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Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola


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biß.

      Und sich wieder Rougon zuwendend, der immer noch vor ihr stand, fragte sie: »Nun, was hat zum Beispiel Herr Kahn für eine Geschichte, wieso ist er Abgeordneter?«

      In der Hoffnung, ihr irgendeine unfreiwillige Eröffnung abzunötigen, ließ Rougon bereitwillig dieses neue Verhör über sich ergehen.

      Er wußte, daß sie sehr neugierig auf das Leben eines jeden war, die Ohren nach allen unvorsichtigen Äußerungen spitzte, unaufhörlich auf der Lauer lag nach den verwickelten Intrigen, von denen sie ständig umgeben war. Hochgestellte Leute interessierten sie besonders.

      »Oh!« erwiderte er lachend, »Kahn ist als Abgeordneter geboren. Er muß bereits seine Zähne auf den Bänken des Abgeordnetenhauses bekommen haben. Unter LouisPhilippe saß er schon im rechten Flügel des Zentrums und unterstützte mit jugendlicher Leidenschaft die konstitutionelle Monarchie. Nach achtundvierzig ist er zum linken Flügel übergegangen, übrigens nach wie vor sehr leidenschaftlich; er hat in erhabenem Stil ein republikanisches Glaubensbekenntnis verfaßt. Jetzt ist er wieder zum rechten Flügel zurückgekehrt und verteidigt leidenschaftlich das Kaiserreich ... Außerdem ist er Sohn eines jüdischen Bankiers aus Bordeaux, steht einem Hochofenwerk bei Bressuire vor, hat sich zum Spezialisten für finanzielle und industrielle Fragen ausgebildet, lebt in Erwartung des Vermögens, das er eines Tages erwerben wird, recht mittelmäßig, wurde am letzten 15. August zum Offizier der Ehrenlegion befördert ...«

      Und Rougon richtete den Blick ins Leere und überlegte.

      »Ich habe, glaube ich, nichts vergessen ... Nein, Kinder hat er nicht ...«

      »Wie? Er ist verheiratet?« rief Clorinde aus.

      Sie deutete durch eine Handbewegung an, daß Herr Kahn sie nicht weiter interessiere. Das sei ein Duckmäuser; niemals habe er seine Frau vorgeführt. Darauf erklärte ihr Rougon, daß Frau Kahn sehr zurückgezogen in Paris lebe. Und dann begann er, ohne eine Frage abzuwarten, von neuem: »Wünschen Sie jetzt den Lebenslauf Béjuins?«

      »Nein, nein«, sagte das junge Mädchen.

      Aber er fuhr dennoch fort: »Er ist aus der Ecole polytechnique30 hervorgegangen. Er hat Broschüren geschrieben, die kein Mensch gelesen hat. Er leitet die Kristallfabrik in SaintFlorent, drei Meilen von Bourges ... Entdeckt hat ihn der Präfekt31 des Departements Cher ...«

      »Hören Sie doch auf!« schrie sie.

      »Ein würdiger Mann, der richtig wählt, niemals redet, sehr geduldig wartet, bis man an ihn denkt, immer da ist und einen ansieht, damit man ihn nicht vergißt ... Ich habe ihn zum Ritter der Ehrenlegion ernennen lassen ...«

      Sie mußte ihm den Mund zuhalten; ärgerlich geworden, sagte sie: »Ach, der ist auch verheiratet! Er ist langweilig ... Ich habe bei Ihnen seine Frau gesehen, ein Trampel! Sie hat mich aufgefordert, ihre Kristallfabrik bei Bourges zu besichtigen.«

      Sie steckte den Rest ihrer ersten Brotschnitte mit einmal in den Mund. Dann trank sie einen großen Schluck Wasser. Ihre Beine hingen von der Tischkante herunter, und ein wenig zusammengesunken, den Hals zurückgebogen, baumelte sie mit ihnen in einer mechanischen Bewegung, deren Rhythmus Rougon genau verfolgte. Bei jedem Hin und Herschlenkern schwollen die Waden unter der Gaze an.

      »Und Herr Du Poizat?« fragte sie nach einer Pause.

      »Du Poizat war Unterpräfekt«, antwortete er nur.

      Erstaunt über die Kürze der Geschichte, sah sie ihn an. »Ich weiß wohl«, sagte sie. »Was weiter?«

      »Weiter wird er später Präfekt werden, und dann wird er das Kreuz der Ehrenlegion erhalten.«

      Sie begriff, daß er nicht mehr darüber sagen wollte. Außerdem hatte sie den Namen Du Poizat beiläufig hingeworfen. Jetzt zählte sie die Herren an den Fingern her. Beim Daumen beginnend, murmelte sie: »Herr d'Escorailles: der ist nicht ernst zu nehmen, er liebt alle Frauen ... Herr La Rouquette: überflüssig, den kenne ich zu gut ... Herr de Combelot: noch ein Verheirateter ...«

      Und als sie beim Ringfinger haltmachte, da ihr niemand mehr einfiel, sah Herr Rougon sie fest an und sagte: »Sie vergessen Delestang.«

      »Da haben Sie recht!« rief sie. »Erzählen Sie mir also von dem?«

      »Das ist ein schöner Mann«, erklärte er, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Er ist sehr reich. Ich habe ihm stets eine große Zukunft prophezeit.«

      In dieser Tonart fuhr er fort, übertrieb die Lobsprüche, verdoppelte die Summen. Das Mustergut La Chamade sei zwei Millionen wert. Delestang werde bestimmt eines Tages Minister. Aber Clorinde behielt einen geringschätzigen Zug um den Mund.

      »Er ist sehr dumm«, murmelte sie schließlich.

      »Sieh da!« sagte Rougon mit einem verschlagenen Lächeln. Er schien von dem Ausspruch, den sie sich hatte entschlüpfen lassen, entzückt zu sein.

      Dann stellte sie mit einem jener jähen Sprünge, an die er schon gewöhnt war, eine neue Frage, wobei sie ihn nun ihrerseits fest ansah.

      »Herrn de Marsy kennen Sie ja wohl sehr genau?«

      »Ja, ja, wir kennen einander«, bestätigte er, ohne mit der Wimper zu zucken, als ergötze ihn das, was sie ihn da fragte, noch mehr.

      Doch er wurde wieder ernst. Er wurde sehr würdevoll, sehr gerecht.

      »Das ist ein Mann von ungewöhnlichem Verstand«, behauptete er. »Ich rechne es mir zur Ehre an, ihn zum Feind zu haben ... Er hat sich mit allem befaßt. Mit achtundzwanzig Jahren war er Oberst. Später begegnete man ihm als Leiter einer großen Fabrik. Dann hat er sich nacheinander mit Landwirtschaft, Finanzen und Handel beschäftigt. Man behauptet sogar, er habe Porträts gemalt und Romane geschrieben.«

      Clorinde vergaß zu essen; sie war ins Träumen geraten.

      »Ich habe neulich abends mit ihm geplaudert«, sagte sie leise. »Das ist ein Prachtkerl ... Er ist eben der Sohn einer Königin32.«

      »Meiner Ansicht nach«, fuhr Rougon fort, »schadet es ihm, daß er so geistreich ist. Ich habe eine andere Vorstellung von Kraft. Ich habe ihn unter sehr ernsten Umständen mit Wortspielen witzeln hören. Immerhin, er hat es zu etwas gebracht, er regiert nicht weniger als der Kaiser. All diese Bastarde haben Glück! – Das Persönlichste an ihm ist sein schneidiges Vorgehen, eine eiserne Hand, kühn, entschlossen, sehr zart und dennoch sehr schlagfertig.«

      Unwillkürlich hatte das junge Mädchen den Blick auf die groben Hände Rougons gesenkt. Er merkte es und sagte lächelnd: »Oh, ich habe Pranken, nicht wahr? Deshalb haben Marsy und ich einander nie verstanden. Er säbelt die Leute elegant nieder, ohne seine weißen Handschuhe zu beflecken. Ich – erschlage sie.«

      Er hatte die Fäuste geballt, fleischige Fäuste mit behaarten Fingergliedern, und er schüttelte sie, froh über ihre ungeheure Größe.

      Clorinde griff nach dem zweiten Butterbrot, in das sie, immer noch verträumt, die Zähne grub. Endlich hob sie die Augen zu Rougon auf.

      »Nun, und Sie?« fragte sie.

      »Meine Geschichte wollen Sie wissen?« sagte er. »Nichts ist leichter erzählt. Mein Großvater verkaufte Gemüse, ich selber habe bis zu meinem achtunddreißigsten Jahr als kleiner Advokat meine abgetragenen Schuhe durch meine heimatliche Kleinstadt geschleift. Gestern war ich noch ein Unbekannter. Ich habe nicht, wie unser Freund Kahn, meine Schultern damit abgenützt, sämtliche Regierungen zu stützen. Ich bin nicht, wie Béjuin, aus der Ecole polytechnique hervorgegangen. Ich laufe weder mit dem schönen Namen des kleinen Escorailles noch mit der schönen Gestalt dieses armen Combelot herum. Ich habe keine so angesehenen Verwandten wie La Rouquette, der seinen Abgeordnetensitz seiner Schwester verdankt, der Witwe des Generals de Llorentz, die heute Palastdame ist. Mein Vater hat mir nicht, wie es Delestang geschah, ein im Weinhandel erworbenes Vermögen von fünf Millionen hinterlassen. Ich bin nicht, wie der Graf de Marsy, auf den Stufen eines Throns geboren und bin nicht, am Rock einer gelehrten Frau hängend, unter den Liebkosungen Talleyrands33 aufgewachsen. Nein, ich bin ein neuer Mann, ich habe nichts als meine Fäuste ...«

      Und


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