Marie Antoinette. Stefan ZweigЧитать онлайн книгу.
die seine. Schließlich werden dem König diese Szenen und Tränen überlästig, er läßt sich die Obersthofmeisterin Marie Antoinettes, Madame de Noailles, kommen, damit man endlich wisse, wie der Wind weht. Zuerst äußert er nur Liebenswürdigkeiten über die Gattin seines Enkels. Aber nach und nach flicht er allerhand Bemerkungen ein: er finde, die Dauphine erlaube sich ein bißchen frei zu sprechen über das, was sie sehe, und es wäre gut, sie darauf aufmerksam zu machen, daß ein solches Verhalten schlechte Wirkung im intimen Kreis der Familie hervorrufen müsse. Die Hofdame berichtet sofort (wie es beabsichtigt war) diese Warnung Marie Antoinette, diese erzählt sie den Tanten und Vermond, dieser endlich sie dem österreichischen Gesandten Mercy, der natürlich furchtbar entsetzt ist – die Allianz, die Allianz! – und durch Eilkurier die ganze Affäre der Kaiserin nach Wien schreibt.
Peinliche Situation für die fromme, die bigotte Maria Theresia! Soll sie, die in Wien mit ihrer berühmten Sittenkommission Damen dieser Art unerbittlich auspeitschen und in die Besserungsanstalt überführen läßt, ihrer eigenen Tochter einer solchen Kreatur gegenüber Höflichkeit vorschreiben? Aber kann sie anderseits Partei gegen den König nehmen? Die Mutter, die strenge Katholikin und die Politikerin in ihr geraten in allerpeinlichsten Widerstreit. Schließlich schlüpft sie als alte gewiegte Diplomatin aus der Affäre, indem sie die ganze Angelegenheit an die Staatskanzlei abschiebt. Nicht sie selbst schreibt ihrer Tochter, sondern läßt ihren Staatsminister Kaunitz an Mercy ein Reskript verfassen mit dem Auftrag, diesen politischen Exkurs Marie Antoinette vorzulegen. Auf diese Weise ist einerseits die sittliche Stellung gewahrt und der Kleinen doch gesagt, wie sie sich verhalten soll, denn Kaunitz erläutert: »Höflichkeit Leuten zu verwehren, die der König in seine Gesellschaft aufgenommen habe, heiße seine Gesellschaft beleidigen, und als solche Personen hätten alle betrachtet zu werden, die der regierende Herr selbst als Vertraute ansieht, und niemand dürfe sich erlauben, nachzuprüfen, ob mit Recht oder Unrecht. Die Wahl des Fürsten, des Monarchen selbst müsse widerspruchslos geachtet werden.«
Das ist deutlich und sogar überdeutlich. Aber Marie Antoinette steht in der Heizkammer der Tanten. Als man ihr den Brief vorliest, sagt sie zu Mercy in ihrer bequemen Art ein lässiges »Ja, ja« und »schon recht«, aber denkt sich innerlich, die alte Perücke Kaunitz solle schwätzen und schwätzen, was sie wolle, in ihre Privatangelegenheiten habe kein Kanzler etwas dreinzureden. Seit sie merkt, wie fürchterlich die dumme Person, die »sotte créature«, sich ärgert, macht die Sache dem kleinen hochmütigen Mädchen erst doppelten Spaß; als sei nichts vorgefallen, beharrt sie boshaft-heiter in ihrem offenkundigen Schweigen. Jeden Tag begegnet sie der Favoritin bei Bällen, bei Festen, am Spieltisch, sogar an der Tafel des Königs und beobachtet, wie sie wartet und schielt und vor Erregung zittert, wenn sie ihr nahekommt. Aber warte nur, warte bis zum Jüngsten Gericht: immer wieder schürzt sie verächtlich die Lippe, wenn ihr Blick zufällig in die Richtung streift, und eisig geht sie vorbei; das von der Dubarry, vom König, von Kaunitz, von Mercy und heimlich auch von Maria Theresia erwünschte und ersehnte Wort wird nicht ausgesprochen.
Nun ist der Krieg offen erklärt. Wie um einen Hahnenkampf scharen sich die Höflinge um die beiden Frauen, die sich entschlossen anschweigen, die eine mit Tränen ohnmächtiger Wut in den Augen, die andere ein verächtlich kleines überlegenes Lächeln um die Lippen. Alles will sehen und wissen und wetten, ob die legitime Herrscherin Frankreichs oder die illegitime ihren Willen durchsetzt. Ein amüsanteres Schauspiel hat Versailles seit Jahren und Jahren nicht gehabt.
Jetzt aber wird der König ärgerlich. Gewohnt, daß in diesem Palast alles byzantinisch gehorcht, wenn er nur mit der Wimper zuckt, daß jeder dienernd in die Richtung seines Willens läuft, noch ehe er ihn deutlich kundgegeben, spürt er, der Allerchristlichste König von Frankreich, zum erstenmal einen Widerstand: ein halbwüchsiges Mädchen wagt, seinen Befehl öffentlich zu mißachten. Das Einfachste wäre natürlich, diese freche Widerspenstige vor sich zu entbieten und ihr energisch den Kopf zu waschen; aber selbst in diesem entsittlichten und durchaus zynischen Mann regt sich noch eine letzte Scheu; es ist für ihn immerhin peinlich, der erwachsenen Frau seines Enkels zu befehlen, sie möge mit der Mätresse des Herrn Großvaters Konversation machen. So tut Ludwig XV. in seiner Verlegenheit genau dasselbe, was Maria Theresia in der ihren: er macht aus der Privatangelegenheit einen Staatsakt. Zu seiner Überraschung sieht sich der österreichische Botschafter Mercy vom französischen Außenministerium zu einer Besprechung nicht in die Audienzräume gebeten, sondern in die Gemächer der Gräfin Dubarry. Gleich beginnt er allerhand aus dieser sonderbaren Ortswahl zu ahnen, und es geschieht, was er erwartet hat: Kaum daß er einige Worte mit dem Minister gesprochen, tritt die Gräfin Dubarry ein, begrüßt ihn herzlich und erzählt ihm nun ausführlich, wie unrecht man ihr tue, wenn man ihr feindselige Gesinnungen gegen die Dauphine unterschiebe; im Gegenteil, sie sei es, die verleumdet, niederträchtig verleumdet werde. Dem guten Botschafter Mercy ist es peinlich, so plötzlich aus dem Vertreter der Kaiserin der Vertraute der Dubarry zu werden, er redet diplomatisch hin und her. Aber da öffnet sich lautlos die geheime Tapetentür, und Ludwig XV. greift höchstselbst in das heikle Gespräch ein. »Bisher sind Sie«, sagt er zu Mercy, »der Botschafter der Kaiserin gewesen, seien Sie nun, bitte, für einige Zeit mein Botschafter.« Dann äußert er sich sehr offen über Marie Antoinette. Er fände sie reizend; aber jung und überlebendig, wie sie sei und dazu noch an einen Gatten vermählt, der sie nicht zu beherrschen wisse, falle sie allerhand Kabalen anheim und lasse sich von anderen Personen (gemeint sind die Tanten, die eigenen Töchter) schlechte Ratschläge geben. Er bitte darum Mercy, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, daß die Dauphine ihre Haltung ändere. Mercy begreift sofort, die Angelegenheit ist Politik geworden, hier ist ein offener klarer Auftrag, der ausgeführt werden muß: der König fordert glatte Kapitulation. Selbstverständlich meldet Mercy die Sachlage schleunigst nach Wien, legt, um das Peinliche seiner Mission zu mildern, etwas freundliche Schminke auf das Porträt der Dubarry, sie sei gar so übel nicht, und ihr ganzes Verlangen stünde nach der Kleinigkeit, daß die Dauphine ein einziges Mal öffentlich das Wort an sie richte. Gleichzeitig besucht er Marie Antoinette, drängt und drängt und spart nicht mit den schärfsten Mitteln. Er schüchtert sie ein, munkelt etwas von Gift, mit dem am französischen Hofe schon allerhand hochgestellte Personen beseitigt worden seien, und ganz besonders beredt schildert er den Zwist, der zwischen Habsburg und Bourbon entstehen könnte. Dies ist sein stärkster Trumpf: er belädt Marie Antoinette allein mit aller Schuld, falls die Allianz, das Lebenswerk ihrer Mutter, durch ihr Verhalten in die Brüche gehen sollte.
Und in der Tat, das schwere Geschütz beginnt zu wirken: Marie Antoinette läßt sich einschüchtern. Mit Tränen des Zornes in den Augen verspricht sie dem Botschafter, an einem bestimmten Tage bei der Spielpartie das Wort an die Dubarry zu richten. Mercy atmet auf. Gott sei Dank! die Allianz ist gerettet.
Ein Galaschauspiel ersten Ranges erwartet nun die Intimen des Hofes. Von Mund zu Mund geht die geheimnisvolle Spielansage weiter: heute abend wird endlich die Dauphine zum erstenmal an die Dubarry das Wort richten! Sorgfältig werden die Kulissen gestellt und im voraus das Stichwort abgekartet. Abends beim Cercle soll, so ist es vereinbart zwischen dem Botschafter und Marie Antoinette, zu Ende der Spielpartie Mercy zur Gräfin Dubarry treten und mit ihr eine kleine Konversation beginnen. Dann soll, ebenfalls wie zufällig, die Dauphine vorbeikommen, sich dem Botschafter nähern, ihn begrüßen und bei dieser Gelegenheit auch der Favoritin ein paar Worte sagen. Vorzüglich ist alles geplant. Aber leider klappt die Abendvorstellung nicht, denn die Tanten mißgönnen der verhaßten Nebenbuhlerin den öffentlichen Erfolg: sie verabreden ihrerseits, vorzeitig den eisernen Vorhang herabzulassen, ehe das Versöhnungsduett an die Reihe kommt. In bester Absicht begibt sich abends Marie Antoinette in die Gesellschaft, die Szene wird gestellt, Mercy übernimmt programmgemäß den Einsatz. Wie zufällig nähert er sich Madame Dubarry und beginnt ein Gespräch. Inzwischen hat, genau im Sinne der Verabredung, Marie Antoinette begonnen, ihren Rundgang zu machen. Sie plaudert mit dieser Dame, jetzt mit der nächsten, jetzt abermals mit der nächsten, verlängert vielleicht aus Angst und Erregtheit und Ärger ein wenig dies letzte Gespräch; nun steht nur noch eine, die letzte Dame zwischen ihr und der Dubarry – zwei Minuten, eine Minute noch, und sie muß bei Mercy und der Favoritin angelangt sein. In diesem entscheidenden Augenblick aber führt Madame Adelaide, die Haupthetzerin unter den Tanten, ihren großen Coup aus. Sie fährt scharf auf Marie Antoinette zu und sagt befehlend: »Es ist Zeit, daß wir gehen. Komm! Wir müssen den König bei meiner Schwester