Das Geld. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
Jahre lang seinen Löwenanteil an allen großen Schurkereien geholt, die zur Legende geworden sind. Obwohl die Fürstin nichts von dem Schmutz und dem Blut ahnte, aus dem er so viele Millionen zusammengerafft, hatte sie bei ihrer ersten Begegnung einen Widerwillen empfunden, den nicht einmal ihre Frömmigkeit überwinden konnte; und bald gesellte sich zu dieser Abneigung ein dumpfer, wachsender Groll, kein Kind aus dieser Ehe zu haben, die sie aus Gehorsam auf sich genommen hatte. Die Mutterschaft hätte ihr genügt, sie liebte Kinder über alles, und es kam so weit, daß sie diesen Mann haßte, weil er nicht einmal die Mutter in ihr befriedigen konnte, nachdem er die Liebende zur Verzweiflung gebracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt stürzte sich die Fürstin in einen unerhörten Luxus, sie blendete Paris mit dem Glanz ihrer Feste und führte ein verschwenderisches großes Haus, das die Tuilerien39, wie es hieß, mit Eifersucht erfüllte. Dann plötzlich, am Tag nach dem Tode des Fürsten, den ein Schlaganfall niedergestreckt hatte, versank das Palais in der Rue Saint-Lazare in vollkommene Stille und völlige Finsternis. Kein Licht mehr, kein Lärm mehr, die Türen und die Fenster blieben geschlossen; es verbreitete sich das Gerücht, die Fürstin habe das Erdgeschoß und das erste Stockwerk kurzerhand ausgeräumt und sich wie eine Einsiedlerin in drei kleine Zimmer des zweiten Stockes zurückgezogen, mit einem ehemaligen Stubenmädchen ihrer Mutter, der alten Sophie, die sie aufgezogen hatte. Als sie wieder auftauchte, trug sie ein einfaches schwarzes Wollkleid; das Haar unter einem Spitzentuch verborgen, war sie noch genauso klein und rundlich mit ihrer schmalen Stirn, ihrem hübschen runden Gesicht und den Perlenzähnen zwischen den zusammengepreßten Lippen; aber sie hatte schon den gelben Teint, das stumme, einem einzigen Willen ergebene Gesicht einer seit langem im Kloster eingesperrten Nonne. Sie war erst dreißig Jahre alt und lebte seitdem nur noch für die großen Werke der Barmherzigkeit.
In Paris war die Überraschung groß, und es gingen allerlei merkwürdige Geschichten um. Die Fürstin hatte das gesamte Vermögen geerbt, die berühmten dreihundert Millionen, mit denen sich sogar der Lokalteil der Zeitungen befaßte. Und es bildete sich schließlich eine romantische Legende heraus. Ein Mann, ein schwarz gekleideter Unbekannter, so hieß es, war eines Abends, als die Fürstin zu Bett gehen wollte, plötzlich in ihrem Zimmer erschienen, ohne daß sie je erfuhr, durch welche Geheimtür er hatte eintreten können. Was dieser Mann ihr gesagt hat, weiß niemand auf der Welt, aber er muß ihr wohl den abscheulichen Ursprung der dreihundert Millionen enthüllt und ihr vielleicht den Schwur abverlangt haben, so viele Ungerechtigkeiten wiedergutzumachen, wenn sie schreckliche Katastrophen vermeiden wolle. Dann war der Mann verschwunden. Seit fünf Jahren war sie nun Witwe, aber gehorchte sie tatsächlich einem Befehl aus dem Jenseits, oder hatte sich einfach ihr Anstandsgefühl empört, als sie die Akte ihres Vermögens in die Hand bekam? Die Wahrheit war, daß sie nur noch in einem brennenden Fieber des Verzichts und der Wiedergutmachung lebte. Bei dieser Frau, die keine Liebende gewesen war und die nicht hatte Mutter sein können, entfalteten sich alle verdrängten Zärtlichkeiten, vor allem die verkümmerte Liebe zum Kind, zu einer echten Leidenschaft für die Armen, Schwachen, Enterbten, Leidenden, für all jene, deren gestohlene Millionen sie zu besitzen glaubte und denen sie in einem Almosenregen alles königlich zurückerstatten wollte. Seitdem bemächtigte sich ihrer eine fixe Idee, der Nagel der Besessenheit drang ihr in den Schädel: sie betrachtete sich nur noch als einen Bankier, bei dem die Armen dreihundert Millionen hinterlegt hatten, damit sie zu ihrem Besten verwendet würden; sie war nur noch ein Buchhalter, ein Geschäftsführer, der in Zahlen lebte inmitten eines Völkchens von Notaren, Arbeitern und Architekten. Außerhalb hatte sie ein richtiges großes Büro mit etwa zwanzig Angestellten eingerichtet. Zu Hause, in ihren drei engen Zimmern, empfing sie nur vier oder fünf Vermittler, ihre Leutnants; hier verbrachte sie die Tage an einem Schreibtisch wie der Direktor eines Großunternehmens, in klösterlicher Abgeschiedenheit, fern von aufdringlichen Besuchern, in einem Wust von Papieren, der sie überschwemmte. Ihr Traum war, alle Nöte zu erleichtern, die des Kindes, welches leidet, weil es geboren wurde, wie auch die des Greises, der nicht sterben kann, ohne zu leiden. Während dieser fünf Jahre, da sie das Gold mit vollen Händen hinauswarf, hatte sie in La Villette die Kinderkrippe Sainte-Marie gegründet, ein großes, helles Gebäude mit weißen Wiegen für die ganz Kleinen und blauen Betten für die Größeren, in dem schon dreihundert Kinder untergebracht waren; das Waisenhaus Saint-Joseph in Saint-Mandé, wo hundert Knaben und hundert Mädchen so erzogen und ausgebildet wurden wie in den bürgerlichen Familien; schließlich für fünfzig Männer und fünfzig Frauen ein Altersheim in Châtillon und in einem Vorort das Krankenhaus Saint-Marceau mit zweihundert Betten, dessen Säle gerade erst eingeweiht worden waren. Aber ihr Lieblingswerk, das in diesem Augenblick ihr ganzes Herz in Anspruch nahm, war das »Werk der Arbeit«, ihre ureigenste Schöpfung, ein Haus, das die Erziehungsanstalt ersetzen sollte: dreihundert Kinder, hundertfünfzig Mädchen und hundertfünfzig Knaben, die auf dem Pariser Pflaster in der Ausschweifung und im Verbrechen gelebt hatten, wurden hier durch gute Behandlung und die Erlernung eines Berufes auf den rechten Weg gebracht. Diese verschiedenen Gründungen, beträchtliche Schenkungen und eine verrückte Verschwendungssucht der Barmherzigkeit hatten in fünf Jahren nahezu hundert Millionen verschlungen. Noch ein paar Jahre so weiter, und die Fürstin war ruiniert, ohne sich selbst die kleine Rente für Brot und Milch, ihre tägliche Nahrung, gesichert zu haben. Wenn ihre alte Amme Sophie einmal ihr ständiges Schweigen unterbrach, sie mit harten Worten schalt und ihr voraussagte, sie würde noch einmal am Bettelstab enden, hatte sie dafür nur ein schwaches Lächeln, das einzige, das hinfort auf ihren farblosen Lippen erschien, ein göttliches Lächeln der Hoffnung.
Durch ebenjenes »Werk der Arbeit« machte Saccard die Bekanntschaft der Fürstin dʼOrviedo. Er war einer der Eigentümer des Geländes, das sie dafür aufkaufte, eines alten, mit schönen Bäumen bestandenen Gartens, der an den Park von Neuilly angrenzte und sich längs des Boulevard Bineau hinzog. Er hatte sie durch die lebhafte Art, mit der er bei den Geschäften verhandelte, für sich eingenommen, und sie wollte ihn wegen einiger Schwierigkeiten mit den Bauunternehmern wiedersehen. Er selbst hatte sich für die Arbeiten interessiert, seine Phantasie war gefesselt und bezaubert von dem großartigen Plan, den sie dem Architekten aufzwang: zwei monumentale Flügel – der eine für die Knaben, der andere für die Mädchen –, die untereinander durch ein Hauptgebäude verbunden waren, das die Kapelle, die Gemeinschaftsräume, die Verwaltung und alle Diensträume enthielt; jeder Flügel hatte seinen riesigen Hof, seine Werkstätten, seine Nebengebäude aller Art. Doch bei seiner eigenen Vorliebe für das Große und Pomphafte begeisterte ihn vor allem der Luxus, der hier entfaltet wurde: die Größe des Bauwerks, aus einem Material errichtet, das die Jahrhunderte überdauern würde; der verschwendete Marmor, die mit Fayencefliesen ausgekleidete Küche, in der man einen Ochsen hätte braten können, die riesigen, mit Eichenholz getäfelten Speisesäle, die lichtüberfluteten, hell gestrichenen Schlafräume, die Wäscherei, der Baderaum, die mit allen nur erdenklichen Raffinements ausgestattete Krankenstation; und überall breite Nebenausgänge, Treppen, Flure, die im Sommer belüftet und im Winter beheizt wurden; das ganze Haus war in Sonnenschein getaucht und kündete von jugendlicher Fröhlichkeit und dem Wohlbehagen eines großen Vermögens. Als der Architekt, der diese ganze Herrlichkeit unnütz fand, unruhig wurde und von den Ausgaben sprach, schnitt ihm die Fürstin das Wort ab: sie habe den Luxus gehabt und wolle ihn nun den Armen geben, damit sie, die den Luxus der Reichen schaffen, ihn ihrerseits genießen sollten. Ihre fixe Idee bestand in dem Traum, die Elenden mit Wohltaten zu überhäufen, sie in die Betten der Glücklichen dieser Welt zu legen, sie an ihre Tafel zu setzen; nicht mehr das Almosen einer Brotkruste, eines elenden Nachtlagers sollte es sein, sondern das großzügige Leben in Palästen, in denen sie sich zu Hause fühlen, in denen sie sich rächen und die Genüsse von Siegern auskosten konnten. Nur wurde sie bei dieser Verschwendung und den extrem hohen Kostenanschlägen abscheulich bestohlen. Ein Schwarm von Unternehmern lebte von ihr, ganz zu schweigen von den Verlusten, die durch mangelhafte Aufsicht verursacht wurden. Man vergeudete das Gut der Armen. Und Saccard öffnete ihr die Augen, als er sie bat, ihn die Abrechnungen überprüfen zu lassen, was er übrigens völlig uneigennützig tat, einzig um des Vergnügens willen, diesen tollen Tanz der Millionen zu regeln, der ihn begeisterte. Nie hatte er sich so peinlich korrekt gezeigt. Er war in diesem komplizierten Riesengeschäft der wendigste und rechtschaffenste Mitarbeiter, der seine Zeit und sogar sein Geld hingab und einfach nur durch die Freude belohnt wurde, daß diese beträchtlichen Summen durch seine Finger gingen. Im »Werk der Arbeit« kannte man fast nur ihn; die Fürstin ließ sich dort nie sehen, wie sie auch