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Das Geld. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Das Geld - Emile Zola


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krank im Bett, kostete ein Heidengeld; sie wurde übrigens so schlecht behandelt, daß sich die Muskeln an ihrem Arm verkürzten und sie zum Krüppel wurde. Vor Ende des ersten Monats war der Herr verschwunden, ohne seine Anschrift zu hinterlassen. Und das Unglück ging weiter, schlug drein wie das Hagelwetter: Rosalie kam mit einem Knaben nieder, verlor ihre Mutter, ergab sich einem schmutzigen Lebenswandel und geriet in bitterste Not. In der Cité de Naples bei ihrer Cousine gestrandet, trieb sie sich, bis sie sechsundzwanzig war, auf den Straßen herum, da sie sich ihres Armes nicht bedienen konnte, verkaufte bisweilen Zitronen in den Markthallen, verschwand wochenlang mit Männern, die sie betrunken und grün und blau geschlagen wieder nach Hause schickten. Schließlich war ihr vor einem Jahr das Glück widerfahren, daß sie an den Folgen einer Sauftour, die abenteuerlicher war als alle anderen, draufging. Und die Méchain hatte Victor, das Kind, behalten müssen. Von diesem ganzen Abenteuer blieben nur die zwölf unbezahlten, mit »Sicardot« unterschriebenen Wechsel. Man hatte nie mehr darüber in Erfahrung bringen können, als daß der Betreffende Sicardot hieß.

      Wieder streckte Busch den Arm aus und griff nach der Akte Sicardot, einem dünnen Hefter aus grauer Pappe. Noch hatten sich keine Unkosten ergeben, nur die zwölf Wechsel waren da.

      »Wenn Victor wenigstens artig wäre!« jammerte die alte Frau. »Aber stellen Sie sich vor, ein furchtbares Kind ... Ach, das kommt einen hart an, solche Erbschaften zu machen wie diesen Bengel, der mal am Galgen enden wird, und diese Papierfetzen, aus denen ich nie etwas herausschlagen werde!«

      Busch starrte mit seinen großen blassen Augen unverwandt auf die Wechsel. Wie oft hatte er sie so untersucht und gehofft, in einer bisher nicht bemerkten Einzelheit, in der Form der Buchstaben, ja vielleicht sogar in der Narbe des Stempelpapiers einen Hinweis zu entdecken! Diese spitze, feine Handschrift kam ihm irgendwie bekannt vor, behauptete er.

      »Seltsam«, wiederholte er noch einmal, »solche langgezogenen A und O, die wie lauter I aussehen, habe ich bestimmt schon gesehen.«

      Gerade in diesem Augenblick klopfte es, und er bat die Méchain, die Hand auszustrecken und aufzumachen, denn das Zimmer ging direkt auf die Treppe. Man mußte es durchqueren, wenn man in das andere Zimmer mit Blick auf die Straße gelangen wollte. Die Küche, ein luftloses Loch, befand sich auf der anderen Seite des Treppenabsatzes.

      »Herein, mein Herr.«

      Saccard trat ein. Er lächelte, denn er mokierte sich immerhin über das Kupferschild an der Tür, auf dem in dicken schwarzen Lettern stand: Streitsachen.

      »Ach ja, Herr Saccard, Sie kommen wegen dieser Übersetzung ... Mein Bruder ist dort im anderen Zimmer ... Gehen Sie nur hinein.«

      Aber die Méchain versperrte völlig den Durchgang, und sie musterte den Neuankömmling mit wachsendem Erstaunen. Es bedurfte eines richtigen Manövers: er wich auf die Treppe zurück, sie selbst kam heraus und trat auf dem Treppenabsatz beiseite, so daß er eintreten und endlich in das Nebenzimmer gelangen konnte, wo er verschwand. Während dieses komplizierten Bewegungsvorganges hatte sie ihn nicht aus den Augen gelassen.

      »Oh!« schnaufte sie beklommen. »Diesen Herrn Saccard habe ich noch nie so richtig aus der Nähe gesehen ... Victor ist sein ganzes Ebenbild.«

      Busch schaute sie zuerst verständnislos an. Dann ging ihm plötzlich ein Licht auf, und er erstickte einen Fluch.

      »Donnerwetter, so ist es! Ich wußte doch, daß ich das irgendwo gesehen hatte!«

      Und diesmal erhob er sich, warf die Akten durcheinander und fand schließlich einen Brief, den ihm Saccard vor einem Jahr geschrieben hatte, um ihn zu bitten, einer zahlungsunfähigen Dame etwas Zeit zu lassen. Aufgeregt verglich er die Handschrift auf den Wechseln mit der dieses Briefes. Das waren wirklich die gleichen A und die gleichen O, nur noch spitzer geworden mit der Zeit, und auch bei den Großbuchstaben herrschte eine offensichtliche Übereinstimmung.

      »Das ist er, das ist er«, wiederholte er. »Bloß, warum Sicardot, warum nicht Saccard?«

      Aber da fiel ihm eine verworrene Geschichte ein, Saccards Vergangenheit, die ihm ein Makler namens Larsonneau, der heute Millionär war, erzählt hatte: wie Saccard am Tage nach dem Staatsstreich in Paris auftauchte, um die im Entstehen begriffene Macht seines Bruders Rougon auszubeuten, sein anfängliches Elend in den düsteren Straßen des alten Quartier Latin35 und dann sein rascher Aufstieg dank einer zwielichtigen Heirat, nachdem er das Glück gehabt hatte, seine Frau begraben zu können. Bei diesem schwierigen Anfang damals hatte er seinen Namen Rougon für Saccard eingetauscht, indem er einfach den Namen seiner ersten Frau, die Sicardot hieß, abwandelte.

      »Ja, ja, Sicardot, ich erinnere mich genau«, murmelte Busch. »Er hat die Stirn besessen, die Wechsel mit dem Namen seiner Frau zu unterschreiben. Zweifellos hatten die beiden diesen Namen angegeben, als sie in der Rue de la Harpe abstiegen. Und dann traf der Kerl alle möglichen Vorsichtsmaßregeln und ist beim geringsten Anzeichen umgezogen ... Er war also nicht nur hinter dem Geld her, er hat auch noch die Mädchen auf den Treppen umgelegt! Das war dumm, das wird ihm noch Scherereien machen!«

      »Pst, pst!« versetzte die Méchain. »Wir haben ihn in der Hand, und man kann wohl sagen, daß es einen lieben Gott gibt. So werde ich nun endlich belohnt für alles, was ich für diesen armen kleinen Victor getan habe, den ich trotz allem sehr gern habe, obwohl er unverbesserlich ist.«

      Sie strahlte, und ihre kleinen Augen funkelten in dem schmelzenden Fett ihres Gesichts.

      Aber nach der Aufregung über diese lange gesuchte Lösung, die ihm der Zufall jetzt brachte, wurde Busch beim weiteren Überlegen wieder kühl und schüttelte den Kopf. Zweifellos schien ihm Saccard, obwohl er im Augenblick ruiniert war, noch gut zum Rupfen. Man hätte auch auf einen weniger vorteilhaften Vater stoßen können. Bloß würde Saccard sich nichts gefallen lassen, er konnte fürchterlich zubeißen. Und was dann? Er wußte bestimmt selbst nicht, daß er einen Sohn hatte, er konnte es trotz dieser außerordentlichen Ähnlichkeit, die die Méchain so verblüffte, leugnen. Außerdem war er ein zweites Mal Witwer und damit frei, er schuldete niemandem Rechenschaft über seine Vergangenheit; selbst wenn er den Kleinen anerkannte, war aus keiner Furcht und keiner Drohung gegen ihn Vorteil zu ziehen. Und aus seiner Vaterschaft nur die sechshundert Francs für die Wechsel zu schlagen war wirklich zu jämmerlich, da lohnte es nicht die Mühe, daß einem der Zufall so wunderbar zu Hilfe kam. Nein, nein! Er mußte nachdenken, mußte das hegen und pflegen, das Mittel finden, die Ernte in voller Reife einzubringen.

      »Wir wollen nichts übereilen«, schloß Busch, »übrigens liegt er jetzt am Boden; lassen wir ihm die Zeit, wieder auf die Beine zu kommen.«

      Und bevor er die Méchain verabschiedete, prüfte er mit ihr noch die kleinen Geschäfte, mit denen er sie beauftragt hatte: eine junge Frau, die ihren Schmuck für einen Geliebten verpfändet hatte, ein Schwiegersohn, dessen Schulden seine Schwiegermutter und gleichzeitige Geliebte bezahlen würde, wenn man es richtig anzupacken verstand, und schließlich die heikelsten Spielarten in der so verwickelten und schwierigen Beitreibung der Schuldforderungen.

      Als Saccard das Nebenzimmer betrat, verharrte er einige Sekunden, geblendet von dem grellen Sonnenlicht, das durch das gardinenlose Fenster fiel. Das mit einer blaßblauen Blümchentapete ausgeschlagene Zimmer war ganz kahl: nur ein kleines eisernes Bettgestell stand in einer Ecke und in der Mitte ein Tisch aus Fichtenholz mit zwei Strohstühlen. An der linken Zwischenwand dienten roh gehobelte Bretter als Bücherschrank, sie waren mit Büchern, Broschüren, Zeitungen und allen möglichen Papieren überladen. Aber in dieser Höhe breitete das helle Tageslicht eine Art jugendlicher Heiterkeit, unschuldigen frischen Lachens über die Kahlheit des Zimmers. Buschs Bruder Sigismond, ein bartloser junger Mann von fünfunddreißig Jahren mit langem, spärlichem kastanienbraunem Haar, saß am Tisch. Er stützte die breite gebuckelte Stirn in die magere Hand und war so in ein Manuskript vertieft, daß er nicht einmal den Kopf wandte, weil er nicht gehört hatte, wie die Tür aufging.

      Dieser Sigismond war ein kluger Kopf. Er hatte die deutschen Universitäten besucht und sprach außer Französisch, seiner Muttersprache, Deutsch, Englisch und Russisch. 1849 hatte er in Köln Karl Marx kennengelernt und war der beliebteste Redakteur an seiner »Neuen Rheinischen Zeitung«36 geworden; von diesem Augenblick an stand seine


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