um die Stirn, nahm behutsam den Zwicker ab, bog sich leicht um das Weinglas, führte die schwarze Virginier liebkosend zum Mund. Es war die linke Hand des Vaters, dem Sohn seit langem vertraut. Und dennoch war es, als erführe er jetzt erst, daß es die Hand des Vaters war, die väterliche Hand. Carl Joseph verspürte das Verlangen, diese Hand an seine Brust zu drücken.

      »Siehst du, der Moser!«, begann der Bezirkshauptmann, schwieg eine Weile, suchte nach einem gerecht abwägenden Wort und sagte endlich: »Aus dem hätte was werden können.«

      »Ja, Papa!«

      »Wie er das Bild vom Großvater gemacht hat, war er sechzehn Jahre alt. Waren wir beide sechzehn Jahre alt! Es war mein einziger Freund in der Klasse! Dann ist er in die Akademie gekommen. Der Schnaps hat ihn halt erwischt. Er ist trotzdem ...« Der Bezirkshauptmann schwieg und sagte erst nach ein paar Minuten: »Unter allen, die ich heut wiedergesehn hab', ist er trotzdem mein Freund!«

      »Ja – Vater.«

      Zum erstenmal sagte Joseph das Wort »Vater«! »Jawohl, Papa!«, verbesserte er sich schnell.

      Es wurde dunkel. Der Abend fiel heftig in die Straße.

      »Du frierst, Papa?«

      »Keine Spur.«

      Aber der Bezirkshauptmann schritt rascher aus. Bald waren sie in der Nähe des Hotels.

      »Herr Statthalter!«, erscholl es hinter ihnen. Der Maler Moser war ihnen offenbar gefolgt. Sie wandten sich um. Da stand er, den Hut in der Hand, mit gesenktem Kopf, demütig, als wollte er den ironischen Anruf ungeschehen machen. »Die Herren entschuldigen!«, sagte er. »Habe zu spät bemerkt, daß mein Etui leer ist!« Er zeigte eine offene, leere Blechschachtel. Der Bezirkshauptmann zog ein Zigarrenetui.

      »Zigarren rauch' ich nicht!«, sagte der Maler.

      Carl Joseph hielt einen Zigarettenkarton hin. Moser legte umständlich die Mappe vor die Füße, auf das Pflaster, füllte seine Schachtel, bat um Feuer, hielt beide Hände um das blaue Flämmchen. Seine Hände waren rot und klebrig, zu groß im Verhältnis zu ihren Gelenken, zitterten leise, erinnerten an sinnlose Werkzeuge. Seine Nägel waren wie kleine, flache, schwarze Spaten, mit denen er eben in Erde, Kot, farbigem Brei und flüssigem Nikotin geschaufelt hatte. »Wir sollen uns also nicht mehr wiedersehen«, sagte er und bückte sich nach der Mappe. Er stand auf, über seine Wangen rannen dicke Tränen. »Nie mehr wiedersehn«, schluchzte er. »Ich muß für einen Augenblick ins Zimmer«, sagte Carl Joseph und ging ins Hotel.

      Er rannte die Stufen hinauf ins Zimmer, beugte sich aus dem Fenster, beobachtete ängstlich seinen Vater, sah, wie der Alte die Brieftasche zog, der Maler zwei Sekunden darauf mit verjüngten Kräften dem Bezirkshauptmann die schauerliche Hand auf die Schulter legte und hörte, wie Moser ausrief: »Also, Franz, am Dritten, wie gewöhnlich!«

      Carl Joseph rannte wieder hinunter, es war ihm, als müßte er den Vater schützen; der Professor salutierte und trat zurück, ging, mit letztem Gruß, erhobenen Hauptes, mit nachtwandlerischer Sicherheit schnurgerade über die Fahrbahn und winkte vom gegenüberliegenden Bürgersteig noch einmal zurück, bevor er in einer Seitengasse verschwand.

      Aber einen Augenblick später kam er wieder zum Vorschein, rief laut: »Einen Moment!«, daß es in der stillen Gasse widerhallte, setzte mit unwahrscheinlich sicheren und großen Sprüngen über die Fahrbahn und stand vor dem Hotel, so unbekümmert und gleichsam neu angekommen, als hätte er sich nicht erst vor ein paar Minuten verabschiedet. Und als sähe er jetzt zum erstenmal seinen Jugendfreund und dessen Sohn, begann er mit einer klagenden Stimme: »Wie traurig ist es, sich so wiederzusehn! Weißt du noch, wie wir nebeneinander in der dritten Bank gesessen sind? In Griechisch warst du schwach, ich habe dich immer abschreiben lassen. Wenn du wirklich ehrlich bist, sag's selbst, vor deinem Sprößling! Hab' ich dich nicht alles abschreiben lassen?« Und zu Carl Joseph: »Er war ein guter Kerl, aber ein Traumichnicht, Ihr Herr Vater! Auch zu den Mädeln ist er spät gegangen, ich hab' ihm Kurasch machen müssen, sonst hätt' er nie hingefunden. Sei gerecht, Trotta! Sag, daß ich dich hingeführt habe!«


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