Das Tagebuch der Mademoiselle S.. Wilhelmine Schröder-DevrientЧитать онлайн книгу.
Erotische Bibliothek
Band 12
Wilhelmine Schröder-Devrient
(zugeschrieben)
Das Tagebuch der Mademoiselle S.
Aus den Memoiren einer Sängerin
Erstmals erschienen 1909
© Lunata Berlin 2019
Inhalt
1. Brief
Warum soll ich Ihnen etwas verhehlen? Sie haben sich in so viel schwierigen Lagen meines Lebens als ein wahrer und uneigennütziger Freund erwiesen, haben mir so wesentliche Dienste geleistet, daß ich Ihnen mein vollständiges Vertrauen schenken kann. Ihr Wunsch überrascht mich übrigens nicht. Schon in unseren früheren Gesprächen bemerkte ich, daß Sie eine Neigung und Vorliebe haben, die geheimen Triebfedern zu erforschen, die bei uns Frauen zu Ursachen so mancher Handlungen werden, für die auch die geistreichsten Männer häufig um eine Erklärung verlegen sind. Obgleich uns die Verhältnisse jetzt weit auseinandergeführt haben, und wir uns aller Wahrscheinlichkeit nie wiedersehen werden, so denke ich doch stets mit Dankbarkeit an die Zeit, in der Sie mir in meinem großen Unglück beigestanden haben und in allem, was Sie getan, verschafft und abgewehrt, nie an sich gedacht, sondern nur mein Wohl gewollt haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen. Es hing ja nur von Ihnen ab, jede Gunstbezeugung von mir zu erhalten, die ein Mann sich nur wünschen kann, denn Sie kannten mein Temperament, und ich war Ihnen sehr gut. An Gelegenheit hat es uns auch nicht gefehlt, und ich habe an Ihnen oft bewundert, welche Gewalt Sie sich angetan haben. Denn, daß auch Sie in dem fraglichen Punkt sehr reizbar, ebenso reizbar wie ich, waren, habe ich mehr als einmal bemerkt, und Sie haben es mir selbst oft gesagt, daß ich einen scharfen Blick und sehr viel mehr Verstand habe, als viele andere Frauen. Nun haben Sie das Verlangen an mich gestellt, Ihnen aufrichtig und vor allem ohne weibliche Zurückhaltung – die ich ja selbst oft genug Ziererei genannt habe – meine Erfahrungen und Anschauungen über das Fühlen und Denken der Frauen in Bezug auf das wichtigste Moment ihres Daseins, die Liebe und Vereinigung mit dem Manne, mitzuteilen. Anfangs setzte mich Ihr Wunsch in Verlegenheit, denn – lassen Sie mein Bekenntnis gleich mit der Schilderung eines entscheidenden Charakterzuges aller Frauen ohne Ausnahme beginnen: »Nichts wird uns schwerer, als die vollkommene Aufrichtigkeit gegen den Mann; denn Sitte und Notwendigkeit des gesellschaftlichen Zwangs legen uns von frühester Jugend an so viele Rücksichten auf, daß wir ohne Gefahr nicht aufrichtig sein können!« Als ich aber darüber nachdachte, was Sie eigentlich von mir verlangen, vor allen Dingen aber, als ich mich der Eigenschaften des Mannes erinnerte, der so etwas von mir verlangte, da fing Ihre Idee an, mir Vergnügen zu machen. Ich versuchte, einige meiner Erfahrungen zu Papier zu bringen. Ich stockte zwar, als ich an Dinge kam, die wirklich vollkommene Aufrichtigkeit verlangen und die man eben nicht niederzuschreiben pflegt, aber ich zwang mich dann doch dazu. Ich dachte daran, daß ich Ihnen eine Freude damit mache, und überließ mich nun ganz der Erinnerung an die vielen glücklichen Stunden, die ich genossen habe, und von denen ich nur eine bereue. Als ich erst die anfängliche Scheu besiegt hatte, empfand ich bei der Schilderung dessen, was ich von anderen Frauen erfahren, sogar ein ganz entscheidendes Vergnügen. Je ausführlicher ich wurde, desto mehr kam mein Blut auf die angenehmste Art in Wallung. Es war mir wie ein Nachgeschmack der Freuden, die ich genossen habe und deren ich mich nicht schäme, wie Sie wissen. – Wir sind durch die sonderbarsten Verhältnisse so vertraut miteinander geworden, daß es mir übel anstehen würde, mich Ihnen in einem anderen Licht zu schildern, als ich wirklich bin.
Meine Eltern, wohlhabende, aber keineswegs reiche Leute, hatten mir eine musterhafte Erziehung gegeben. Mein lebhafter Charakter, meine Begabung, alles spielend zu erlernen, und namentlich mein schon früh ausgebildetes Talent auf dem Gebiete der Musik machten mich zum Liebling nicht allein meiner Eltern, sondern aller, die unser Haus besuchten. Bis zum dreizehnten Jahr war meine temperamentvolle Veranlagung noch nicht durchgebrochen. Andere junge Mädchen hatten mir zwar erzählt, was es für eine Bewandtnis mit dem Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht habe, und daß es eine Fabel sei, wenn man uns weismachen wolle, der Storch bringe die Kinder, und daß doch gewiß recht sonderbare und geheimnisvolle Dinge vorgehen müßten, wenn man sich verheirate. Aber mein Interesse an solchen Gesprächen war immer nur das der normalen Neugier gewesen. Meine Sinne sprachen dabei noch in keiner Weise mit. Erst als sich an meinem Körper die ersten Spuren der Reife zeigten, als ein leichter Anflug gekräuselter Haare sich da bemerkbar machte, wo meine Mutter nie, selbst beim Anziehen und Waschen nicht, eine vollständige Entblößung litt, da gesellte sich zu der Neugier auch das Wohlgefallen. Wenn ich allein war, untersuchte ich die mir unerklärliche Erscheinung des krausen Haarwuchses an jener Stelle, die doch eine große Bedeutung und Wichtigkeit haben mußte, da alle Welt sie so sorgfältig hütete und den Blicken entzog. Beim Aufstehen, wenn ich mich bei verschlossenen Türen allein wußte, nahm ich einen Spiegel von der Wand, stellte ihn vor mich und rückte ihn solange schräg, bis ich alles genau sehen konnte. Um so weniger aber begriff ich, was meine Gespielinnen davon erzählten, wie die innigste Vereinigung zwischen Mann und Frau stattfinde. Der Augenschein überzeugte mich, daß eine Vereinigung meiner Meinung nach gar nicht möglich sein könne. An Bildsäulen hatte ich gesehen, wie anders der Mann von der Natur ausgestattet ist als das Mädchen. Da ich meine Untersuchungen immer beim Waschen vornahm, wobei ich an den Wochentagen ganz nackt und allein war, während ich sonntags in Gegenwart der Mutter die Hüften bis zu den Knien bedeckt halten mußte, so konnte es nicht fehlen, daß ich auch bald auf die immer mehr sich rundenden Formen der Hüften und Schenkel aufmerksam werden mußte. Das bereitete mir ein unerklärliches Vergnügen. Meine Gedanken schweiften in die Weite. Ich versuchte, mir auf alle mögliche Weise zu erklären, was ich doch nicht begreifen konnte; ich erinnere mich aber genau, daß damals sich meine Eitelkeit zu regen begann. Mein Vater war ein sehr ernster Mann, und meine Mutter ein Muster weiblicher Sitte und feinsten Anstands, so daß ich vor beiden außerordentlichen Respekt empfand, aber gerade deswegen auch die größte Liebe für sie