Killer ohne Gnade: Ein Jesse Trevellian Thriller. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
Augenblick zu dieser intuitiven Erkenntnis brachte. Vielleicht die Tatsache, dass Mendrowskys Erinnerungsvermögen manchmal ganz exakt und manchmal seltsam ungenau zu funktionieren schien...
"Eine Frage noch", sagte ich, als Orry ihn schon abführen wollte.
Mendrowsky drehte sich zu mir herum.
"Ja?"
Seine unruhigen Augen schienen nervös zu flackern.
"Was wollten Sie mit der Pistole?"
"Die Lebenserwartung von unsereinem ist nicht besonders hoch, Mr. Trevellian... Einige sterben an der verdammten Kälte im Winter - andere werden einfach erschlagen. Ich dachte mir, mit so einem Ding kann man sich ein bisschen Respekt verschaffen. Vielleicht hätte ich sie auch verkauft."
"Verstehe..."
"Ich glaube nicht, dass Sie das können... Ihresgleichen ist doch mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen!"
Er wollte jetzt ablenken, aber ich hatte keine Lust, das zuzulassen. Mochte das Schicksal diesen Mann auch hart geschlagen haben, er war Zeuge eines Mordes. Und dazu ein Zeuge, von dem ich das Gefühl hatte, dass er mich in ein paar bestimmten Punkten anlog...
"Mr. Mendrowsky..."
"Warum so feierlich, G-man?", grinste er mich schief an und kicherte.
"...wieso kommen Sie eigentlich auf die Idee, dass der Killer oder seine Leute es auf Sie abgesehen haben könnten?"
"Naja, ich meine..." Er wurde ganz bleich.
"Das ergäbe nur einen Sinn, wenn Sie und der Killer sich gesehen hätten..."
Ich trat nahe an ihn heran. Ich spürte seine Unsicherheit förmlich. "Hat er sich vielleicht doch umgedreht, im Treppenhaus. Wenn auch nur für einen kurzen Moment..."
"Ich weiß es nicht!", fauchte er.
"Das wissen Sie sehr gut!"
"Was wollen Sie eigentlich? Dass ich mir irgendein Gesicht ausdenke oder was?" Er war dunkelrot angelaufen.
Milo legte mir eine Hand auf die Schulter.
"Lass es gut sein, Jesse", riet er mir. Ich atmete einmal tief durch. Milo hatte recht. Mit dem Kopf durch die Wand ging es hier nicht weiter.
Andererseits war es ein verflucht unangenehmes Gefühl, wenn man glaubte, ganz dicht an etwas sehr Entscheidendem dran zu sein und dann plötzlich vor einer Mauer zu stehen.
*
Teil 4
Big Tony Antonelli war ein gebeugter, grauhaariger Mann mit tiefliegenden dunklen Augen. Er wirkte beinahe unscheinbar in seiner blauen Strickjacke, die viel zu groß für diesen dürren alten Mann wirkte. Der dünne Oberlippenbart gab ihm etwas Aristokratisches. Zwischen den langen, dürren Fingern steckte der dicke Stummel einer Havanna.
Der Wind, der von See her blies, hatte sie längst gelöscht.
Von der Veranda seines Hauses in der Nähe von Montauk, Long Island, konnte Big Tony hinaus auf den Strand und das Meer sehen. Den unendlichen Atlantik, dessen Brandung ein unablässiges Rauschen verursachte. Das beruhigte die Nerven, fand Big Tony. Er hatte auch ein Haus in Little Italy in der Grand Street und ein weiteres in Miami, Florida. Und dann war da auch noch eines in Palermo in Sizilien. Aber dessen Besitz hatte rein sentimentale Gründe. Die alte Heimat, an die er sich noch vage erinnern konnte.
Big Tony war mit vier Jahren nach New York gekommen.
Und er sprach noch nicht einmal richtig Italienisch. Aber er hatte ein großes, weiches Herz, wenn es um diese Dinge ging. Diejenigen, die den Fehler gemacht hatten, sich mit ihm anzulegen, hatten ihn allerdings von einer ganz anderen Seite kennengelernt...
Big Tony trank seinen Espresso aus.
Auf seinen Knien lag die neueste Ausgabe der New York Times. Dann stand er auf. Die Zeitung klemmte er unter seinen Arm, während er den Blick über sein Anwesen schweifen ließ.
Ein Swimming Pool leuchtete blau in der Sonne.
Männer in dunklen Anzügen und schwarzen Brillen patrouillierten auf der Anlage herum. Walkie- Talkies beulten die Außentaschen ihrer Anzüge aus. Manchmal klappte der Wind eine Jacke zur Seite, so dass der Blick auf ein Gürtelholster inklusive Automatik-Pistole sichtbar wurde. Manche dieser Posten waren auch mit Maschinenpistolen oder Sturmgewehren ausgerüstet. Und die deutschen Schäferhunde, die sie an kurzen Leinen mit sich führten, sahen zwar im Moment ganz friedlich aus, konnten aber auf Zuruf zu reißenden Bestien werden.
Big Tony fühlte sich einigermaßen sicher.
Aber er wusste, dass man in seiner Position nicht wachsam genug sein konnte.
Schon so mancher, der sich zu sicher gefühlt hatte, war dann schneller unter die Erde gekommen, als er es in seinen schlimmsten Alpträumen für möglich gehalten hätte.
Wenn einer etwas davon wusste, dann war es Big Tony.
Er hatte so viele große Bosse kommen und gehen sehen. Kaum einer war geblieben und von diesen wiederum nur wenige für länger. Big Tony war eine Ausnahme. Er hatte überlebt, war von ganz unten sehr weit hinaufgekommen.
Er lächelte, als er die Sonne auf dem Meer glitzern sah.
Dann versuchte er, sich den Zigarrenstummel wieder anzuzünden. Er brachte es einfach nicht übers Herz, ihn wegzuwerfen. Was solche Dinge betraf, war er ein unverbesserlicher Geizhals.
Hinter sich vernahm Big Tony Schritte.
Der alte Mann drehte sich herum, innerlich noch halb in seinen Erinnerungen und Träumereien gefangen.
Ein Lächeln umspielte kurz seine dünnen, aufgesprungenen Lippen.
"Harry", stieß er hervor, als er den jungen, dunkelhaarigen Mann mit den kantigen Gesichtszügen auf sich zukommen sah.
Harrys Züge waren voller Entschlossenheit. Er war groß und breitschultrig. Unterhalb seines rechten Auges zuckte unruhig ein Muskel.
"Onkel Tony, du wolltest mich sprechen."
Big Tony nickte. Er hatte seine Frau und seine beiden Kinder bei einem Bombenattentat verloren. Und seitdem setzte er all seine Hoffnungen auf Harry, seinen Neffen. Er sollte die Familie irgendwann einmal führen. Wenn er das Zeug dazu hatte. Aber wann es soweit war, das wollte Big Tony selbst bestimmen...
Tony hob die Zeitung und deutete damit auf die zierliche Sitzecke. "Setz dich", sagte er.
"Danke, aber..."
"Carlo wird dir einen Espresso bringen."
Harry zuckte die Achseln und setzte sich. Der alte Mann trat auf ihn zu und warf die Zeitung vor seinen Neffen auf den Tisch.
Das grimmige Gesicht von John Mariano blickte einen von einem Foto aus an. In der Rechten hielt er seinen Flammenwerfer. Zwei Munitionsgürtel kreuzten sich über seiner gewaltigen Bodybuilderbrust. Er war der Bestienkiller...
"Es ist zu schade, dass dieser begabte Mensch so früh aus dem Leben gerissen wurde", sagte Big Tony im Tonfall echten Bedauerns. "Er war talentiert. Ich wusste es von Anfang an..."
Harry grinste.
"Du hast seiner Karriere ja auch ziemlich auf die Sprünge geholfen!"
Big Tony sah seinen Neffen mit einem undefinierbaren Blick an. "Dir nicht auch, Harry?", erwiderte er dann auf eine Art und Weise, die dem Jüngeren nicht gefiel.
Harry lockerte seine Krawatte.
Big Tonys letzte Bemerkung hatte einen Unterton, der Harry nicht gefiel.
"Harry, du warst in den letzten Jahren wie ein Sohn für mich", sagte er dann mit leiser, verhaltener Stimme. Und sein Blick wurde sehr ernst dabei.
"Und ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast, Onkel Tony!"
"Das