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mir scheint, ich hab so was gelesen«, erwiderte Demeter. »So eine Art von Geschöpf sollte man wirklich einmal näher kennen lernen. Hübsch ist sie. Ein Gesicht wie aus Elfenbein.«
»Und viel Energie liegt in den Zügen«, fügte Georg hinzu. »Ihr Bruder ist übrigens auch ein merkwürdiger Mensch. Klavierspieler und Mathematiker. Ich hab ihn neulich kennen gelernt. Und der Vater soll ein zugrund gegangener jüdischer Fellhändler sein.«
»Es ist schon eine sonderbare Rass'«, bemerkte Demeter.
Indessen war Frau Ehrenberg auf Therese zugekommen und hielt es für richtig, keinerlei Überraschung zu zeigen. »Nehmen Sie doch Platz, Therese«, sagte sie. »Wie gehts Ihnen denn immer? Seit Sie sich ins politische Leben begeben haben, kümmern Sie sich ja um Ihre früheren Bekannten gar nicht mehr.«
»Ja leider läßt mir mein Beruf wenig Zeit, Familienverkehr zu pflegen«, erwiderte Therese und schob ihr Kinn vor, was ihr Antlitz plötzlich männlich und beinah häßlich machte.
Frau Ehrenberg schwankte, ob sie etwas von der abgelaufenen Kerkerhaft Theresens erwähnen sollte oder nicht. Immerhin war zu bedenken, daß es kaum ein anderes Haus in Wien gab, wo Damen verkehrten, die kurz zuvor eingesperrt waren.
»Wie gehts denn deinem Bruder?« fragte Else.
»Er dient heuer«, antwortete Therese. »Du kannst dir ja ungefähr denken, wie's ihm da geht ...« und sie warf einen ironischen Blick auf die Husarenuniform Demeters.
»Da kommt er wohl nicht viel zum Klavierspielen«, sagte Frau Ehrenberg.
»Ach er denkt gar nicht mehr daran, Pianist zu werden«, erwiderte Therese. »Er steckt ganz in der Politik.« Und sich lächelnd zu Demeter wendend fügte sie hinzu: »Sie werden ihn doch nicht verraten, Herr Oberleutnant.«
Stanzides lachte etwas verlegen.
»Was heißt das: Politik?« fragte Herr Ehrenberg. »Will er Minister werden?«
»In Österreich keineswegs«, erwiderte Therese. »Er ist nämlich Zionist.«
»Was!?« rief Ehrenberg aus, und sein Gesicht strahlte.
»Das ist allerdings ein Gebiet, auf dem wir uns nicht ganz verstehen«, setzte Therese hinzu.
»Liebe Therese ...«, begann Ehrenberg.
»Du wirst den Zug versäumen«, unterbrach ihn seine Frau.
»Ich werd den Zug nicht versäumen, und morgen geht auch noch einer. Liebe Therese, ich sage nur: es soll jeder nach seiner Fasson selig werden. Aber in dem Fall ist Ihr Bruder der Gescheitere und nicht Sie. Entschuldigen Sie, ich bin vielleicht ein Laie in politischen Dingen, aber ich versichere Sie, Therese, es wird euch jüdischen Sozialdemokraten geradeso ergehen, wie es den jüdischen Liberalen und Deutschnationalen ergangen ist.«
»Inwiefern?« fragte Therese hochmütig. »Inwiefern wird es uns geradeso ergehen?«
»Inwiefern ...? das werd ich Ihnen gleich sagen. Wer hat die liberale Bewegung in Österreich geschaffen? ... Die Juden! ... Von wem sind die Juden verraten und verlassen worden? Von den Liberalen. Wer hat die deutschnationale Bewegung in Österreich geschaffen? Die Juden. Von wem sind die Juden im Stich gelassen ... was sag ich im Stich gelassen ... bespuckt worden wie die Hund'? ... von den Deutschen! Und geradeso wirds ihnen jetzt ergehen mit dem Sozialismus und dem Kommunismus. Wenn die Suppe erst aufgetragen ist, so jagen sie euch vom Tisch. Das war immer so und wird immer so sein.«
»Wir wollens abwarten«, erwiderte Therese ruhig.
Georg und Demeter blickten einander an, wie zwei Freunde, die gemeinsam auf eine Insel verschlagen worden sind. Oskar, der gerade während der Rede seines Vaters eingetreten war, hatte schmale Lippen und war sehr verlegen. Allen aber schien es eine Art Befreiung, als Ehrenberg plötzlich auf die Uhr sah und sich empfahl.
»Wir werden ja heut doch nicht mehr einig«, sagte er zu Therese.
Therese lächelte: »Kaum. Glückliche Reise und noch einmal im Namen ...«
»Pst«, sagte Ehrenberg und verschwand.
»Wofür dankst du eigentlich dem Papa?« fragte Else sie leise.
»Für eine Spende, um die ich ihn unverschämterweise bitten kam. Aber es gibt sonst keinen reichen Mann in meinem Bekanntenkreis. Über den Zweck zu reden bin ich nicht berechtigt.«
Frau Ehrenberg trat zu Bermann und Nürnberger hin, die über den Klavierdeckel hinweg mit einander sprachen, und sagte leise: »Sie wissen doch, daß sie ...«, sie wies mit den Augen auf Therese, »eben aus dem Gefängnis entlassen worden ist?«
»Ich habe davon gelesen«, erwiderte Heinrich ...
Nürnberger kniff die Augen zusammen und warf einen Blick auf die Gruppe in der Ecke, wo die drei Mädchen mit Stanzides und Willy Eißler plauderten, und schüttelte den Kopf. »Was für eine Bosheit unterdrücken Sie?« fragte Frau Ehrenberg.
»Ich denke eben, wie leicht es sich hätte fügen können, daß Fräulein Else zwei Monate im Gefängnis hätte schmachten müssen, und daß Fräulein Therese in einem eleganten Salon als Tochter des Hauses Cercle hielte.«
»Leicht fügen ...?«
»Herr Ehrenberg hat Glück gehabt, Herr Golowski Pech ... das ist vielleicht der ganze Unterschied.«
»Na hören Sie, Nürnberger«, sagte Heinrich, »Sie werden das Individuelle doch nicht vollkommen aus der Welt leugnen wollen ... Else und Therese sind doch ziemlich verschiedene Naturen.«
»Das denke ich auch«, bemerkte Frau Ehrenberg.
Nürnberger zuckte die Achseln. »Beide sind junge Mädchen, recht begabt, recht hübsch ... alles übrige ist wie bei den meisten jungen Damen und wohl bei den meisten Menschen, mehr oder weniger angeflogen.«
Heinrich schüttelte lebhaft den Kopf. »Nein, nein«, sagte er, »so einfach ist das Leben doch nicht.«
»Es ist darum nicht einfacher, lieber Heinrich.«
Frau Ehrenbergs Blick war auf die Tür gerichtet und leuchtete. Felician war eben eingetreten. Mit nachtwandlerischer Sicherheit ging er auf die Hausfrau zu und küßte ihr die Hand. »Ich habe eben das Vergnügen gehabt, Herrn Ehrenberg auf der Stiege zu begegnen ... Er fährt nach Corfu, wie er mir sagt. Dort muß es jetzt wunderschön sein.«
»Sie kennen Corfu?«
»Ja, gnädige Frau, eine Kindheitserinnerung.« Er begrüßte Nürnberger und Bermann, und sie redeten alle über den Süden, nach dem Bermann sich sehnte und an den Nürnberger nicht glaubte.
Georg drückte seinem Bruder zur Begrüßung und zugleich zum Abschied die Hand. Wie er, unauffällig durch die offene Tür des Speisezimmers verschwindend, sich noch einmal umsah, bemerkte er Marianne, die in der entferntesten Ecke des Salons saß und ihm mit dem Lorgnon spöttisch nachblickte. Es war immer die rätselhafte Gabe dieser Frau gewesen, plötzlich da zu sein, ohne daß man wußte, wo sie herkam. Noch auf der Stiege trat ihm eine verschleierte Dame in den Weg. »Eilen Sie doch nicht so, sie kann schon noch einen Moment warten«, sagte sie. »Man darf die Frauen überhaupt nicht so verwöhnen ... Ob Sie's auch so eilig hätten, wenn Sie zu einem Rendezvous mit mir gingen ...? Aber davon wollen ja Sie nichts wissen. Wahrscheinlich, weil Sie Angst haben, daß Sie mein Mann niederschießt, wenn er aus Stockholm zurückkommt, das heißt, heute ist er wohl schon in Kopenhagen. Aber er setzt vollkommenes Vertrauen in mich. Mit Recht übrigens. Denn ich kann Ihnen schwören, weiter als bis zu einem Kuß auf die Hand ... nein, um nicht zu lügen, auf diesen Hals, hat es noch niemand gebracht. Sie glauben gewiß auch, daß ich mit dem Stanzides ein Verhältnis gehabt habe? Nein, der wäre nichts für mich! Schöne Männer sind mir überhaupt ein Graus. Auch an Ihrem Bruder Felician kann ich nichts finden ...«
Es war nicht abzusehen, wann die verschleierte Dame zu reden aufhören würde, denn es war Frau Oberberger. Bei andern Frauen hätte das gleiche Benehmen ein gewisses Entgegenkommen bedeutet, nicht so bei ihr, der man, so zweifelhaft