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Kranichschwingen. G. K. RuedigerЧитать онлайн книгу.

Kranichschwingen - G. K. Ruediger


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gegen die von allen Virologen empfohlenen Schutzmaßnahmen konnte er nicht verstehen, auch wenn dies die offensichtliche Spaltung der Gesellschaft nur verdeutlichte.

      Wenn er die Sache nüchtern betrachtete: Die gesellschaftliche Situation in seinem Land war letztlich doch bereits seit der Wiedervereinigung angespannt. Kanzler Helmut Kohl hatte den Neubürgern aus dem Osten blühende Landschaften versprochen, erhalten hatten sie prekäre Lebensverhältnisse, welche ihr Wahlverhalten zunehmend radikalisierten. Die wenigen Super-Reichen in der erweiterten Republik wurden, seit der damalige Kanzler Schröder seine unsozialen Reformen durchs Parlament gepeitscht hatte, wie überall in Europa, immer reicher, die Boni für erfolglose Manager schossen ins Astronomische, während Kleinbürgertum und Mittelstand zunehmend verarmten. Carsten konnte das relativ gleichgültig sein, hatte er doch trotz Scheidung einen Großteil seines väterlichen Erbes gerettet und sicher vor der gierigen Hamburger Krake auf wohl verborgenen Schweizer Konten angelegt.

      Und später dann kamen sie – die Flüchtlinge. In Massen. Hunderttausende flohen vor Krieg und Bürgerkrieg, vor Fassbomben und IS-Terror, vor Versklavung und mittelalterlicher Rechtsprechung radikalisierter Muslimbrüder, später vor den wiedererstarkten Taliban im vom Westen fluchtartig verlassenen Afghanistan. Aus anfänglicher Willkommenskultur erwuchsen bald schon neue Vorurteile, neue Ablehnung, erwuchs neuer Rassismus.

      In seiner übersichtlichen Stadt am Bodensee fielen sie zunächst nicht großartig auf; erst als sie nach der Erfassung im Aufnahmelager auf einigermaßen zivilisierte Unterkünfte verteilt worden waren, begannen sie nach und nach das Straßenbild zu prägen: Frauen mit Kopftuch, Frauen im Nikab, Frauen in orientalischen Gewändern, dunkelhäutiger als Europäer, verunsicherten, ebenso wie deren stolze Männer, die braven Bürger, die sich zunächst so viel auf ihre Willkommenskultur zugutegehalten hatten, ließen Ressentiments sprießen, vor allem bei denjenigen, die sich ohnehin zu kurz gekommen fühlten. Wie vor Jahrhunderten beim die Stadt überflutenden Konzil fühlten sich die Einheimischen überrannt. Plötzlich bekamen längst überwundene Ängste wieder Konjunktur, politische Glücksritter nutzten die Gunst der Stunde für Agitprop wie zu besten NS- oder DDR-Zeiten, nur dass das Pendel diesmal wieder nach rechts ausschlug. Die aufwallende Pandemie lenkte endlich vom neuen, künstlich geschaffenen Feindbild ab, ließ die selbsternannte politische Elite aus Querdenkern, Rechtsideologen, sogenannten Reichsbürgern, und Identitären ihre vermeintlich bedrohte Freiheit gegen das neu gewonnene Feindbild der Corona-Einschränkungen aggressiv verteidigen. Flüchtlinge gerieten da in Vergessenheit – der Staat wurde zum Feind.

      Zum ersten Mal gesehen hatte er sie kurz vor Beginn der Pandemie in seinem Edeka-Markt, in welchem der Flüchtlingsbeauftragte der Stadt ihr für Mindestlohn ein paar Stunden als Putzfrau vermittelt hatte: Fatima aus Syrien. Das kleine Mädchen, das sich stets in ihrer Nähe aufhielt, schien ihre Tochter zu sein, Tulum, wie er später erfuhr. Akribisch wischte diese stille junge Frau die Regalböden sauber, nicht das geringste Staubkörnchen entging ihren flinken, wachen, dunklen Augen, die so ernst in die Welt blickten. Erst beim zweiten Aufeinandertreffen war ihm aufgefallen, dass sie gegen die landläufige Erwartung kein Kopftuch trug, das rabenschwarze, lockige, volle Haar zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden bändigte.

      Ihr nächstes Aufeinandertreffen fand schon in den Wochen der Pandemie zwischen den Regalen mit fernöstlichen Gewürzmischungen und den sich daran anschließenden Alkoholika statt. Er studierte durch seine wegen der Gesichtsmaske ständig beschlagenen Brille eben die diversen Angebote an fertiger Kokosmilch aus der Dose, als er von einem lauter werdenden Stimmengewirr abgelenkt wurde. Bei einem eher flüchtig-neugierigen Blick um die Regalecke sah er drei Jugendliche sich intensiv um die junge Frau kümmern: verbale, zotige, nicht stubenreine Beleidigungen wurden ihr an den Kopf geworfen, während insbesondere der korpulenteste der drei mehr oder minder adipösen Spätpubertierenden ihr auf den Leib rückte und sie gegen das Regal drücken wollte. Alle Masken der eingebildet Starken hingen auf Halbmast, was keinen im Markt zu scheren schien, an den gebotenen Sicherheitsabstand dachten sie nicht im Traum. Carstens Eingreifen erfolgte spontan und vermutlich deshalb auch so wirkungsvoll. Er packte den kleinen Dickwanst am Unterarm und drehte ihm diesen gekonnt auf den ebenso wulstigen Fettrücken, fauchte: Verschwindet sofort und lasst diese Frau in Ruhe, sonst setzt es ein paar heiße Ohren. Und setzt eure Masken auf!

      Als der Jungbulle zu einem Schwinger ausholen wollte, erhielt er den Satz Ohrfeigen, den ihm längst während seiner versäumten Erziehung ein anderer hätte verabreichen sollen, um ihn zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft statt einem Jungkriminellen werden zu lassen. Die Meute stob davon, aus ängstlichen Augen sah ihn die junge Frau dankbar an.

      Danke, Sir, war das Einzige, was sie hervorbrachte, ehe sie in Tränen ausbrach. Und ihm, der schon so lange allein und ohne jeglichen engeren zwischenmenschlichen Kontakt gelebt hatte, fiel in diesem Moment nach kurzem Zögern das einzig Richtige ein. Er nahm die Verschüchterte, Zitternde an der Hand, Corona-Regeln hin oder her, fasste mit der anderen das Kind und spazierte mit den beiden in die angrenzende Cafeteria, wo er sie zu einem Tee und einem Plunderstückchen einlud. Die Tische standen in ausreichender Entfernung von anderen Besuchern, sodass sie hier die Masken absetzen durften. Jetzt konnten die Tränen ungehemmt fließen. An der Kasse hatte er Bescheid gegeben, weshalb kurz darauf der Geschäftsführer auftauchte und sich hinter seiner Billigmaske fürchterlich über diesen Eingriff in die Betriebsabläufe aufregte. Dass er selbst nicht für Sicherheit in seinem Unternehmen sorgen konnte, blieb unerwähnt. Typisch Platzhirsch hinter blauer Einfachmaske. Carsten beachtete ihn nicht.

      Spontan bot er der jungen Frau eine Stelle als Haushaltshilfe in seinem Haus an – Putzen war ohnehin eine ihm verhasste Tätigkeit. Lieber saß Carsten bis Börsenschluss vor dem PC und entschied, je nach Kursverlauf, über An- beziehungsweise Verkäufe von Wertpapieren. Er pflegte schon lange das Homeoffice dem geselligeren Treiben dort draußen vorzuziehen. Aktiendeals ließen sich so problemlos abwickeln. Das war seine Welt, in der er sich sicher fühlte, seine Kontostände zeigten, dass er durchaus ein Händchen für die Börse hatte. Die übrige Zeit verbrachte er entweder auf seinem Boot oder mit langen Spaziergängen und Wanderungen, mitunter ins nahe gelegene Allgäu oder auf den Bodanrück.

      Die Anstellung regelte er mit dem zuständigen Flüchtlingsbetreuer, Fatima war als Flüchtende vorübergehend anerkannt und durfte mindestens für die nächsten zweieinhalb Jahre bleiben. Eine beschränkte Arbeitserlaubnis hatte sie erhalten. Sie kam seit diesem ereignisreichen Tag drei Mal in der Woche zu ihm, brachte, und darüber war sie sehr froh, ihre kleine Tochter mit, die sich schnell mit Carsten anfreundete. Er besorgte dem Mädchen allerhand Spielzeug aus einem der Läden im Zentrum, recht nahe am Bahnhof, begeisterte sich daran, wie die kleine Tulum Interesse an Technik-Spielsachen zeigte.

      Carsten, den viele in seinem Bekanntenkreis bisher für einen kinderfeindlichen Hagestolz gehalten hatten, fing an, dieses kleine Mädchen mit den großen, fast schwarzen Murmelaugen zu lieben; er vermisste sie an den Abenden, an denen er allein in seinem, für einen Menschen viel zu großen Haus regelmäßig Selbstgespräche führte. Und er vermisste zunehmend die angenehme Ruhe, die von Fatima ausging, wenn sie bei ihm Fenster putzte oder Wäsche bügelte, leise vor sich hin summend. Es war augenfällig, dass auch sie zunehmend entspannter war, ihn jedes Mal an der Haustür mit einem Lächeln begrüßte, einem Lächeln, wie er es bei seiner geldgierigen Ex schon kurz nach den Flitterwochen für ewig vermissen musste.

      Es war an jenem letzten Freitag im November, alle rechneten bereits mit dem nächsten Lockdown, es war jeweils der dritte Tag, an dem es im Haus eigentlich nichts mehr zu putzen gab, weshalb er sie immer zu einem Tee, später gar zu einem gemeinsamen Mittagessen einlud, als ihm auffiel, dass sich Fatima, nachdem das saubere Geschirr aus der Spülmaschine geräumt und die gesamte Küche blitzblank gescheuert war, noch immer an der Spüle zu schaffen machte. Ihr Deutsch war dank seiner Unterstützung inzwischen derart verfeinert, dass sie sich besser als manch weniger versierte Einheimische, die Deutsch als ihre erste Fremdsprache erlernt hatte, verständigen konnte, und deshalb fragte er sie geradeheraus, ob sie mit etwas ein Problem habe. Tulum hielt im Wohnzimmer auf der Couch ihren Mittagsschlaf, als er erkennen musste, wie heftig Fatima mit den Tränen zu kämpfen hatte.

      Sie habe keine Probleme, meinte sie zunächst. Als er nachhakte, sie sogar zum ersten Mal in den Arm nahm, Abstand hin oder her, ließ sie den Kopf auf seine


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