Das Schloss. Franz KafkaЧитать онлайн книгу.
erfunden, dessen Mittelpunkt Olga war, im Reigen tanzten sie herum, und immer bei einem gemeinsamen Schrei trat einer zu Olga, faßte sie mit einer Hand fest um die Hüften und wirbelte sie einige Male herum, der Reigen wurde immer schneller, die Schreie, hungrig, röchelnd, wurden allmählich fast ein einziger. Olga, die früher den Kreis hatte lachend durchbrechen wollen, taumelte nur noch mit aufgelöstem Haar von einem zum anderen. »Solche Leute schickt man mir her«, sagte Frieda und biß im Zorn an ihren dünnen Lippen. »Wer ist es?« fragte K. »Klamms Dienerschaft«, sagte Frieda. »Immer wieder bringt er dieses Volk mit, dessen Gegenwart mich zerrüttet. Ich weiß kaum, was ich heute mit Ihnen, Herr Landvermesser, gesprochen habe; war es etwas Böses, verzeihen Sie es, die Gegenwart dieser Leute ist schuld daran, sie sind das Verächtlichste und Widerlichste, was ich kenne, und ihnen muß ich das Bier in die Gläser füllen. Wie oft habe ich Klamm schon gebeten, sie zu Hause zu lassen; muß ich die Dienerschaft anderer Herren schon ertragen, er könnte doch Rücksicht auf mich nehmen, aber alles Bitten ist umsonst, eine Stunde vor seiner Ankunft stürmen sie immer schon herein, wie das Vieh in den Stall. Aber nun sollen sie wirklich in den Stall, in den sie gehören. Wären Sie nicht da, würde ich die Tür hier aufreißen, und Klamm selbst müßte sie hinaustreiben.« – »Hört er sie denn nicht?« fragte K. »Nein«, sagte Frieda. »Er schläft.« – »Wie!« rief K. »Er schläft? Als ich ins Zimmer gesehen habe, war er doch noch wach und saß beim Tisch.« »So sitzt er noch immer«, sagte Frieda, »auch als Sie ihn gesehen haben, hat er schon geschlafen. Hätte ich Sie denn sonst hineinsehen lassen? Das war seine Schlafstellung, die Herren schlafen sehr viel, das kann man kaum verstehen. Übrigens, wenn er nicht so viel schliefe, wie könnte er diese Leute ertragen? Nun werde ich sie aber selbst hinaustreiben müssen.« Sie nahm eine Peitsche aus der Ecke und sprang mit einem einzigen hohen, nicht ganz sicheren Sprung, so wie etwa ein Lämmchen springt, auf die Tanzenden zu. Zuerst wandten sie sich gegen sie, als sei eine neue Tänzerin angekommen, und tatsächlich sah es einen Augenblick lang so aus, als wolle Frieda die Peitsche fallen lassen, aber dann hob sie sie wieder. »Im Namen Klamms«, rief sie, »in den Stall! Alle in den Stall!« Nun sahen sie, daß es ernst war; in einer für K. unverständlichen Angst begannen sie, in den Hintergrund zu drängen, unter dem Stoß der ersten ging dort eine Tür auf, Nachtluft wehte herein, alle verschwanden mit Frieda, die sie offenbar über den Hof in den Stall trieb.
In der nun plötzlich eingetretenen Stille aber hörte K. Schritte vom Flur. Um sich irgendwie zu sichern, sprang er hinter das Ausschankpult, unter welchem die einzige Möglichkeit sich zu verstecken war. Zwar war ihm der Aufenthalt im Ausschank nicht verboten, aber da er hier übernachten wollte, mußte er vermeiden, jetzt noch gesehen zu werden. Deshalb glitt er, als die Tür wirklich geöffnet wurde, unter den Tisch. Dort entdeckt zu werden war freilich auch nicht ungefährlich, immerhin war dann die Ausrede nicht unglaubwürdig, daß er sich vor den wildgewordenen Bauern versteckt habe. Es war der Wirt. »Frieda!« rief er und ging einige Male im Zimmer auf und ab.
Glücklicherweise kam Frieda bald und erwähnte K. nicht, klagte nur über die Bauern und ging, in dem Bestreben K. zu suchen, hinter das Pult. Dort konnte K. ihren Fuß berühren und fühlte sich von jetzt an sicher. Da Frieda K. nicht erwähnte, mußte es der Wirt schließlich tun. »Und wo ist der Landvermesser?« fragte er. Er war wohl überhaupt ein höflicher, durch den dauernden und verhältnismäßig freien Verkehr mit weit Höhergestellten fein erzogener Mann, aber mit Frieda sprach er in einer besonders achtungsvollen Art, das fiel vor allem deshalb auf, weil er trotzdem im Gespräch nicht aufhörte, Arbeitgeber gegenüber einer Angestellten zu sein, gegenüber einer recht kecken Angestellten überdies. »Den Landvermesser habe ich ganz vergessen«, sagte Frieda und setzte K. ihren kleinen Fuß auf die Brust. »Er ist wohl schon längst fortgegangen.«- »Ich habe ihn aber nicht gesehen,« sagte der Wirt, »und war fast die ganze Zeit über im Flur.« – »Hier ist er aber nicht«, sagte Frieda kühl. »Vielleicht hat er sich versteckt«, sagte der Wirt, »nach dem Eindruck, den ich von ihm hatte, ist ihm manches zuzutrauen.« – »Diese Kühnheit wird er doch wohl nicht haben,« sagte Frieda und drückte stärker ihren Fuß auf K. Etwas Fröhliches, Freies war in ihrem Wesen, was K. früher gar nicht bemerkt hatte, und es nahm ganz unwahrscheinlich überhand, als sie plötzlich lachend mit den Worten: »Vielleicht ist er hier unten versteckt«, sich zu K. hinabbeugte, ihn flüchtig küßte und wieder aufsprang und betrübt sagte: »Nein, er ist nicht hier.« Aber auch der Wirt gab Anlaß zum Erstaunen, als er nun sagte- »Es ist mir sehr unangenehm, daß ich nicht mit Bestimmtheit weiß, ob er fortgegangen ist. Es handelt sich nicht nur um Herrn Klamm, es handelt sich um die Vorschrift. Die Vorschrift gilt aber für Sie, Fräulein Frieda, so wie für mich. Für den Ausschank haften Sie, das übrige Haus werde ich noch durchsuchen. Gute Nacht! Angenehme Ruhe!« Er konnte das Zimmer noch gar nicht verlassen haben, schon hatte Frieda das elektrische Licht ausgedreht und war bei K. unter dem Pult. »Mein Liebling! Mein süßer Liebling!« flüsterte sie, aber rührte K. gar nicht an, wie ohnmächtig vor Liebe lag sie auf dem Rücken und breitete die Arme aus, die Zeit war wohl unendlich vor ihrer glücklichen Liebe, sie seufzte mehr als sang irgendein kleines Lied. Dann schrak sie auf, da K. still in Gedanken blieb, und fing an, wie ein Kind ihn zu zerren: »Komm, hier unten erstickt man ja!« Sie umfaßten einander, der kleine Körper brannte in K.s Händen, sie rollten in einer Besinnungslosigkeit, aus der sich K. fortwährend, aber vergeblich, zu retten suchte, ein paar Schritte weit, schlugen dumpf an Klamms Tür und lagen dann in den kleinen Pfützen Biers und dem sonstigen Unrat, von dem der Boden bedeckt war. Dort vergingen Stunden, Stunden gemeinsamen Atems, gemeinsamen Herzschlags, Stunden, in denen K. immerfort das Gefühl hatte, er verirre sich oder er sei so weit in der Fremde, wie vor ihm noch kein Mensch, einer Fremde, in der selbst die Luft keinen Bestandteil der Heimatluft habe, in der man vor Fremdheit ersticken müsse und in deren unsinnigen Verlockungen man doch nichts tun könne als weiter gehen, weiter sich verirren. Und so war es wenigstens zunächst für ihn kein Schrecken, sondern ein tröstliches Aufdämmern, als aus Klamms Zimmer mit tiefer, befehlend-gleichgültiger Stimme nach Frieda gerufen wurde. »Frieda«, sagte K. in Friedas Ohr und gab so den Ruf weiter. In einem förmlich eingeborenen Gehorsam wollte Frieda aufspringen, aber dann besann sie sich, wo sie war, streckte sich, lachte still und sagte: »Ich werde doch nicht etwa gehen, niemals werde ich zu ihm gehen«. K. wollte dagegensprechen, wollte sie drängen, zu Klamm zu gehen, begann die Reste ihrer Bluse zusammenzusuchen, aber er konnte nichts sagen, allzu glücklich war er, Frieda in seinen Händen zu halten, allzu ängstlich-glücklich auch, denn es schien ihm, wenn Frieda ihn verlasse, verlasse ihn alles, was er habe. Und als sei Frieda gestärkt durch K.s Zustimmung, ballte sie die Faust, klopfte mit ihr an die Tür und rief: »Ich bin beim Landvermesser! Ich bin beim Landvermesser!« Nun wurde Klamm allerdings still. Aber K. erhob sich, kniete neben Frieda und blickte sich im trüben Vormorgenlicht um. Was war geschehen? Wo waren seine Hoffnungen? Was konnte er nun von Frieda erwarten, da alles verraten war? Statt vorsichtigst, entsprechend der Größe des Feindes und des Zieles, vorwärtszugehen, hatte er sich hier eine Nacht lang in den Bierpfützen gewälzt, deren Geruch jetzt betäubend war. »Was hast du getan?« sagte er vor sich hin. »Wir beide sind verloren.« – »Nein,« sagte Frieda, »nur ich bin verloren, doch ich habe dich gewonnen. Sei ruhig. Sieh aber, wie die zwei lachen.« – »Wer?« fragte K. und wandte sich um. Auf dem Pult saßen seine beiden Gehilfen, ein wenig übernächtig, aber fröhlich; es war die Fröhlichkeit, welche treue Pflichterfüllung gibt. »Was wollt ihr hier?« schrie K., als seien sie an allem schuld. Er suchte ringsherum die Peitsche, die Frieda abends gehabt hatte. »Wir mußten dich doch suchen«, sagten die Gehilfen, »da du nicht herunter zu uns in die Wirtsstube kamst; wir suchten dich dann bei Barnabas und fanden dich endlich hier. Hier sitzen wir die ganze Nacht. Leicht ist ja der Dienst nicht.« – »Ich brauche euch bei Tag, nicht in der Nacht«, sagte K., »fort mit euch.« – »Jetzt ist es ja Tag«, sagten sie und rührten sich nicht. Es war wirklich Tag, die Hoftüre wurde geöffnet, die Bauern mit Olga, die K. ganz vergessen hatte, strömten herein. Olga war lebendig wie am Abend, so übel auch ihre Kleider und Haare zugerichtet waren, schon in der Tür suchten ihre Augen K. »Warum bist du nicht mit mir nach Hause gegangen?« sagte sie, fast unter Tränen. »Wegen eines solchen Frauenzimmers!« sagte sie dann und wiederholte das einige Male. Frieda, die für einen Augenblick verschwunden war, kam mit einem kleinen Wäschebündel zurück. Olga trat traurig beiseite. »Nun können wir gehen«, sagte Frieda; es war selbstverständlich, daß sie das Wirtshaus »Zur Brücke« meinte, in das sie