Game Over. Thomas GASTЧитать онлайн книгу.
dienten nur der Abschreckung. Obwohl ich nicht bloß Bürger in Uniform sein wollte, nahm ich die Sache ernst. In vielen tausend Trainings- und Ausbildungseinheiten perfektionierte ich den Jägerinstinkt in mir. Mein Ehrgeiz blieb nicht unerkannt und schon bald fand sich ein Mitstreiter: Jürgen! Wir wurden Freunde, ein unzertrennliches Paar. Unsere wichtigste Frage lautete: wo zum Teufel wird gerade gekämpft? Noch aktiv in den Reihen der ´Fallis` der Schwarzwaldbrigade (Fallschirmjäger der Luftlandebrigade 25 „Schwarzwald“) gingen wir systematisch alle Möglichkeiten durch. Südafrika kam uns zuerst in den Sinn. Dort kämpfte die südafrikanische Armee in Angola und Sambia gegen die SWAPO und gegen die MPLA. Wir bewarben uns, erhielten aber eine harsche Absage. Der erste Elan meines Kameraden war damit gebrochen. Ich brachte die Fremdenlegion ins Spiel, doch das kam für Jürgen nicht in Frage. Für ihn war das Thema kämpfen erst Mal erledigt, bei mir aber sah das ganz anders aus. An einem regnerischen Tag im Februar 1985 klopfte ich an die Tür des einzigen Rekrutierungsbüros der Fremdenlegion in Strasbourg in der Rue d'Ostende. Als sich die Türe wieder hinter mir schloss, war ich ein Gefangener meiner eigenen Leidenschaft. Die Legion wurde meine Heimat. Nicht nur wegen den Kämpfen, die nicht lange auf sich warten ließen, nein, sondern wegen dem Gesamtpaket namens Légion étrangère. Das, was ich bei der Bundeswehr so sehr vermisst, es jedoch nie klar definieren konnte, fand ich hier. Das Gefühl, angekommen zu sein. Das Gefühl, akzeptiert und Teil einer großen Familie zu sein. Bedingungslos, absolut, in guten wie in schlechten Zeiten. Fremdenlegion, das war mehr als nur dreizehn Buchstaben. Da roch es jeden einzelnen Tag nach Abenteuer, nach interessanten zwischenmenschlichen Beziehungen (Kameradschaft in Extremsituationen geschmiedet) nach Korpsgeist und langer Tradition; einer Tradition, die über hundertfünfundfünfzig Jahre aufrechterhalten und stetig weitergeführt wurde, keine Epoche (mochte sie noch so unrühmlich gewesen sein) auslassend. Die Männer, und das fand ich schnell heraus, wollten hart geführt werden. So dumpfbackig es klingen mochte, aber uns allen dürstete es insgeheim nach Hunger, nach Blasen an den Füßen, nach Durst, nach Kälte, nach Gefahr, nach Schweiß und nach Blut. Um zu vergessen, für die einen. Um die Entscheidung zu rechtfertigen, der Legion beigetreten zu sein, für die anderen. Um das eigene Limit auszuloten und es – wie auf einer Gratwanderung – je nach Belieben zu überschreiten! Freizeit war zunächst ein Fremdwort, jede Minute war verplant. Bei Vergehen oder Verstößen gegen die Regeln gab es eins auf die Zwölf, und half das nichts, ging es in den Legionsknast. Etwas Unerbittlichkeit gefällig? Na dann! Knast in der Legion, das hinterließ einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Und am Körper. Nie aber in der Seele. Im Gegenteil. So ein Knastaufenthalt war irgendwie Teil der Selbstfindung. Bist du Knastbruder, wirst du gezwungen, hart zu arbeiten. Während du mit Pickel, Hammer und Schaufel zu Werke gehst, denkst du unentwegt. Ans Leben. An deine Ziele. An den ganzen Rest. Kommst du dann wieder raus, bist du aber kein Außenseiter. Niemand sieht dich schief an. Keiner zeigt mit dem Finger auf dich, tuschelt hinter deinem Rücken oder schiebt dich an einen asozialen Rand (den es in der Legion nicht gibt). Dein Vergehen, was immer es auch war, ist getilgt. Es wird nie wieder darüber gesprochen. Alles ist gut und es geht weiter, als ob nichts passiert wäre. Die meisten Jungs, meine Freunde, hatten drei Dinge gemeinsam. Sie hatten bereits in einer anderen Armee gedient (einige waren schon im Einsatz, wie zum Beispiel der von Kopf bis Fuß tätowierte Brite Thompson, der den Falklandkrieg mitgemacht hatte); sie lehnten die Lebensweise des Otto Normalverbraucher ab; sie hatten etwas auf dem Kerbholz. Hart geführt werden war ihr Anspruch, geben bis zum Kotzen (und wenn es das eigene Leben war) eine Selbstverständlichkeit. Die Grundausbildung in der Legion war rustikal und entbehrungsreich. Zumindest empfand ich es so. So richtig hart wurde es aber erst mit meiner Versetzung nach Französisch-Guayana. Tage- ja monatelang marschierten wir mit schwerem Gepäck durch undurchdringliche Urwaldregionen, überquerten dabei mit Tauen aus Hanf reißende Flüsse, machten Bekanntschaften mit Giftschlangen, mit Malaria und mit Garimpeiros (illegale Goldsucher), die, wenn sie uns sahen, zuerst schossen und dann Reißaus nahmen. Obwohl das alles real war – die Gefahr, die Schlangen und Kaimane, die Härte und der Urwald um uns herum – so kam ich mir doch vor, wie ein Player. Wie ein Spieler, der jederzeit die Karten auf den Tisch werfen und aussteigen konnte. Damit hatte ich mich wohl verschätzt. 1987 wurde ich zu den Fallschirmjägern versetzt. Hier blühte ich förmlich auf. Meine Kompanie hatte sich dem Nachtkampf und dem Orts- und Häuserkampf verschrieben. Die Legions- Lehrgänge waren knüppelhart. Nach der Sprungausbildung fuhren wir zur Winterzeit zum Centre national d'entraînement commando (CNEC), meinen ersten Kommandolehrgang. Der fand in Mont-Louis, einem Ort in den französischen Pyrenäen auf fast 2000 Metern Höhe statt. Einen Einzelkämpferlehrgang (hauptsächlich im Freien) bei nächtlichen minus 20 Grad, und das nach 2 Jahren Urwald: das schlug ein, wie eine Granate! Alle Ausbildungseinheiten dieses Lehrgangs hatten nur ein Ziel: Das Überleben im realen Kampf! Vieles blieb mir gut im Gedächtnis. So zum Beispiel gruben wir eines Nachts, auf Befehl, mit Spaten und bloßen Händen solange in der gefrorenen Erde, bis wir einen Kampfstand hatten, der so hoch war, dass wir gerade noch darin liegen konnten. Gesicht nach oben. Gegen Mitternacht kam dann eine Panzerkolonne auf uns zu. Es waren zwei ausgediente AMX-13. Sie fuhren mit Blackout Beleuchtung, so dass wir nur die Umrisse erkennen konnten. Wir ließen uns überrollen, sprangen mit zwei Handgranaten bewaffnet von hinten auf den uns zugeteilten Panzer, platzierten sie an den richtigen Stellen, sprangen ab und rollten wieder zu Boden. Boum-boum! Tags darauf gab es dieselbe Übung, nur dass wir mit selbstgebastelten Molotowcocktails zu Werke gingen. Beim Nahkampf wollten die Ausbilder Blut sehen. Wessen Hände nach der täglichen Einheit corps à corps nicht rot vom Blut des anderen waren, der durfte nachts eine Stunde länger Wache schieben. Da Schlaf Mangelware war, schlug man eben härter zu, als man es ursprünglich vorhatte. Ein anderes Mal, es war während einer Durchschlageübung - wir hatten seit zwei Tagen nichts gegessen - stellte man uns. Wir, das waren zwei Engländer meiner Gruppe und ich. Wir wurden gefangen genommen. Zunächst bekamen wir einen Sack über den Kopf gestülpt, dann wurden uns die Hände auf den Rücken gebunden. „Hinlegen!“ Drei Stunden lang lagen wir auf vereisten Boden in der Nähe eines zugefrorenen Flusses. Unweit von uns brannte ein Feuer. Die Ausbilder! Sie aßen sich geräuschvoll die Bäuche satt. Irgendwann kamen sie rüber zu uns. Es hagelte Fußtritte und Beleidigungen. Obwohl gespielt (es war eine Übung), tat das verdammt weh. Die Ausbilder verschwanden wieder. Nach gefühlten drei weiteren Stunden hörte ich urplötzlich eine Stimme nahe an meinem Ohr. Sie kam aus dem Nichts. „Sag mir den Namen deines Kompaniechefs.“ Ich erschrak, schwieg aber. Jemand ohrfeigte mich und rammte mir gleichzeitig das Knie in den Bauch. Es herrschte wieder eine Stunde Stille, danach ging alles von vorne los. In diesen Extremsituationen stellten meine Ausbilder schnell fest, dass ich das Potenzial zum Unteroffizier hatte. So geschah es, dass ich 1989 und nach einem elfmonatigen Unteroffizierslehrgang zum Sergent avancierte. Es folgte meine Bekanntschaft mit dem afrikanischen Kontinent. Auch die ersten Einsätze ließen nicht lange auf sich warten: Zentralafrikanische Republik; Gabun; Dschibuti; Tschad. Jahr für Jahr kehrten wir nach Afrika zurück. Afrika war wie ein Magnet, wie eine Wiege, wie eine Droge für uns Legionäre. Hier fühlten wir uns wohl. Und so verging die Zeit. Hinzu kamen einige Friedensmissionen und ehe ich mich versah, war ich plötzlich Adjudant (Hauptfeldwebel) und somit Zugführer. 1997 kam es zu einem Einsatz im Kongo. Und der sollte mich gewaltig durchschütteln.
GAME OVER
In den Monaten Mai und Juni 1997, war ich als Zugführer mit meiner Einheit – der 1. Kompanie des 2. Fallschirmjäger Fremden Regimentes – kurz 2. REP – im Einsatz in diesem gottverdammten Hexenkessel Brazzaville (Kongo). Am 07. Juni gerieten meine Männer und ich in einen Hinterhalt, angelegt von den Soldaten einer der kriegsführenden Parteien. Als die Nacht rum war, beklagten wir einen Toten und zahlreiche Verwundete. Es war knapp in dieser Nacht, so knapp wie noch nie. Wie es zum Ersten Kongokrieg kam, wie der Einsatz verlief und wie ich persönlich die ´Operation Pelikan` auf meinem Niveau vorbereitete, durchführte und nachbereitete, davon erzähle ich in diesem Bericht. Vorab aber einige persönliche Reflexionen. Unmittelbar nach der Operation Pelikan war ich orientierungslos. Ich stellte mich in Frage, begriff jedoch, dass dieses Zweifeln an mir selbst nur ein kleines Glied in einer langen Kette meiner vor längerer Zeit schon begonnenen Unzufriedenheit war. Es braucht immer den Anlass, das Ereignis oder den Aufschrei, um schlussendlich mal den Kopf zu heben und zu erkennen: hoppla, da war doch was! Die Ereignisse dieses 07. Juni waren so ein Wachrüttler. Dieser Player, das war ich nicht mehr. Der