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Nur Fleisch. Jack LondonЧитать онлайн книгу.

Nur Fleisch - Jack London


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ein großer, behaarter, brutaler Bursche, und sein Anblick wirkte nicht appetitanregend auf den anderen. In seinen Augen war George Dorety ein Jonas, und das erzählte er ihm einmal im Laufe jeder Mahlzeit, während er seine Wut vom lieben Gott auf den Passagier übertrug und umgekehrt.

      Auch der Steuermann war nicht gerade appetitanregend. Joshua Higgins hieß er und war Seemann von Beruf und Ausbildung, aber Topfgucker von Natur, ein schlottriger, schnaufender Bursche ohne Seele und Herz, selbstsüchtig und feige, sterbensängstlich vor Dan Cullen und ein furchtbarer Tyrann den Leuten gegenüber, die wußten, daß hinter dem Steuermann Kapitän Cullen stand, Gesetzgeber und Bezwinger, Sklavenpeitscher und Vernichter, die Inkarnation von einem Dutzend Leuteschinder. In dem unheimlichen Wetter an der Südspitze der Erde hörte Joshua Higgins ganz auf, sich zu waschen, und sein schmutziges Gesicht raubte George Dorety in der Regel das bißchen Appetit, daß er glücklich zu den Mahlzeiten zusammengekratzt hatte. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde diese Versäumnis gegen die Reinlichkeit Kapitän Cullens Aufmerksamkeit erregt und ihm Gelegenheit zur Anwendung seines trefflichen Wortschatzes gegeben haben, augenblicklich aber drehten sich alle seine Gedanken nur darum, westwärts zu halten, so daß alles, was nichts hiermit zu tun hatte, ihm völlig gleichgültig war. Ob das Gesicht des Steuermanns sauber oder schmutzig war, hatte keinen Einfluß auf den Kurs. Später, wenn sie den 50. Grad südlicher Breite im Stillen Meer erreicht hätten, würde Joshua Higgins ganz plötzlich beginnen, sein Gesicht zu waschen. Bis dahin aber saß George Dorety am Tisch in der Kajüte, wo die graue Dämmerung das Lampenlicht ablöste, so oft die Lampen gefüllt werden sollten, saß dort zwischen den zwei Männern – einem Tiger und einer Hyäne – und grübelte, warum Gott sie erschaffen haben mochte. Der zweite Steuermann, Matthew Turner, war ein echter Seebär und ein Mann, aber George Dorety genoß nicht den Trost, mit ihm zusammen zu sein, denn er aß ganz allein für sich, wenn die anderen fertig waren.

      Als George Dorety am Sonnabendmorgen, den 24. Juli, aufwachte, hatte er ein Gefühl von Leben und sich überstürzender Bewegung. Er kam an Deck und sah, daß die Mary Rogers vor einem heulenden Südost dahinschoss. Außer Untermarssegel und Fock war kein Segel gesetzt. Das war alles, was das Schiff tragen konnte, und doch machte es vierzehn Knoten, wie der zweite Steuermann Dorety, als er an Deck erschien, ins Ohr brüllte. Und es ging westwärts. Sie sollten endlich Kap Horn runden+... wenn der Wind sich nur hielt. Der zweite Steuermann sah sehr froh aus, denn das Ende des Kampfes war in Sicht. Aber Kapitän Cullen sah nicht froh aus. Er warf einen gereizten Blick auf Dorety, als er vorbeiging. Kapitän Cullen wollte nicht, daß der liebe Gott ihm seine Freude über den Wind anmerkte. Er hatte die Vorstellung von einem übelgesinnten Gott und glaubte im Innersten, wenn Gott wüßte, daß es ein ersehnter Wind war, so würde er ihn sofort unterdrücken und einen Orkan aus Westen schicken. Und deshalb war er sehr vorsichtig mit dem lieben Gott, er verbarg sein Entzücken hinter der finsteren Miene und stieß leise Flüche aus, um auf diese Weise Gott anzuführen – Gott war nämlich das einzige zwischen Himmel und Erde, wovor Dan Cullen sich fürchtete.

      Den ganzen Sonnabend und die darauffolgende Nacht schoß die Mary Rogers weiter nach Westen. Sie machte anhaltend ihre vierzehn Knoten, am Sonntagmorgen hatte sie eine Strecke von dreihundertfünfzig Meilen zurückgelegt. Wenn der Wind sich hielt, kamen sie herum. Flaute er ab und kam der Sturm aus einer anderen Richtung zwischen Südwest und Nord, so wurde die Mary Rogers zurückgetrieben und war nicht besser dran, als sie seit sieben Wochen gewesen. Und am Sonntagmorgen wollte der Wind wirklich abflauen. Die großen Seen legten und glätteten sich. Beide Wachen waren auf Deck und setzten Segel auf Segel, so viel das Schiff tragen konnte. Und jetzt ging Kapitän Cullen umher, war ein großer Mann vor dem lieben Gott, rauchte eine lange Zigarre und lächelte triumphierend, als ob der abnehmende Wind ihn freute, während er innerlich gegen den lieben Gott wütete, weil er dem gesegneten Wind das Lebenslicht ausblasen wollte. Westwärts halten! Ja, das wollte er, wenn der liebe Gott ihn nur in Frieden ließ. Im geheimen schloß er wieder einen Pakt mit den Mächten der Finsternis, wenn sie ihn nur weiter westwärts kommen lassen wollten. Diesen Pakt schloß er leichten Herzens, weil er an die Mächte der Finsternis nicht glaubte. In Wirklichkeit glaubte er nur an Gott, obgleich er es selber nicht wußte. Und in seiner umgekehrten Theologie war Gott in Wirklichkeit der Fürst der Finsternis. Kapitän Cullen war Teufelsanbeter, aber er nannte den Teufel bei einem anderen amen – das war alles.

      Gegen Mittag, als es eben acht Glasen geschlagen hatte, gab Kapitän Cullen Befehl, die Oberbramsegel zu setzen. Die Männer gingen schneller nach oben, als sie seit Wochen getan. Das kam nicht nur daher, daß es jetzt westwärts ging, eine gnädige Sonne sandte auch ihre Strahlen auf sie herab und half ihnen, die steifen Glieder geschmeidiger zu machen. George Dorety stand achtern in der Nähe Kapitän Cullens, weniger eingepackt als gewöhnlich, und sein ganzer Körper sog die milde Wärme ein, während er das Schauspiel betrachtete, das sich an Deck entfaltete. Da plötzlich geschah es. Von der Voroberbramstenge scholl der Ruf: »Mann über Bord!« Ein Rettungsring wurde ins Wasser geworfen, und im selben Augenblick hörten die Leute achtern den klaren, gebieterischen Ruf des zweiten Steuermanns:

      »Hart nieder das Ruder!«

      Der Mann am Ruder rührte sich nicht von der Stelle. Er war klüger, denn Kapitän Dan Cullen stand neben ihm. Er hatte die größte Lust, das Ruder niederzulegen, hart nieder sogar um des Kameraden willen, der jetzt im Wasser lag und ertrinken wollte. Er warf einen Blick auf Kapitän Dan Cullen, und Kapitän Dan Cullen rührte sich nicht.

      »Nieder! Hart nieder!« brüllte der zweite Steuermann und sprang nach achtern.

      Aber er sprang nicht weiter, kommandierte nicht mehr und stand ganz still, als er Dan Cullen am Ruder sah. Und der große Dan Cullen paffte seine Zigarre und sagte nichts. Achteraus in einer Entfernung, die sich schnell vergrößerte, konnten sie den Matrosen sehen. Er hatte den Rettungsring ergriffen und hielt sich daran fest. Niemand rührte sich. Die Männer in der Takelung klammerten sich an die Marsstengen und sahen mit entsetzten Gesichtern zu. Und die Mary Rogers schoß weiter, immer westwärts. Eine lange, schweigende Minute verging.

      »Wer war es?« fragte Kapitän Cullen.

      »Mops, Käptn!« antwortete der Matrose am Ruder eifrig.

      Mops kam auf dem Gipfel einer Welle achteraus zum Vorschein und verschwand für eine Weile im Wellental. Es war eine große Woge, aber kein Brecher. Ein kleines Boot konnte sich gut in dieser See halten, und in dieser See konnte die Mary Rogers gut beidrehen. Aber sie konnte nicht gleichzeitig beidrehen und westwärts halten.

      Zum ersten Mal in seinem Leben sah George Dorety ein wirkliches Drama auf Leben und Tod, ein elendes Drama, bei dem ein unbekannter Seemann namens Mops gegen ein paar Meilen Länge in die Waagschale gelegt wurde. Anfangs hatte er den Mann achteraus beobachtet, jetzt aber beobachtete er den großen Dan Cullen, der eine Zigarre rauchte – behaart und finster – Herr über Leben und Tod.

      Kapitän Dan Cullen rauchte noch eine lange Minute in vollkommenem Schweigen. Dann nahm er die Zigarre aus dem Munde. Er warf einen Blick auf die Rundhölzer der Mary Rogers und über das Schiff hinaus aufs Meer.

      »Holt die Maststengen ein!« rief er.

      Eine Viertelstunde später saßen sie in der Kajüte, das Essen vor sich auf dem Tische. An der einen Seite von George Dorety saß Dan Cullen, der Tiger, auf der anderen Seite Joshua Higgins, die Hyäne. Keiner von ihnen sagte etwas. An Deck setzte die Mannschaft Skysegel. George Dorety konnte ihre Rufe hören, während er in Gedanken immer noch einen Mann namens Mops vor sich sah, einen lebendigen, gesunden und tüchtigen Mann, der sich mehrere Meilen achteraus in dem einsamen Meer an einen Rettungsring klammerte. Er sah Kapitän Cullen an, und ein würgendes Gefühl überkam ihn. denn der Mann aß sein Essen mit Wohlbehagen, ja, direkt mit Heißhunger.

      »Kapitän Cullen«, sagte Dorety, »Sie sind der Schiffer hier, und es kommt mir nicht zu, Bemerkungen über ihr Benehmen zu machen. Aber ich will Ihnen nur eins sagen. Es gibt ein Leben nach diesem, und im anderen Leben wird Ihnen tüchtig eingeheizt werden.«

      Kapitän Cullen blickte nicht einmal finster drein. Seine Stimme klang ganz bedauernd, als er sagte: »Es war Orkan. Es war unmöglich, den Mann zu retten.«

      »Er fiel von der Oberbramstenge«, rief Dorety heftig.

      »Sie


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