Anna Karenina. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.
sie. Er wußte nicht, daß eine Handlungsweise wie die seinige Kitty gegenüber einen bestimmten Namen trägt, daß das, ohne die Absicht, sie zu heiraten, eine Betörung junger Mädchen ist und daß solche Betörung zu den schlechten Streichen gehört, wie sie bei vornehmen jungen Männern wie ihm nur zu gewöhnlich sind. Er hatte die Vorstellung, als sei er der erste, der dieses Vergnügen entdeckt habe, und freute sich dieser seiner Entdeckung.
Hätte er hören können, was Kittys Eltern an diesem Abend miteinander sprachen, hätte er erfahren, wie die Sache vom Standpunkte der Familie aus betrachtet wurde, daß er Kitty unglücklich machen würde, wenn er sie nicht heiratete, so hätte er sich höchlich gewundert und es nicht geglaubt. Er konnte nicht glauben, daß das, was ihm und namentlich auch ihr ein so großes, schönes Vergnügen bereitete, etwas Schlechtes sei. Und noch weniger hätte er glauben können, daß es seine Pflicht sei, sie zu heiraten.
Daß er sich verheiraten werde, war ihm überhaupt noch nie als möglich erschienen. Das Familienleben hatte für ihn nichts Verlockendes; ja, mit dem Begriffe der Familie und besonders des Ehemannes verband er, in Übereinstimmung mit der in der Junggesellenwelt, in der er lebte, allgemein üblichen Anschauung, die Vorstellung von etwas Fremdartigem, Feindlichem und namentlich von etwas Lächerlichem. Aber obgleich Wronski nicht die geringste Ahnung von dem Inhalte des elterlichen Gespräches hatte, so fühlte er doch, als er an diesem Abende von Schtscherbazkis wegging, daß das geheime seelische Band, das zwischen ihm und Kitty vorhanden war, durch den heutigen Abend so sehr an Festigkeit zugenommen habe, daß er etwas unternehmen müsse. Aber was er unternehmen könne oder müsse, das vermochte er sich nicht zu sagen.
›Das ist ja eben das Reizvolle‹, dachte er, als er auf dem Heimwege von Schtscherbazkis begriffen war und, wie immer, von ihnen ein angenehmes Gefühl der Reinheit und Frische mitnahm (das allerdings zum Teil auch davon herrührte, daß er den ganzen Abend über nicht geraucht hatte) und zugleich ein ihm neues Gefühl der Rührung über Kittys Liebe zu ihm, › ... das ist ja eben das Reizvolle, daß weder von meiner noch von ihrer Seite bis jetzt etwas ausgesprochen ist und wir einander doch bei diesem geheimen Gespräche der Blicke und des Stimmklanges verstanden haben; und auf diese Art hat sie mir heute deutlicher als sonst je gesagt, daß sie mich liebt. Und wie lieb, wie schlicht und wie zutraulich kam es heraus! Ich fühle, daß ich ein Herz habe und daß viel Gutes in mir lebt. O diese lieben, verliebten Augen, als sie sagte: »und sehr«! – Na, und was ist dabei? Nichts, gar nichts. Mir macht es Vergnügen und ihr auch.‹ Und nun überlegte er, wo er wohl diesen Abend beschließen könne.
Er ging in Gedanken die Orte durch, wo er hingehen könnte. ›In den Klub? Eine Partie Besik und eine Flasche Champagner mit Ignatow? Nein, dahin mag ich nicht. Ins Château des fleurs? Da träfe ich Oblonski. Aber Couplets und Cancan? Nein, das ist mir jetzt zuwider geworden. Gerade darum verkehre ich so gern bei Schtscherbazkis, weil ich da selbst ein besserer Mensch werde. Ich will nach Hause fahren!‹ Er ging im Hotel Dussot geradenwegs auf sein Zimmer, ließ sich ein Abendessen dorthin bringen, kleidete sich dann aus und hatte den Kopf kaum auf das Kissen gelegt, als er auch schon in festen Schlaf versank.
17
Am anderen Morgen um elf Uhr fuhr Wronski nach dem Bahnhofe der Petersburger Eisenbahn, um seine Mutter abzuholen, und der erste, den er auf den Stufen der großen Treppe traf, war Oblonski, der mit demselben Zuge seine Schwester erwartete.
»Ah, Euer Erlaucht!« rief Oblonski. »Wen erwartest du denn?«
»Ich erwarte meine Mutter«, antwortete Wronski und lächelte, wie eben alle Leute zu lächeln pflegten, die mit Oblonski zusammentrafen; er drückte ihm die Hand und ging mit ihm zusammen weiter die Treppe hinauf. »Sie muß mit diesem Zuge aus Petersburg eintreffen.«
»Bis zwei Uhr habe ich in dieser Nacht auf dich gewartet. Wo bist du denn von Schtscherbazkis hingefahren?«
»Nach Hause«, erwiderte Wronski. »Offen gestanden, ich war gestern nach dem Besuche bei Schtscherbazkis in so vergnügter Stimmung, daß ich keine Lust hatte, noch anderswohin zu fahren.«
»Am gebrannten Mal erseh ich,
Ob von edler Art ein Roß;
An des Jünglings Aug erspäh ich,
Ob ins Herz ihn Amor schoß«,
deklamierte Stepan Arkadjewitsch, geradeso wie tags zuvor bei dem Zusammensein mit Ljewin.
Wronski lächelte dazu mit einer Miene, als wollte er das nicht gerade ableugnen, ging aber sofort zu einem anderen Gegenstande über.
»Und wen willst du denn abholen?« fragte er.
»Ich? Eine sehr hübsche Frau«, erwiderte Oblonski.
»Ei, sieh mal!«
»Honny soit qui mal y pense! Meine Schwester Anna.«
»Ah so! Das ist Frau Karenina?« fragte Wronski.
»Du kennst sie doch?«
»Ich glaube wohl. Oder doch nicht? – Ich besinne mich wirklich nicht«, antwortete Wronski zerstreut; der Name Karenina rief bei ihm eine dunkle Vorstellung von etwas Pedantischem, Langweiligem hervor.
»Aber meinen berühmten Schwager Alexei Alexandrowitsch wirst du doch sicherlich kennen. Den kennt ja die ganze Welt.«
»Ja, das heißt, ich kenne ihn par renommée und von Ansehen. Ich weiß, daß er ein kluger, gelehrter Mann, so etwas ganz Großartiges ist. Aber du weißt, dergleichen ist nicht in meiner – not in my line«, versetzte Wronski.
»Ja, er ist ein sehr bedeutender Mensch; ein bißchen sehr konservativ, aber ein prächtiger Mensch«, bemerkte Stepan Arkadjewitsch, »ein ganz prächtiger Mensch.«
»Nun, das ist ja schön für ihn«, sagte Wronski lächelnd. »Ah, du bist ja auch hier!« wandte er sich an den alten Diener seiner Mutter, einen Mann von großer Gestalt, der an der Tür stand. »Komm nur mit hinein!«
Wronski fühlte sich in der letzten Zeit – ganz abgesehen von der Anziehungskraft, die Oblonskis sympathisches Wesen auf alle Leute ausübte – zu ihm auch deshalb hingezogen, weil er immer in ihm Kittys Schwager sah.
»Nun, wie steht's? Werden wir nächsten Sonntag das Souper zu Ehren der Diva zustande bringen?« fragte er ihn lächelnd und faßte ihn unter den Arm.
»Unzweifelhaft. Ich sammle Unterschriften dazu. – Da fällt mir ein: hast du gestern meinen Freund Ljewin kennengelernt?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
»Gewiß. Aber er ging sehr früh fort.«
»Ein ganzer Prachtkerl«, fuhr Oblonski fort. »Nicht wahr?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Wronski, »woher das kommt, daß alle Moskauer – die, mit denen ich jedesmal rede, selbstverständlich ausgenommen«, schob er scherzend ein – »eine eigentümliche Schroffheit an sich haben. Es ist immer, als ob sie sich auf die Hinterbeine stellten, als ob sie sich ärgerten und es einem gehörig geben wollten.«
»Ja, so ist es, wahrhaftig, das stimmt«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch heiter lachend.
»Nun, kommt der Zug bald?« wandte sich Wronski an einen Bahnbeamten.
»Er ist schon gemeldet«, antwortete dieser.
Das Herannahen des Zuges machte sich durch mancherlei Anzeichen immer mehr bemerkbar: Bahnbeamte waren in eifriger Bewegung, um die Vorbereitungen zu seinem Empfange zu treffen, Gepäckträger liefen hierhin und dorthin, es erschienen Gendarmen und die höheren Stationsbeamten, es fand sich ein zahlreiches Publikum ein, um Ankommende abzuholen. Durch den Kältedunst hindurch sah man Arbeiter in kurzen Pelzen und weichen Filzstiefeln über die Schienen der sich mannigfach miteinander verschlingenden Gleise laufen. Man hörte das Pfeifen einer Lokomotive auf einem vom Bahnsteige weiter ab liegenden Gleise und wie eine schwere Masse in Bewegung gesetzt wurde.
»Nein«, sagte Stepan Arkadjewitsch, der die größte Lust verspürte, Wronski etwas von Ljewins Absichten auf Kitty zu erzählen, »nein, du hast meinen lieben Ljewin doch nicht