Magellan. Stefan ZweigЧитать онлайн книгу.
gehorchen und befehlen. Aber an allem beteiligt, lernt er auch teilnehmen an allem und wird alles zugleich, Kriegsmann, Seemann, Kaufmann, Kenner der Menschen, der Länder, des Meeres und der Gestirne. Schließlich mengt diesen jungen Menschen schon früh das Schicksal in die großen Geschehnisse, welche die Weltgeltung seiner Nation und die Gestaltung der Erde für Jahrzehnte und Jahrhunderte begründen werden, denn nach einigen kleinen Gefechten, die mehr Plünderungen sind als redlicher Krieg, empfängt Magellan die eigentliche Feuertaufe in der Seeschlacht von Cannanore (16. März 1506).
Diese Schlacht von Cannanore stellt einen entscheidenden Wendepunkt in der portugiesischen Eroberungsgeschichte dar. Der Zamorin von Calicut hatte Vasco da Gama bei seiner ersten Landung (1498) freundlich empfangen und sich bereit gezeigt, mit diesem unbekannten Volke Handel zu treiben. Aber bald hatte er erkennen müssen, daß die Portugiesen, als sie wenige Jahre später mit größeren und besser gerüsteten Schiffen wiederkehrten, offenkundiges Herrenrecht über ganz Indien anstrebten. Mit Schrecken sehen die indischen, die mohammedanischen Händler, welch ein gefräßiger Hecht da plötzlich in ihren stillen Karpfenteich eingebrochen ist, denn mit einem Hieb haben die Fremden sich aller Meere bemächtigt. Kein Schiff wagt sich mehr aus den Häfen aus Furcht vor diesen brutalen Piraten, der Gewürzhandel stockt, die Karawanen nach Ägypten bleiben aus; bis an den Rialto von Venedig spürt man, daß irgendwo eine harte Hand die Leitung durchschnitten haben muß. Der Sultan von Ägypten, dem seine Zölle fehlen, versucht es zunächst mit dringlicher Drohung. Er schreibt an den Papst, wenn die Portugiesen weiterhin wie Räuber im indischen Meere schalteten, würde er als Repressalie das Heilige Grab in Jerusalem zerstören. Aber weder der Papst noch irgendein Kaiser oder König haben mehr Gewalt über den imperialistischen Willen Portugals. So bleibt den Geschädigten nur übrig, sich zusammenzutun und rechtzeitig den Portugiesen in Indien Schach zu bieten, ehe sie sich endgültig festsetzen. Den Angriff bereitet der Zamorin von Calicut vor, im geheimen unterstützt vom Sultan von Ägypten und wohl auch von den Venezianern, die ihm – Gold ist immer dicker als Blut – unter der Hand Kanonengießer und Geschützmeister nach Calicut senden. Mit einem einzigen plötzlichen Schlag soll die christliche Flotte überfallen und vernichtet werden.
Aber oft entscheidet die Geistesgegenwart und Energie einer Hintergrundsfigur für Jahrhunderte Geschichte. Ein glücklicher Zufall rettet die Portugiesen. Durch die Welt wandert damals ein verwegener, durch seinen Mut und seine Frische gleich sympathischer italienischer Abenteurer namens Lodovico Varthema. Nicht Gier nach Gewinn, nicht Ehrgeiz treibt den jungen Menschen in die Ferne, sondern eine ganz ursprüngliche, urtümliche Wanderlust. Ohne falsche Scheu bekennt dieser geborene Vagant: »Weil von zu schwerem Begriff und abgeneigt, aus Büchern zu studieren«, habe er sich entschlossen, »zu versuchen, persönlich und mit eigenen Augen, die verschiedenen Orte der Welt zu besehen, weil ja doch die Berichte eines einzigen Augenzeugen mehr wert seien als alles Gerede vom Hörensagen her«. Als erster Ungläubiger schleicht sich der verwegene Varthema ein in die verbotene Stadt Mekka (sein Bericht ist noch immer die Standardbeschreibung der Kaaba geblieben) und gelangt nach vielen Fährlichkeiten nicht nur bis nach Indien, nach Sumatra und Borneo, das immerhin schon Marco Polo betreten hatte, sondern als erster Europäer (und dies wird für die Tat Magellans mitentscheidend sein) auf die vielgesuchten islas de la especeria. Auf dem Rückweg erhält der als mohammedanischer Mönch Verkleidete in Calicut von zwei christlichen Renegaten erste Kunde von dem geplanten Überfall des Zamorin auf die Portugiesen. Aus christlicher Solidarität flüchtet er unter äußerster Lebensgefahr zu den Portugiesen hinüber, und seine Warnung kommt glücklicherweise noch zurecht. Als am 16. März 1506 die zweihundert Schiffe des Zamorin die elf der Portugiesen unvorbereitet zu überfallen hoffen, stehen diese schon schlachtbereit. Es wird der schwerste Kampf, den der Vizekönig bisher bestanden; mit nicht weniger als achtzig Toten und zweihundert Verwundeten (eine riesige Zahl für die ersten Kolonialkriege) bezahlen die Portugiesen ihren Sieg – freilich einen Sieg, der ihnen endgültig die Herrschaft über die indischen Küsten sichert.
Unter den zweihundert Verwundeten befindet sich auch Magellan: wie immer ist es sein Schicksal in diesen dunklen Jahren, nur Wunden zu erhalten und keine Auszeichnung. Er wird zunächst mit den andern Blessierten nach Afrika hinübergeschafft; hier verliert sich seine Spur, denn wer führt Protokoll über Leben und Sterben eines einfachen Sobresaliente? Eine Zeitlang scheint er in Sofala geblieben zu sein, dann muß er auf irgendeine Weise als Begleiter eines Transports zurückbefördert worden sein; aller Wahrscheinlichkeit nach – an diesem Punkt widersprechen sich die Chronisten – ist er im Sommer 1507 auf demselben Schiff wie Varthema nach Lissabon heimgekehrt. Aber schon hat die Ferne über den Seefahrer Gewalt bekommen. Schon grüßt ihn Portugal fremd, und sein knapper Urlaub wird nur ein ungeduldiges Warten auf die nächste Indienflotte, die ihn zurückführt in seine eigentliche Heimat: das Abenteuer. Dieser neuen Flotte, mit der Magellan nach Indien zurückkehrt, steht eine besondere Aufgabe zu. Zweifellos hat sein illustrer Reisegefährte Lodovico Varthema bei Hof Bericht erstattet über den Reichtum der Stadt Malacca und genaue Mitteilungen gemacht über die vielgesuchten Gewürzinseln, die er als erster Europäer und Christ ipsis oculis gesehen. Dank seinen Informationen begreift man am portugiesischen Hofe, daß die Eroberung Indiens unvollständig bleiben muß und der volle Reichtum nicht gewonnen werden kann, solange man sich nicht der Schatzkammer aller Gewürze, der islas de la especeria, bemächtigt hat; dies aber setzt voraus, daß man zuerst den Schlüssel, der sie verschließt, die Meerenge und Stadt von Malacca in die Hand bekommt (das heutige Singapore, dessen strategische Bedeutung die Engländer nicht übersehen haben). Nach bewährtem heuchlerischen System wird aber nicht sogleich eine Kriegsflotte ausgesandt, sondern zunächst nur Lopez de Sequeira mit vier Schiffen beauftragt, sich vorsichtig an Malacca heranzutasten, das Terrain zu rekognoszieren und ausschließlich in der Maske eines friedlichen Händlers aufzutreten.
Ohne erwähnenswerten Zwischenfall erreicht die kleine Flotte im April 1509 Indien. Eine Fahrt nach Calicut, die knappe zehn Jahre vorher noch als unvergleichliche Heldentat Vasco da Gamas in Geschichte und Gedicht gefeiert wurde, vollbringt jetzt schon jeder portugiesische Handelskapitän. Von Lissabon bis Mombassa, von Mombassa bis Indien kennt man bereits jede Klippe, jeden Hafen; kein Pilot ist mehr nötig und kein »Meister der Astronomie«. Erst als Sequeira am 19. August vom Hafen von Cochin weiter Kurs nach Osten setzt, befahren die portugiesischen Schiffe wieder unbekannte Zonen.
Nach dreiwöchentlicher Reise, am 11. September 1509, nähern sich die Schiffe, die ersten Portugals, dem Hafen von Malacca. Bereits von ferne sehen sie, daß der wackere Varthema nicht gefabelt und übertrieben hat, wenn er berichtete, in diesem Hafen »landeten mehr Schiffe als in einem andern Orte der Welt«. Segel an Segel gereiht drängen sich große und kleine, weiße und bunte Barken und Dschunken und Praus malaiischer, chinesischer, siamesischer Herkunft an der breiten Reede zusammen. Denn geradezu zwanghaft ist durch seine natürliche Lage der aurea chersonesus, die Meerenge von Singapore, zum großen Umschlageplatz des Ostens ausersehen. Jedes Schiff, das von Osten nach Westen, von Norden nach Süden will, von Indien nach China, von den Molukken nach Persien, muß dieses Gibraltar des Ostens passieren. Alle Waren werden in diesem Stapelplatz gegeneinander getauscht, die molukkischen Gewürznelken und die Rubine Ceylons, das chinesische Porzellan und das Elfenbein aus Siam, die bengalischen Kaschmire und das Sandelholz von Timor, die arabischen Damaszenerklingen und der Pfeffer von Malabar und die Sklaven aus Borneo. Alle Rassen, alle Hautfarben und Sprachen wimmeln babylonisch durcheinander in diesem Handelsemporium des Ostens, in dessen Mitte sich mächtig über dem hölzernen Gewirr der niedern Häuser ein leuchtender Palast und eine steinerne Moschee erheben.
Staunend betrachten von ihren Schiffen die Portugiesen die mächtige Stadt, lüstern nach diesem in blendendem Sonnenlicht weiß funkelnden Juwel des Ostens, das als edelster Edelstein die indische Herrscherkrone Portugals schmücken soll. Staunend und beunruhigt betrachtet wiederum von seinem Palast aus der malaiische Fürst die fremden und gefährlichen Schiffe. Das sind sie also, die unbeschnittenen Banditen, endlich haben die Verfluchten auch nach Malacca den Weg gefunden! Längst schon hat sich über tausend und tausend Meilen die Nachricht von Almeidas und Albuquerques Schlachten und Schlächtereien verbreitet; man weiß in Malacca, daß diese furchtbaren Lusitaner nicht wie die siamesischen und japanischen Dschunkenführer nur zu friedlichem Tausch das Meer durchqueren, sondern heimtückisch auf den Augenblick warten, sich festzusetzen und alles zu rauben. Das Klügste wäre, diese vier Schiffe gar nicht in den Hafen zu lassen;