Das Heideprinzesschen. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
alles für bare Münze, was in dem Briefe steht? ... Ja, ja, auf den Knieen kömmt sie gerutscht, aber nicht etwa, weil sie Verzeihung will – Gott bewahre! – ohne die hat sie lange Jahre draußen gelebt, und ist es recht gut gegangen – Geld will sie! ... Das liebe Geld! Darum ist's freilich der Mühe wert, auf die Kniee zu fallen!«
Wie tief mußte ihr dies alles gehen, daß sie so heftig und bitter und so anhaltend sprach, die schweigsame Ilse.
»Kannst bei der Gelegenheit auch erfahren, weshalb deine Großmutter das Geldgeklapper nicht hören konnte,« fuhr sie, tief Atem schöpfend, fort. »Es kann dir nicht schaden, wenn du erfährst, wieviel Unglück oft an solchen leidigen Thalern hängt, wie du sie gestern zum erstenmal in deinem Leben gesehen hast ... Deine Großmutter ist die reichste Frau in Hannover gewesen – ihr erster Mann hat ihr volle Kisten und Kasten hinterlassen ... Nachher bei der zweiten Heirat – sie mochte den Mann eben zu gut leiden – da hat sie die größten Opfer gebracht, ihren Glauben hat sie hingegeben; den durfte sie ja nicht mitbringen – mit dem jüdischen Geld nimmt man's nicht so genau. Es hat auch gar nicht lange gedauert, da ist's ihr klar geworden, daß es dem Zweiten nicht im geringsten um ihre Liebe zu thun gewesen ist – ihre Kapitalien aber sind mit der Zeit nur so nach allen vier Winden verflogen – der hat's verstanden!«
»Das war mein Großvater, Ilse?«
Das prächtige Karminrot erschien plötzlich in seiner ganzen früheren Glut auf Ilses Backenknochen.
»Siehst du, da lässest du einem keine Ruhe und fragst das Blaue vom Himmel herunter, und nachher kommen solche Dinge zum Vorschein!« schalt sie ärgerlich und stand auf. »Aber das sage ich dir, mit der Christine kömmst du mir nicht wieder – die ist tot für mich, das merke dir, Kind ... Brauchst auch gar nicht mehr an die Verlogene zu denken – das sind Dinge, die nicht in deinen jungen Kopf passen!«
Sie schob Heinz, der sich demütig und schweigend auf einen Stuhl gesetzt hatte, eine Tasse hin und schenkte ihm Kaffee ein; aber einen Blick erhielt er noch nicht. Dann ging sie wieder hinaus an den Brunnen. Ich sah, wie sie die Zähne zusammenbiß, als sie den Schwengel hob, aber das mußte ja sein! Der Wasserstrom schoß unermüdlich nieder, bis der Eimer gefüllt war.
Nein, und wenn Ilse auch immer das Richtige traf, darin konnte ich ihr doch nicht folgen. Denken mußte ich an die unglückliche Sängerin! Sie war ja meine Tante! Meine Tante! Das klang süß und wohlthuend, aber doch viel zu gesetzt für das reizende Gebild, das mir vorschwebte ... Und doch – sie war älter als mein Vater, älter als zweiundvierzig Jahre – hu, wie entsetzlich alt! ... Aber das half doch alles nichts, meine Phantasie blieb geschäftig, die interessante Gestalt auszuschmücken – sie war ja eine Sängerin ...
Ich flüchtete mit meinem übervollen Herzen hinüber auf den einsamen Hügel und starrte mit schmerzenden Augen in den schönen blauen Himmel ... Ob sie mich wohl sah, meine liebe Großmutter, wie ich traurig dasaß? Sie war ganz gewiß nicht böse, daß ich an Christine dachte – sie hatte ihr ja verziehen! ...
8.
Der einsame Dierkhof hatte just seine schönste Zeit; er lag mitten in einem pfirsichfarbenen Bett – die Heide fing an zu blühen, und die Bienenschwärme, die bis dahin auf den goldenen Rübsamenfeldern und in der Buchweizenblüte geschwelgt hatten, breiteten sich nun wonnetrunken über den unabsehbaren, honigtriefenden Flächen aus ... Nun summte sie wieder bestrickend und einlullend um das traute Dach, die uralte eintönige Heidemelodie! Aus den Lüften taumelten meine Lieblinge, die blauen Schmetterlinge, so massenhaft nieder, als sei der strahlende Sommerhimmel droben in Stückchen zerflattert; über die Sandblößen schlüpften goldflimmernde Laufkäfer, und an den Wiesen- und Gartenblumen hingen Perlmuttervögel, der prächtige Admiral und das Pfauenauge.
Sonst war ich den Schmetterlingen nachgelaufen, hatte sie eingefangen, mich ergötzt an dem wunderbaren Farbenspiel der Flügel, und sie dann wieder davonfliegen lassen – so hatte ich oft halbe Tage lang die Heide durchschwärmt; das war jetzt anders geworden. Ich hielt mich viel im Zimmer meiner Großmutter auf, das mit seinen altertümlichen, aus dem Judenhause stammenden Möbeln einen geheimnisvollen Reiz auf mich ausübte. Es lag und stand da alles an seinem alten Platze, nicht ein Gerät war verrückt worden, die große Uhr wurde wieder pünktlich aufgezogen, und damit nichts fehle, was den Glauben erwecken konnte, die Verstorbene walte noch in dem Raume, hatte Ilse die niedergebrannten Kerzen auf dem Silberleuchter durch neue ersetzt.
Sie schloß mir auch da und dort eine Truhe oder ein Spind auf: die Fächer waren meist leer – meine Großmutter hatte bei ihrer Flucht aus der Welt allen Ballast von sich geworfen. Dafür war mir aber auch jedes beschriebene Papierblättchen, jeder zerstäubende Blumenrest ein interessanter Fund.
In einem Schranke hingen auch noch verschiedene Kleidungsstücke, die meine Großmutter aber nie in der Heide getragen hatte. Eines Tages nahm Ilse ein schwarzes, wollenes Kleid aus dem Schranke, zertrennte es und fing an, zuzuschneiden – sie hatte in der Stadt schneidern gelernt, und das war ihr Stolz ... Ich war sehr erschrocken, als sie mich aufforderte, zur Anprobe in das Werk ihrer Hände zu schlüpfen – das Ding sah aus wie ein Küraß.
»Ilse, nur das nicht,« protestierte ich schaudernd und zerrte ängstlich an dem pressenden Halsausschnitt, der mir dicht an der Kehle saß, und mein Ellbogen gab sich insgeheim alle Mühe, die enge, drückende Aermelnaht zu zersprengen.
»Ei was – wirst dich schon dran gewöhnen!« sagte sie kaltblütig und schneiderte weiter.
Wir saßen im Baumhof unter den Eichen, wohin ich einen Tisch und Stühle getragen hatte. Draußen über der Ebene brütete die flimmernde Nachmittagssonnenhitze; aber hier war es schattig kühl und still; nur die Bienen summten, und droben im Nest schrieen die jungen Elstern. Ich hatte den übergroßen, runden, braunen Strohhut unter den Händen, den mir Ilse vor circa fünf Sommern aus der Stadt hatte kommen lassen, und trennte auf ihr Geheiß das Rosaband herunter, das die Wonne meiner Augen gewesen war.
Da kam Heinz aus dem nächsten Dorfe zurück und legte einen Brief vor Ilse hin.
Mein Vater hatte auf die ihm telegraphisch mitgeteilte Nachricht vom Ableben meiner Großmutter hin geschrieben und sein Nichterscheinen bei der Beerdigung mit ernstlichem Kranksein entschuldigt. Seitdem war die Korrespondenz zwischen ihm und Ilse eine ziemlich lebhafte geworden; um was es sich handelte, wußte ich nicht, ich bekam keine Zeile zu sehen; aber so viel war mir bekannt, daß zwischen Ilses letztem Schreiben und der Antwort meines Vaters, die sie da eben vor meinen Augen überlas, kaum fünf Tage lagen.
»Nichts da!« sagte sie und steckte den Brief in die Tasche. »Uebermorgen reisen wir – dabei bleibt's!«
Hut und Schere fielen mir aus den Händen.
»Reisen wir!« wiederholte ich mit stockendem Atem. »Du willst mit Heinz fort? ... Ihr wollt mich mutterseelenallein auf dem Dierkhofe lassen?«
»O je, da wär' er gut aufgehoben, der arme Dierkhof!« rief sie, und zum erstenmal wieder seit dem Tode meiner Großmutter flog ein schwaches Lächeln über ihre Züge. »Närrisches Ding, du sollst fort!«
Ich stand auf und warf meinen Stuhl so heftig zurück, daß er polternd hinten über fiel.
»Ich? – wohin denn?« stieß ich hervor.
»In die Stadt,« lautete die lakonische Antwort.
Das ganze sonnige Heideland draußen und die urkräftigen, rauschenden Eichen über mir versanken – die entsetzliche, dunkle Hinterstube umfing mich, und ich sah in das feuchte, karge Gärtchen inmitten der vier grünangelaufenen Häuserwände.
»Und was soll ich in der Stadt?« preßte ich heraus.
»Lernen. –«
»Ich gehe nicht mit, Ilse, darauf kannst du dich verlassen!« erklärte ich entschieden, während ich mit den bitteren, heißen Thränen rang. »Mache mit mir, was du willst – aber du sollst sehen, ich klammere mich in der letzten Stunde draußen am Hausthorpfosten an ... Ob du das Herz hast, mich fortzuschleppen?« Ich schüttelte Heinz, der wie eine Bildsäule mit