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Franz Kafka – Das Schloss. Franz KafkaЧитать онлайн книгу.

Franz Kafka – Das Schloss - Franz Kafka


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ganze Zeit über hatte K. sein Gesicht geprüft, nun tat er es zum letzten Mal. Barnabas war etwa so groß wie K., trotzdem schien sein Blick sich zu K. zu senken, aber fast demütig geschah das, es war unmöglich, dass dieser Mann jemanden beschämte. Freilich, war er nur ein Bote, kannte nicht den Inhalt der Briefe, die er auszutragen hatte, aber auch sein Blick, sein Lächeln, sein Gang schien eine Botschaft zu sein, mochte er auch von dieser nichts wissen. Und K. reichte ihm die Hand, was ihn offenbar überraschte, denn er hatte sich nur verneigen wollen.

      Gleich, als er gegangen war – vor dem Öffnen der Türe hatte er noch ein wenig mit der Schulter an der Tür gelehnt und mit einem Blick, der keinem Einzelnen mehr galt, die Stube umfasst – sagte K. zu den Gehilfen: „Ich hole aus dem Zimmer meine Aufzeichnungen, dann besprechen wir die nächste Arbeit.“ Sie wollten mitgehen. „Bleibt“, sagte K. Sie wollten noch immer mitgehen. Noch strenger musste K. den Befehl wiederholen. Im Flur war Barnabas nicht mehr. Aber er war doch eben jetzt weggegangen. Doch auch vor dem Haus – neuer Schnee fiel – sah ihn K. nicht. Er rief: „Barnabas!“ Keine Antwort. Sollte er noch im Haus sein? Es schien keine andere Möglichkeit zu geben. Trotzdem schrie K. noch aus aller Kraft den Namen. Der Name donnerte durch die Nacht. Und aus der Ferne kam nun doch eine schwache Antwort, so weit war also Barnabas schon. K. rief ihn zurück und ging ihm gleichzeitig entgegen; wo sie einander trafen, waren sie vom Wirtshaus nicht mehr zu sehen.

      „Barnabas“, sagte K. und konnte ein Zittern seiner Stimme nicht bezwingen. „Ich wollte dir noch etwas sagen. Ich merke dabei, dass es doch recht schlecht eingerichtet ist, dass ich nur auf dein zufälliges Kommen angewiesen bin, wenn ich etwas aus dem Schloss brauche. Wenn ich dich jetzt nicht zufällig erreicht hätte – wie du fliegst, ich dachte, du wärst noch im Haus –, wer weiß wie lange ich auf dein nächstes Erscheinen hätte warten müssen.“ „Du kannst ja“, sagte Barnabas, „den Vorstand bitten, dass ich immer zu bestimmten, von dir angegebenen Zeiten komme.“ „Auch das würde nicht genügen“, sagte K., „vielleicht will ich ein Jahr lang gar nichts sagen lassen, aber gerade eine Viertelstunde nach deinem Weggehen etwas Unaufschiebbares.“ „Soll ich also“, sagte Barnabas, „dem Vorstand melden, dass zwischen ihm und dir eine andere Verbindung hergestellt werden soll als durch mich.“ „Nein, nein“, sagte K., „ganz und gar nicht, ich erwähne diese Sache nur nebenbei, diesmal habe ich dich ja noch glücklich erreicht.“ „Wollen wir“, sagte Barnabas, „ins Wirtshaus zurückkehren, damit du mir dort den neuen Auftrag geben kannst?“ Schon hatte er einen Schritt weiter zum Haus hin gemacht. „Barnabas“, sagte K., „es ist nicht nötig, ich gehe ein Stückchen Wegs mit dir.“ „Warum willst du nicht ins Wirtshaus gehn?“ fragte Barnabas. „Die Leute stören mich dort“, sagte K., „die Zudringlichkeit der Bauern hast du selbst gesehen.“ „Wir können in dein Zimmer gehn“, sagte Barnabas. „Es ist das Zimmer der Mägde“, sagte K., „schmutzig und dumpf – um dort nicht bleiben zu müssen, wollte ich ein wenig mit dir gehn, du musst nur“, fügte K. hinzu, um sein Zögern endgültig zu überwinden, „mich in dich einhängen lassen, denn du gehst sicherer.“ Und K. hing sich an seinen Arm. Es war ganz finster, sein Gesicht sah K. gar nicht, seine Gestalt undeutlich, den Arm hatte er schon ein Weilchen vorher zu ertasten gesucht.

      Barnabas gab nach, sie entfernten sich vom Wirtshaus. Freilich fühlte K., dass er trotz größter Anstrengung gleichen Schritt mit Barnabas zu halten nicht imstande war, seine freie Bewegung hinderte, und dass unter gewöhnlichen Umständen schon an dieser Nebensächlichkeit alles scheitern müsse, gar in jenen Seitengassen wie jener, wo K. am Vormittag im Schnee versunken war und aus der er nur von Barnabas getragen herauskommen konnte. Doch hielt er solche Besorgnisse jetzt von sich fern, auch tröstete es ihn, dass Barnabas schwieg; wenn sie schweigend gingen, dann konnte doch auch für Barnabas nur das Weitergehen selbst den Zweck ihres Beisammenseins bilden.

      Sie gingen, aber K. wusste nicht wohin, nichts konnte er erkennen, nicht einmal, ob sie schon an der Kirche vorübergekommen waren, wusste er. Durch die Mühe, welche ihm das bloße Gehn verursachte, geschah es, dass er seine Gedanken nicht beherrschen konnte. Statt auf das Ziel gerichtet zu bleiben, verwirrten sie sich. Immer wieder tauchte die Heimat auf und Erinnerungen an sie erfüllten ihn. Auch dort stand auf dem Hauptplatz eine Kirche, zum Teil war sie von einem alten Friedhof und dieser von einer hohen Mauer umgeben. Nur sehr wenige Jungen hatten diese Mauer erklettert, auch K. war es noch nicht gelungen. Nicht Neugier trieb sie dazu. Der Friedhof hatte vor ihnen kein Geheimnis mehr. Durch eine kleine Gittertür waren sie schon oft hineingekommen, nur die glatte hohe Mauer wollten sie bezwingen. An einem Vormittag – der stille leere Platz war von Licht überflutet, wann hatte K. ihn je früher oder später so gesehen? – gelang es ihm überraschend leicht; an einer Stelle, wo er schon oft abgewiesen worden war, erkletterte er, eine kleine Fahne zwischen den Zähnen, die Mauer im ersten Anlauf. Noch rieselte Gerölle unter ihm ab, schon war er oben. Er rammte die Fahne ein, der Wind spannte das Tuch, er blickte hinunter und in die Runde, auch über die Schulter hinweg, auf die in der Erde versinkenden Kreuze, niemand war jetzt und hier größer als er. Zufällig kam dann der Lehrer vorüber und trieb K. mit einem ärgerlichen Blick hinab. Beim Absprung verletzte sich K. am Knie, nur mit Mühe kam er nach Hause, aber auf der Mauer war er doch gewesen. Das Gefühl dieses Sieges schien ihm damals für ein langes Leben einen Halt zu geben, was nicht ganz töricht gewesen war, denn jetzt nach vielen Jahren in der Schneenacht am Arm des Barnabas kam es ihm zu Hilfe.

      Er hing sich fester ein, fast zog ihn Barnabas, das Schweigen wurde nicht unterbrochen. Von dem Weg wusste K. nur, dass sie, nach dem Zustand der Straße zu schließen, noch in keine Seitengasse eingebogen waren. Er gelobte sich, durch keine Schwierigkeit des Weges oder gar durch die Sorge um den Rückweg sich vom Weitergehen abhalten zu lassen. Um schließlich weitergeschleift werden zu können, würde seine Kraft wohl noch ausreichen. Und konnte denn der Weg unendlich sein? Bei Tag war das Schloss wie ein leichtes Ziel vor ihm gelegen und der Bote kannte gewiss den kürzesten Weg.

      Da blieb Barnabas stehen. Wo waren sie? Ging es nicht mehr weiter? Würde Barnabas K. verabschieden? Es würde ihm nicht gelingen. K. hielt des Barnabas Arm fest, dass es fast ihn selbst schmerzte. Oder sollte das Unglaubliche geschehen sein und sie waren schon im Schloss oder vor seinen Toren? Aber sie waren ja, soweit K. wusste, gar nicht gestiegen. Oder hatte ihn Barnabas einen so unmerklich ansteigenden Weg geführt? „Wo sind wir?“ sagte K. leise, mehr sich als ihm. „Zu Hause“, sagte Barnabas ebenso. „Zu Hause?“ „Jetzt aber gib Acht, Herr, dass du nicht ausgleitest. Der Weg geht abwärts.“ „Abwärts?“ „Es sind nur ein paar Schritte“, fügte er hinzu und schon klopfte er an eine Tür.

      Ein Mädchen öffnete, sie standen an der Schwelle einer großen Stube fast im Finstern, denn nur über einem Tisch links im Hintergrunde hing eine winzige Öllampe. „Wer kommt mit dir, Barnabas?“ fragte das Mädchen. „Der Landvermesser“, sagte er. „Der Landvermesser“, wiederholte das Mädchen lauter zum Tisch hin. Daraufhin erhoben sich dort zwei alte Leute, Mann und Frau, und noch ein Mädchen. Man begrüßte K. Barnabas stellte ihm alle vor, es waren seine Eltern und seine Schwestern Olga und Amalia. K. sah sie kaum an, man nahm ihm den nassen Rock ab, um ihn beim Ofen zu trocknen. K. ließ es geschehen.

      Also nicht sie waren zu Hause, nur Barnabas war zu Hause. Aber warum waren sie hier? K. nahm Barnabas zur Seite und fragte: „Warum bist du nach Hause gegangen? Oder wohnt ihr schon im Bereiche des Schlosses?“ „Im Bereich des Schlosses?“ wiederholte Barnabas, als verstehe er K. nicht. „Barnabas“, sagte K., „du wolltest doch aus dem Wirtshaus ins Schloss gehn.“ „Nein“, sagte Barnabas, „ich wollte nach Hause gehn, ich gehe erst früh ins Schloss, ich schlafe niemals dort.“ „So“, sagte K., „du wolltest nicht ins Schloss gehn, nur hierher.“ – Matter schien ihm sein Lächeln, unscheinbarer er selbst. – „Warum hast du mir das nicht gesagt?“ „Du hast mich nicht gefragt, Herr“, sagte Barnabas, „du wolltest mir nur noch einen Auftrag geben, aber weder in der Wirtsstube noch in deinem Zimmer, da dachte ich, du könntest mir den Auftrag ungestört hier bei meinen Eltern geben. Sie werden sich alle gleich entfernen, wenn du es befiehlst – auch könntest du, wenn es dir bei uns besser gefällt, hier übernachten. Habe ich nicht recht getan?“ K. konnte nicht antworten. Ein Missverständnis war es also gewesen, ein gemeines, niedriges Missverständnis, und K. hatte sich ihm ganz hingegeben. Hatte sich bezaubern lassen von des Barnabas


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