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C'est la vie. Rebekka HaefeliЧитать онлайн книгу.

C'est la vie - Rebekka Haefeli


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Therapien gegen die Metastasen ab. Sie klagt über starke Schmerzen im Rücken und äussert einen starken Sterbewunsch. Die zuständige Pflegefachfrau berichtet, Frau Rutschmann esse seit Tagen nichts mehr, trinke aber weiterhin viel. Die Oberärztin Schlau fragt während der Vorbesprechung der Visite, ob der Sterbewunsch der Patientin depressiv bedingt oder auf ihren körperlichen Zustand zurückzuführen sei. Roland Kunz lässt sich von der Assistenzärztin die Laborwerte am Computer zeigen.

      Kunz betrachtet die Werte und folgert daraus: «Sie wird wohl nicht die Nächste sein, die stirbt.» Frau Rutschmann habe zwar Metastasen in den Knochen, «aber nichts, das unmittelbar ans Lebendige geht.» Genau das versucht er während der Visite auch mit der Patientin zu besprechen. Frau Rutschmann liegt angezogen und perfekt frisiert auf dem Bett, als wollte sie das Spital gleich verlassen. «Was bringt das noch?», fragt sie Kunz mit leiser Stimme, und er fragt zurück: «Mögen Sie nicht mehr?» Die Patientin erzählt, Verwandte in ihrer Heimat, die ebenfalls sterbenskrank gewesen seien, hätten von den Ärzten «eine Überdosis» bekommen. Sie fragt, warum ihr der Arzt «nicht einfach eine Spritze geben» könne, damit sie sterben könne.

      «Jede Krebserkrankung ist anders», erklärt Kunz. «Bei Ihnen sitzt der Tumor vor allem in den Knochen. Ich kann verstehen, dass es für Sie schwer ist. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange es dauert, bis Sie sterben können. Wenn Sie die Kraft nicht mehr haben, zu warten, ist eine Sterbehilfeorganisation der einzige Ausweg.» Der Pflegefachfrau hat Frau Rutschmann erzählt, sie sei Exit-Mitglied, müsse aber «zu lange» warten, da sie erst seit Kurzem Mitglied sei und eine Frist abwarten müsse.

      Kunz beugt sich näher zum Bett und zur Patientin. «Wir können Ihnen grosszügig Schmerzmittel verabreichen, aber wir können Ihnen keine Spritze geben, um Ihr Leben zu beenden», sagt er. Frau Rutschmann greift nach einem Papiertaschentuch auf dem Nachttisch, schnäuzt sich die Nase und entschuldigt sich sogleich dafür. «Seit wann geht es Ihnen so schlecht, dass Sie das Gefühl haben, es nicht mehr auszuhalten?», will der Arzt schliesslich wissen. «Ungefähr eine Woche», flüstert Frau Rutschmann, und Kunz verspricht ihr, bald wieder vorbeizukommen. Die Patientin soll der Pflege in der Zwischenzeit ihre Exit-Anmeldung aushändigen und den Namen ihrer Kontaktperson bei der Sterbehilfeorganisation angeben. Er will sich darum kümmern.

      Auf dem Gang diskutieren die zwei Ärztinnen und der Arzt die Möglichkeit, Frau Rutschmann von einem Psychiater begutachten zu lassen, beziehungsweise ihr ein Antidepressivum zu geben. Währenddessen ist eine junge Pflegefachfrau auf dem Korridor damit beschäftigt, einen Toilettenstuhl mit einer Vertiefung für den Nachttopf zu reinigen und zu desinfizieren. Kunz vermutet im Fall von Frau Rutschmann, dass die Aussicht, nicht mehr selbstständig nach Hause zurückkehren zu können, bei der Patientin den Sterbewunsch ausgelöst hat. Er erwähnt in der Diskussion mit den Kolleginnen allerdings die Möglichkeit, dass ein Psychiater, der die Situation nicht genau kennt, Frau Rutschmann als suizidal einstufen könnte, was Kunz anders einschätzt und was zur Folge haben könnte, dass für die Frau eine fürsorgerische Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet würde: eine Massnahme, die in den Augen des Chefarztes die Lebensqualität der schwer kranken Patientin massiv einschränken würde.

      Die Lösung des Problems wird vertagt; ohnehin braucht es noch die Abklärungen bei Exit. Als Nächstes widmen sich Roland Kunz und seine zwei Kolleginnen den momentan einzigen zwei männlichen Patienten auf der Station. Der Erste, Herr Knobel, ist ein besonderer Fall, denn er ist nicht nur schwer krebskrank, sondern leidet auch an einer kognitiven Beeinträchtigung. Was genau die Ursache für diese geistige Einschränkung ist – ob er sie bereits seit der Geburt hat, sie einem Unfall oder einem Suizidversuch in jüngeren Jahren geschuldet ist –, bleibt unklar und geht aus der Patientenakte nicht hervor. Herr Knobel lebt normalerweise in einer Wohneinrichtung mit Betreuung.

      Der sechzigjährige Mann leidet an Prostatakrebs, der Ableger in den Knochen gebildet hat, und zudem ist seine Nierenfunktion stark eingeschränkt. Er hat massive Ödeme, also Wassereinlagerungen an den Beinen, sowie vergrösserte Lymphknoten. Die Entzündungswerte – das zeigt die Laborauswertung der Blutproben – sind erhöht. Ihm wurde ein Dauerkatheter eingelegt, denn Herr Knobel kann im Bett nicht Wasser lösen. «Es ist schwierig, wichtige Dinge mit ihm zu besprechen», sagt die Assistenzärztin im Gespräch vor der Visite. «Er ist sehr dankbar für alles, klagt aber über starke Schmerzen im Intimbereich und am Rücken.»

      Zur Visite kommt eine Tumorspezialistin dazu. Herr Knobel liegt auf dem Rücken, er berichtet über Schmerzen am Penis und am Rücken. Der Katheter sei unangenehm, sagt er. Dann fragt er, ob er ein Red Bull bekommen könne. Die Oberärztin verspricht ihm, sich darum zu kümmern. Roland Kunz verlässt kurz das Zimmer, um zu telefonieren. Die Tumorspezialistin erklärt Herrn Knobel, dass der Krebs weiterhin Probleme mache. Sie fragt: «Haben wir Sie richtig verstanden, dass Sie möchten, dass wir die Schmerzen lindern, Sie sonst aber keine weitere Behandlung wie beispielsweise eine Chemotherapie wünschen?» Es ist nicht klar, ob Herr Knobel die Frage richtig verstanden hat. «Man darf nichts erwarten», sagt er mehrmals, und fügt dann an: «Vielleicht könnte man das Leben noch etwas verschönern?» Seine Antwort – in Form einer Frage formuliert – könnte unter anderen Umständen in Anbetracht der reinen Frauenrunde, die jetzt am Bett des Patienten sitzt, anzüglich klingen. Die Oberärztin fragt ihn, wie er das meine, worauf Herr Knobel erneut eher fragend antwortet, eventuell könnte er sich einmal in den Rollstuhl setzen. «Haben Sie die Kraft dazu?», fragt die Tumorspezialistin. – «Ich habe kaum noch Kraft. Ich bin müde.»

      Die Visite ist noch nicht zu Ende, aber es ist bereits Mittag. Nach einem schnellen Mittagessen, das sie in der Kantine des Spitals einnehmen, kehren Chefarzt Roland Kunz, die Oberärztin und die Assistenzärztin zurück auf die Abteilung. Sie stehen vor einer weiteren Türe zu einem der Patientenzimmer. Kunz, der das Trio anführt, klopft an. Es ist das Zimmer von Herrn Zindel, einem knapp sechzigjährigen Patienten, dem ein Krebsgeschwür am Übergang der Speiseröhre in den Magen herausoperiert wurde. Der Eingriff liegt fünf Jahre zurück. Seither war Herr Zindel sehr zurückhaltend, was weitere Therapien angeht, und es haben sich Metastasen in verschiedenen weiteren Organen gebildet. Aus den Krankenakten geht hervor, dass man den Patienten bei sich zu Hause, «eingenässt und eingestuhlt», am Boden aufgefunden hatte, bevor man ihn ins Spital brachte.

      Zunächst ist unklar, ob er einen epileptischen Anfall oder einen Schlaganfall erlitten hatte. Roland Kunz vermutet, es könnten sich auch cerebrale Metastasen, also Krebsableger im Gehirn, gebildet haben. Der Patient selbst wünscht gemäss den Akten keine Behandlung. Die Pflegefachfrau hat in der Vorbesprechung berichtet, Herr Zindel verhalte sich abweisend, er höre Stimmen, leide unter Halluzinationen und nehme im Zimmer plötzlich nicht nachvollziehbare Bewegungen wahr. In der Krankengeschichte steht, der Patient habe früher viel Alkohol, Nikotin und Cannabis konsumiert.

      Als der Chefarzt mit der Oberärztin und der Assistenzärztin das Zimmer betritt, sitzt Herr Zindel am Tischchen beim Fenster. Er ist ein kleiner Mann, mager geworden und mit strubbeligen Haaren, einem wilden Bart. «Wie geht es Ihnen heute?», will Roland Kunz wissen. «Ich kann es nicht beurteilen», gibt der Patient zur Antwort. «Entweder geht es schlechter oder besser.» Er sagt, er merke, dass er nicht für voll genommen werde. «Ich höre es die ganze Zeit. Man geht davon aus, ich hätte Halluzinationen.» Kunz hört Herrn Zindel zu und fragt ihn dann, was seine Motivation sei, am Leben zu bleiben. Der Patient erwähnt etwas von seinen Kindern sowie von seinem Vater, der sich das Leben genommen habe. Die Antwort auf die Frage des Arztes erschliesst sich jedoch nicht aus dem, was er sagt.

      Frau Ahmadi, einer weiteren Patientin, geht es sehr schlecht an diesem sonnigen Dienstag. Das Leben der Mutter von drei erwachsenen Töchtern hängt an einem seidenen Faden. Frau Ahmadi ist Muslimin und stammt wie ihr Mann ursprünglich aus einem Land im Nahen Osten; die Familie lebt aber schon lange in der Schweiz. Die Fünfzigjährige leidet unter einem metastasierenden Mammakarzinom; Brustkrebs, der Metastasen im Gehirn und in der Lunge gebildet hat. «Die Patientin möchte noch sehr viel und hängt am Leben», berichtet die Oberärztin Hannah Schlau während der Vorbesprechung der Visite. Schlaus Aufgabe wird es sein, am Nachmittag das Gespräch mit der Familie am Runden Tisch zu leiten. «Die Familie weiss über die neusten diagnostischen Befunde bereits Bescheid», informiert sie die Kollegen. «Ich habe versucht, sie darauf vorzubereiten, dass es abwärts geht, auch wenn


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