Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna OberlinnerЧитать онлайн книгу.
eine die Autorsubjektivität (und die Ausrichtung auf einen impliziten Leser) berücksichtigende mit der für ihn zentralen leserorientierten Perspektive, bei der durch den Akt der Rezeption erst die Bedeutung des Textes konstituiert wird.55 Für die Analyse der Remedia ist der auf den Leser ausgerichtete Ansatz beispielsweise insofern wichtig und anwendbar, als Ovid durch die intentional primär-naive Lesart der Lesbia- und Juventius-Zyklen die instabile Haltung der Catull’schen Persona sichtbar macht. In der Art, mit der diese Figur zu einem Negativbeispiel für die Schüler der Remedia wird, verleiht Ovid dem Intertext der Carmina somit neue Bedeutung.
Noch stärker auf den Leser ist Edmunds fixiert, der in ihm die Intertextualität überhaupt erst lokalisiert:56 Intertextuelle Anspielungen würden erst beim Lesen erschaffen, ohne dass sie vorher ‚a priori‘ bestünden oder eine „linguistische oder semiotische Basis“ hätten“57; es gebe also auch keine im Text zu lokalisierenden Marker.58 Auch wenn Edmunds grundsätzliche Autorintentionen, besonders in lateinischer Dichtung, nicht verneint, problematisiert er die Sicht, Anspielungen auf die Dichterfigur zurückzuführen.59 Vielmehr werde Intertextualität durch den Sprecher bzw. die Persona eines Gedichts „aktiviert“, und zwar im Leser selbst.60 Das Problem, das sein leserbasierter Ansatz mit sich bringt – so führe es zu Unsicherheit bei der Bestimmung intertextueller Bezüge –, löst Edmunds dadurch, dass er die Entscheidungshoheit über die „validity of a reading“ bei der zuständigen, kritischen „interpretive community“, bei lateinischer Dichtung den klassischen Philologen, sieht.61 Obwohl ich die Rolle des Lesers z. B. für die genannte Catullrezeption ebenfalls als wichtig erachte, erscheint mir Edmunds’ Position teils zu extrem. Denn die Referenz Ovids manifestiert sich deutlich in lexikalisch markierten Anspielungen, die zugleich einen überprüfbaren Beleg für den intertextuellen Bezug darstellen.
Edmunds’ Definition von Intertextualität besteht darin, dass sich in einem target text (T1) quotations62 (Q1, mit Q2 als Quelle) von Wörtern eines source text (T2) finden, wodurch der context des quoted text (C2) einen neuen context (C1) erhält.63 Es gebe drei Arten, auf die eine quotation (Q1) den Kontext des ursprünglichen Textes (C2) hervorrufen könne: Durch die Erweiterung des Kontextes in C1, durch eine „continuous relation between C1 and C2“ und durch Parodie, „in which T1 repeats or closely follows a particular T2“.64 In dieser Hinsicht ist Edmunds für meine Untersuchung wesentlich, da Parodie als intertextuelles Phänomen für Ovids Umgang mit Lukrez, Horaz und Catull in seinen Remedia amoris zentral ist.
Die moderne Intertextualitätstheorie ist jedoch nicht der einzige literaturtheoretische Rahmen für die Textarbeit. Da für die Beschreibung der Beziehung eines Textes zu Prätexten, auch für die Bezugnahme späterer Autoren auf Werke ihrer Vorgänger (etwa in der „Sukzessionsreihe Ennius – Lukrez – Vergil – Ovid – Lukan – Statius“)65 bereits Begriffe wie Imitation, Anspielung, Adaption und aemulatio etabliert sind,66 muss nach dem spezifischen Nutzen der Intertextualitätsforschung, die grundsätzlich mit diesen traditionellen philologischen Analyseinstrumentarien vereinbar ist, gefragt werden.67 Ihr Vorteil besteht nun darin, dass bestimmte Assoziationen mit den aus der antiken Rhetorik und Poetik überlieferten und angewandten68 Termini imitatio und aemulatio keine Gültigkeit haben. Denn sie implizieren in der Rezeption durch moderne Literaturkritik oft eine als vorbildlich geltende Textvorlage und können dazu führen, dass man literarische „Nachahmer“ tendentiell zu „Epigonen“69 herabsetzt, während bei der Intertextualitätsforschung verstärkt die Selbstständigkeit der Textproduktion und ihre neue Interpretation der bestehenden literarischen Tradition akzentuiert und untersucht werden.70 Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass sich aus antiker Sicht Originalität und die formale und stoffliche Nachahmung mit folgender ‚nacheifernder Überbietung‘, die auf eine bewusst eigene Leistung verweist,71 nicht ausschließen.72 Römische Literaturproduktion fußte auch im Selbstverständnis der Zeit auf der „kreative[n] m[imesis] (imitatio) der Autoren“, bei der „schöpfendes Nacheifern […] bis zum Wettstreit gesteigert wird (aemulatio).“73 Die explizit in der Antike reflektierten Begriffe imitatio und aemulatio sind also insofern nicht zu übergehen, als sie fundamentale intertextuelle Phänomene beschreiben.74 Der modernere Begriff der Intertextualität denotiert dabei die Bezugnahme eines Textes auf einen anderen, oder sogar den Dialog, in den ein Text mit einem zweiten treten kann. Imitatio und aemulatio bezeichnen die konkreten Formen dieser Referenzen, etwa die (überbietende) Nachahmung einzelner Worte, Motive, Topoi, Strukturen etc.75 Die Ergänzung und Erweiterung der antiken Termini mit dem neueren literaturkritischen Begriff bringt – neben der grundsätzlichen ‚Offenheit‘ der Intertextualitätsforschung – zusätzlich den Vorteil, dass parodietheoretische Überlegungen in diese Forschungsperspektive eingegliedert werden können. Eine Arbeitsdefinition von Parodie ist meinen Ausführungen deshalb vorangestellt.
3.2 Parodie in der Antike und der modernen Literaturkritik
Als ‚neuere‘ und zugleich grundlegende Untersuchung parodistischer Verfahrensweisen kann Roses Monographie (1993) gelten, da Rose in ihrer diachronen Betrachtungsweise, die Texte und Konzepte von der Antike bis zur Gegenwart umfasst, die spezifische, historische Verankerung antiker Texte berücksichtigt.1 Die von ihr vorgeschlagene Begriffsbestimmung sei aber ergänzend mit den Parodiedefinitionen von Verweyen/Witting und Stocker abgeglichen, wobei ich vorab auf die grundsätzliche Übereinstimmung der Forscher hinweisen möchte.
Rose definiert Parodie allgemeingültig als „the comic refunctioning of preformed linguistic or artistic material“2, was sich auch mit den Ausführungen bei Verweyen/Witting deckt. Ihnen zufolge werden „charakteristische Merkmale eines Stils übernommen […], [damit] die jeweils gewählte(n) Vorlage(n) durch Komisierungsstrategien wie Unterfüllung und/oder Überfüllung herab[gesetzt werden]“3. Der Aspekt der Komik findet in Aussagen zeitgenössischer antiker Kritiker oder Scholiasten Bestätigung, da diese darauf hindeuten, dass parodistischen Texten grundsätzlich komische Effekte zugesprochen wurden und dass ‚schärfere‘ Formen des Humors wie „ridicule or mockery“ nur als Zusatzcharakteristika spezifischer Einzeltexte wahrgenommen worden seien.4 Der zweite Aspekt, die Umwandlung bestehenden sprachlichen Materials, beschreibt das Verhältnis des parodierenden Textes zu seinem Ausgangs- bzw. Zieltext, der quasi per definitionem Teil der Parodie und eng mit dieser verbunden ist.5 Dabei entstehe eine „comic incongruity“ zwischen Parodie und Original, wobei ein grundsätzlich ambivalentes Verhältnis zur Vorlage – Wertschätzung/Achtung des Ausgangstextes und gleichzeitig parodierende Erneuerung – zu erkennen sei, das je individuell von Kritik, von Sympathie oder kreativer Erweiterung geprägt sein könne.6 Wichtig ist Rose zufolge – worin ich ihr auch zustimme –, dass die Herabsetzung des parodierten Textes keineswegs als Prämisse für die Bezeichnung eines Textes als Parodie zu gelten habe. Damit verweist Rose auf moderne Reduktionen des Begriffs, denen zufolge Parodie in negativer Manier ein Typus des Burlesken sei, der destruktiven Charakter habe und mit Spott angereichert sei7 – also auf Verkürzungen, die in der Mehrdeutigkeit der Präposition παρά begründet liegen. Denn je nachdem, ob man παρά mit „nach dem Vorbild von“ oder „wider, im Gegensatz zu“ übersetzt, verschiebt sich die Bedeutung des terminus technicus, wie Verweyen/Witting betonen.8
Als Beispiel für die Verengung des Begriffs auf ein polemisches Verhältnis zwischen Parodie und Ausgangstext nennt Rose vor allem Michael Bachtin in dessen Fortführung von Ansätzen russischer Formalisten, die aufgrund ihrer Prominenz in (post-)moderner Rede über Parodie hier zumindest kurz zu berücksichtigen sind:9 Erachte Viktor Šklovskij die Parodie in einer „formalistischen Reduktion“ zunächst als „Verfremdungseffekt für das Aufdecken“10 künstlerischer Verfahrensweisen,11 trenne Jurij Tynjanov, radikaler als sein Vorgänger, das Element der Komik ganz vom Wesen der Parodie.12 Darüber hinaus bestimme er als „the very essence of parody […] its dual planes“, also die Ambiguität, die darin besteht, dass die Parodie den Zieltext schätzen und ihn gleichzeitig parodieren könne.13 Michail Bachtin wiederum beschreibt einen formalistischen und einen karnevalistischen Parodiebegriff, wobei er für ersteren komische Elemente nicht einmal erwähnt und hinter dem zweistimmigen Sprechen,