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Das Tagebuch der Mademoiselle S.. Wilhelmine Schröder-DevrientЧитать онлайн книгу.

Das Tagebuch der Mademoiselle S. - Wilhelmine Schröder-Devrient


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Gefühle, die mich damals bewegten, ließen mich gar nicht daran denken, daß beide Körper eigentlich wunderschön waren. Jetzt weiß ich freilich, daß solche Schönheit zu den größten Seltenheiten gehört. Ich sah nur erstaunt den Vorgang, ohne an Nebendinge zu denken. Vater sprach kein Wort, sondern handelte nur. Die Mutter dagegen stieß einzelne Worte aus – manchmal unverständliche, als raubte das Vergnügen ihr die Besinnung – , aus denen ich mir zusammenreimen konnte, was zwischen beiden vorging. Merkwürdige Gedanken fuhren mir durch den Kopf: Das war Leben und Tod zugleich. So völlig dahin konnte nur sein, wer sich selbst, sein ganzes Ich aufgegeben hatte.

      Nun glaubte ich, es sei alles vorbei, und obgleich meine Sinne in einer unglaublichen, fast schmerzhaften Aufregung waren, so dachte ich doch nur daran, wie ich, ohne mich zu verraten, aus dem Schlafzimmer herauskommen könnte. Ich hatte mich aber geirrt und sollte noch mehr zu sehen bekommen.

      Vor dem Bett sitzend, beugte sich meine Mutter über den Liegenden und küßte ihn auf das zärtlichste.

      »Warst Du glücklich?« fragte sie schmeichelnd. Ich sah, wie aus einer stillen, scheinbar temperamentlosen, höchst ruhigen Frau eine glühende Genießerin wurde. Der Augenblick war über alle Beschreibung erregend und schön! Die kräftigen Glieder meines Vaters, die blendend weißen, runden Formen meiner Mutter … Hier schien sich das Leben in seiner Fülle, das Dasein, soweit es faßbaren Höhen zustrebt, in zwei glücklichen Menschen konzentriert zu haben.

      Die beiden Wesen, für die ich bis jetzt die meiste Ehrfurcht und Liebe gefühlt, hatten mich über Dinge aufgeklärt, über die sich junge Mädchen so überaus verkehrte Gedanken machen, hatten allen Schein und alle Vorstellung beiseite geworfen, durch die sie mir bisher als ganz rein, leidenschaftslos und ehrfurchtgebietend erschienen waren; hatten mir gezeigt, daß die Welt unter der äußeren Form der Sitte und des Anstandes den Genuss und die Wollust verbirgt. Aber ich will jetzt noch nicht philosophieren, sondern erst erzählen. Zehn Minuten ungefähr mochten die beiden wie leblos unter der Decke gelegen haben, dann standen sie auf, wuschen sich, zogen sich an und verließen das Zimmer. Ich wußte, daß meine Mutter den Vater zunächst in den Raum führen würde, wo die Geburtstagsgeschenke aufgestellt waren, und dieses lag an dem Balkon, der in den Garten führte. Ich schlich mich daher einige Minuten später aus dem Schlafzimmer und lief so rasch wie möglich in den Garten, von wo aus ich die Eltern begrüßte. Wie ich dann mein Gratulationsgedicht hergesagt habe, weiß ich nicht. Mein Vater hielt meine Verwirrung für Rührung. Konnte ich doch meine Eltern nicht ansehen, weil ich den Gedanken daran nicht loswerden konnte, wie ich sie vor wenigen Minuten bei einer ganz anderen Beschäftigung beobachtet hatte. Der Vater küßte mich und die Mutter; aber welch eine andere Art von Kuss war das! So kalt, so förmlich! Auch die Mutter küßte den Vater. Aber wie hatte ich sie vorher küssen sehen! Ich war so verwirrt und verlegen, daß es endlich meinen Eltern auffiel. Ich schützte Kopfweh vor, weil ich mich nur danach sehnte, auf mein Zimmer zu kommen und allein zu sein, denn ich vermochte keinen anderen Gedanken zu fassen, als das so unerwartet Gesehene zu ergründen und möglichst selbst Versuche anzustellen. Der Kopf brannte mir wie Feuer, und das Blut jagte mir fast fühlbar durch die Adern. Meine Mutter meinte, ich sei wohl zu fest geschnürt. Das war eine willkommene Gelegenheit, mich in meinem Zimmer auskleiden zu können, und das tat ich auch mit einer solchen Eile, daß ich fast alles zerriß. Wie aber war mein unreifer Körper so wenig schön im Vergleich zu der vollendeten Schönheit meiner Mutter! Kaum rundete sich bei mir, was bei ihr üppige Formen angenommen hatte. Daß man jedoch so außer sich geraten, so alle Besinnung verlieren könne, wie ich es bei meiner Mutter gesehen hatte, das konnte ich nicht begreifen. Ich schloß daraus, daß zu solcher Wollust ein Mann gehöre, und verglich in Gedanken den Prediger mit meinem Vater: ob er sich wohl mit seinem ernsten Wesen auch nur so verstellte, wie sich offenbar mein Vater gegenüber uns verstellte? Ob er wohl auch so feurig, so wollüstig, so besinnungslos wird, wenn er sich mit seiner Frau allein befindet? Ob er sich wohl mir gegenüber auch so verhalten würde, wenn ich das täte, was meine Mutter getan hatte? In einer Stunde war ich zehn Jahre älter geworden. Schon damals war ich in allen Dingen ungemein systematisch. Ich führte Tagebuch, hielt Rechnung über meine kleinen Einnahmen und Ausgaben und schrieb alles Mögliche auf. So kam ich denn auf den Gedanken, mir erst alle Worte aufzuschreiben, die ich gehört hatte; aber vorsichtig auf einzelne Papierschnitzel, damit niemand daraus klug werden könnte. Dann dachte ich über alles nach und baute mir ein Phantasieschloss zurecht.

      Erstens hatte die Mutter sich schlafend gestellt und sich so zurechtgelegt, daß der Vater das tun mußte, was sie wünschte. Das hatte sie offenbar in der Absicht getan, daß der Vater nicht merken sollte, was sie wollte. Sie war also die Verlangende, wollte aber nur als die Gewährende erscheinen. Sie hatte sich ferner den Spiegel so zurechtgerückt, daß sie durch den Anblick doppeltes Vergnügen haben mußte. Auch mir hatte das Spiegelbild mehr Vergnügen gemacht als die Wirklichkeit, weil ich Dinge ganz deutlich sah, die ich sonst nicht hätte sehen können. Aber auch das hatte sie vor dem Vater verborgen. Sie hatte ihm also nicht eingestehen wollen, daß sie mehr genoß als er. Endlich hatte sie ihn gefragt, ob er nicht bis heute Abend warten wollte, während sie doch alles vorbereitet hatte, um gleich morgens zu genießen, was sie wünschte. Was bedeuteten all die merkwürdigen Worte, die sie in höchster Sinnesverwirrung gebraucht hatte, oder wohl besser: die Ausdruck der Sprache ihrer Sinnlichkeit waren? Vergebens zerbrach ich mir den Kopf, was das wohl alles bedeuten könnte. Ich mag gar nicht schreiben, welch widersinnige Erklärung ich damals fand. Bei aller gewöhnlichen Schlauheit junger Mädchen ist es erstaunlich, wie lange sie über Dinge im dunkeln tappen und wie selten sie dabei gerade auf die einfachste und natürlichste Erklärung kommen.

      Das Küssen war jedenfalls nicht die Hauptsache, sondern nur eine Vorbereitung gewesen, obgleich die Mutter offenbar gerade dabei das größte Vergnügen gehabt hatte.

      Kurz, es gab so viel zu denken, daß ich den ganzen Tag nicht zur Ruhe kam. Fragen wollte ich niemanden, denn da die Eltern das alles so vorsichtig verborgen hatten, so mußte es wohl etwas Unschickliches sein. Wir bekamen viel Besuch den Tag über, und am Nachmittag kam auch mein Onkel mit seiner Familie in die Stadt. Er brachte meine Tante, meine Cousine, ein zehnjähriges Mädchen, meinen Vetter von sechzehn Jahren und eine französische Gouvernante aus der Schweiz mit. Da mein Onkel am nächsten Tag noch Geschäfte in der Stadt hatte, so blieben sie die Nacht bei uns. Meine Cousine und ihre Gouvernante mußten in meinem Zimmer schlafen. Dazu wurde noch ein Bett aufgeschlagen und neben das meinige gestellt. Dort sollte Marguerite, die Gouvernante, meine Cousine aber mit mir zusammen in einem Bett schlafen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich im Bett der Gouvernante hätte schlafen können, denn sie war ein sehr lebhaftes Frauenzimmer, achtundzwanzig Jahre alt und nie um eine Antwort verlegen. Von ihr hätte ich vielleicht eine Belehrung erhalten können, obgleich ich nicht wußte, wie ich es anfangen sollte, sie zu fragen, da sie doch eine Erzieherin war und meine kleine Cousine sehr streng hielt. Aber ich dachte mir, die Vertraulichkeit des Zusammenliegens in einem Bett würde schon eine Gelegenheit herbeiführen, und machte tausend Pläne. Als die Zeit zum Zubettgehen herangekommen war, fand ich Marguerite schon in unserem Schlafzimmer vor. Sie hatte eine spanische Wand zwischen die beiden Betten geschoben, so daß die Schlafenden vollkommen voneinander getrennt waren. Sorgfältig brachte sie uns beide zu Bett, ließ uns unser Nachtgebet hersagen, nahm dann die Lampe auf ihre Seite mit hinüber, wünschte uns Gute Nacht und ermahnte uns, bald einzuschlafen. Das hätte sie bei meiner Cousine gar nicht nötig gehabt, denn kaum unter der Decke, war sie auch schon eingeschlafen; bei mir aber war von Schlafen gar keine Rede. Allerlei Gedanken gingen mir im Kopf herum. Ich hörte Marguerite noch einige Zeit herumwirtschaften, sich dann ausziehen und das Nachtkleid anlegen. Ein schwacher Lichtschein durch die spanische Wand zeigte mir eine kleine, kaum einen Stecknadelkopf große Öffnung, und schnell hatte ich eine Haarnadel zur Hand, um das Loch unbemerkt größer zu machen, so daß ich mich im Bett nur etwas hinabzuschieben brauchte, um ganz bequem zu Marguerite hinübersehen zu können. Sie hatte eben das Hemd ausgezogen, um das Nachthemd anzuziehen. Ich sah freilich keinen so schönen Körper wie den meiner Mutter, aber eine kleine, sehr wohlgeformte Brust und geschlossene Schenkel. Ich hatte kaum eine Sekunde Zeit für das Beschauen, denn rasch warf sie das Nachthemd über, setzte eine Haube auf und holte aus ihrem Reisesack ein Buch, mit dem sie sich an einen Tisch gegenüber dem Bett setzte und zu lesen begann.

      Kaum aber hatte sie einige Minuten gelesen, als sie aufstand,


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