"Darling Jane". Jane Austen – eine Biographie. Christian GraweЧитать онлайн книгу.
eine erbliche Geisteskrankheit geschlossen, weil ein Onkel Mrs. Austens geisteskrank war.
Edward, nicht gerade lernbegierig, aber liebenswürdig und kinderlieb, war das Glückskind der Familie. Er wurde von dem kinderlosen Sohn des schon erwähnten Thomas Knight adoptiert und erbte sein Vermögen und seine beiden Herrensitze Godmersham (Kent) und Chawton (Hampshire), hielt aber zeit seines Lebens weiterhin engsten Kontakt mit seiner Familie. Als künftiger wohlhabender Gentleman wurde er nicht zum Studieren nach Oxford, sondern von 1786–1788 auf eine zweijährige europäische Bildungsreise, die »Grand Tour«, geschickt, um sich Weltkenntnis und gesellschaftlichen Schliff anzueignen. 1794 starb Mr. Knight, und da seine Witwe 1797 nach Canterbury zog, kam Edward in den Besitz seines reichen Erbes und lebte meist auf dem großzügigen Landsitz Godmersham, einem 1737 errichteten stattlichen Bau. Nach dem Tod seiner Adoptivmutter 1812 nahm er mit seiner unterdessen zahlreichen Familie den Namen Knight an. Er hatte 1791 die hübsche, reiche und liebenswürdige Elizabeth Bridges geheiratet, deren Eltern Jane und Cassandra öfter auf ihrem Landsitz Goodnestone (Kent) besuchten und dann auch abwechselnd einen Abstecher nach Godmersham machten. Elizabeth gebar in 17 Ehejahren elf Kinder und starb 1808 bei der Geburt des letzten. Vor allem Cassandra hielt sich nun noch öfter in seiner Familie auf, um ihrem Bruder und seinen Kindern behilflich zu sein. Auch ein Teil von Janes Briefen an Cassandra ist in Godmersham geschrieben. Edwards älteste Tochter Fanny (geb. 1793) war Janes Lieblingsnichte, »fast wie eine zweite Schwester«. Edward lebte bis 1852.
Henry, Janes Lieblingsbruder, dem sie angeblich am ähnlichsten sah, war der heiterste, aber auch unbeständigste der Brüder. Er ging nach seinem Studium – wie in der Familie Austen üblich in Oxford – als Offizier zur Militia, der Armee, die den Heimatdienst tat und aus der die reguläre Truppe im Kriegsfall verstärkt wurde. Er trat 1791 als Leutnant ein und brachte es bis zum Obersten. Ende 1797 heiratete er seine zehn Jahre ältere Cousine Eliza Hancock, die man wohl hinter seiner Entscheidung vermuten darf, den Soldatenberuf aufzugeben und sich in London niederzulassen. Dort gründete er mit einem Partner ein Bankhaus, das 1807 durch einen dritten Partner vergrößert wurde und ihm in den nächsten Jahren zur Freude seiner gesellschaftlich versierten Frau ein elegantes Leben in London erlaubte. Jane war öfter bei ihm zu Besuch und genoss das kulturelle Leben in der Hauptstadt. Als sie sich 1811 bei ihm aufhielt, fand in seinem Haus gerade eine große Abendgesellschaft mit fast 70 Gästen statt, die sogar in der Gesellschaftsspalte der Times erwähnt wurde. Mit seinen geschäftlichen Erfahrungen war er Jane bei der Publikation ihrer Romane behilflich. 1813 wurde er auf den ehrenvollen Posten des Steuereinnehmers der Grafschaft Oxfordshire berufen. Aber dieses Leben auf großem Fuß hörte unvermittelt auf, als das Bankhaus ohne eigenes Verschulden bankrott ging und auch einige Familienmitglieder Geld verloren. Sie scheinen es mit Gleichmut getragen zu haben, denn Verstimmungen hat es darum anscheinend nicht gegeben. Henry heiratete nach dem Tod seiner Frau (1813) 1820 noch einmal, hatte jedoch keine Kinder. Er zahlte nach und nach gewissenhaft seine Schulden ab und musste deshalb ein anspruchsloses Leben führen. Er lebte bis 1850.
Cassandra war zeit ihres Lebens Janes Vertraute. Die Schwestern wuchsen zusammen auf und teilten bis zu Janes Tod ein Schlafzimmer. Dass Cassandras Briefe an Jane nicht erhalten sind, ist ein großer Verlust, denn Jane hielt ihre Schwester für eine glänzende, witzige Korrespondentin. Cassandra verlobte sich 1795 mit dem Geistlichen Thomas Fowle, der eine Pfarrstelle in Aussicht hatte und die Zeit bis zu ihrem Freiwerden dadurch überbrückte, dass er mit seinem Gönner Lord Craven als Kaplan in dessen Regiment nach St. Domingo in die Karibik segelte. Dort bekam er Gelbfieber und starb 1797. Cassandra hat nie geheiratet. Sie lebte weiter mit Mutter und Schwester und starb als letzte der drei 1845.
Francis Austen
Francis machte von den Brüdern die steilste Karriere: Er starb hochbetagt 1865 als Flottenadmiral Sir Francis Austen. Wie damals bei der Ausbildung der Marineoffiziere üblich, ging er 1786 schon als Zwölfjähriger auf die Marineakademie in Portsmouth, diente als Vierzehnjähriger auf verschiedenen Schiffen im Orient und war mit achtzehn Leutnant. Mit kurzen Unterbrechungen an Land war er erst als Offizier und dann als Kapitän auf den Weltmeeren unterwegs, denn der Krieg gegen Napoleon erforderte den ständigen Einsatz der britischen Flotte im Mittelmeer, im Atlantik, im Indischen Ozean und in der Nord- und Ostsee. Nur knapp verpasste Francis mit seinem Schiff 1805 die Seeschlacht von Trafalgar, nahm aber an der siegreichen Seeschlacht von St. Domingo in der Karibik am 6. Februar 1806 teil, wohin die englische Flotte die französische verfolgt hatte – auch Kapitän Wentworth in Überredung kämpft 1806 in der Karibik. 1806 heiratete er Mary Gibson, die eine von den Austen-Schwestern besonders geschätzte Schwägerin wurde, und mietete ein Haus in Southampton, das für Jane wichtig werden sollte. Francis hatte elf Kinder, bevor seine erste Frau 1823 starb. Drei seiner sechs Söhne folgten ihm in die Marine. Später heiratete er noch einmal, und zwar eine alte Freundin der Austen-Mädchen, Martha Lloyd, die sie ihm schon Jahrzehnte früher zugedacht hatten und deren Schwester Mary in zweiter Ehe mit James Austen verheiratet war. In der Marine war Francis bekannt als »der Offizier, der in der Kirche kniet«. Seine Genauigkeit, Ordnungsliebe und Ernsthaftigkeit sind durch allerlei Familienanekdoten belegt, so durch die folgende: Als Francis nach fünfjähriger Abwesenheit zum Uhrmacher ging, sah dieser sich seine Taschenuhr an und sagte: »Sie ist in ausgezeichneter Verfassung. Sie geht anscheinend überhaupt noch nicht falsch.« »Doch«, antwortete Francis, »sie geht falsch – um zehn Sekunden.« Francis wurde von Admiral Nelson sehr geschätzt. Im Seekrieg gegen die französische Flotte war er äußerst erfolgreich. 1801 besiegte er ohne Verlust eines einzigen Matrosen innerhalb von zwölf Stunden drei feindliche Schiffe, so dass sein eigenes Schiff voller Kriegsgefangener war. Park Honan hat 1988 in seiner Jane-Austen-Biographie zum erstenmal enthüllt, dass Francis in etwas dubiose Geschäfte mit der East India Company verwickelt war. Er transportierte auf seinem Schiff Ladungen von Silber. Da die Company Einfluss innerhalb der Marineführung hatte, war das nicht nur finanziell, sondern auch karrieremäßig vorteilhaft für Francis.
Obwohl das von den Schwestern besonders geliebte Nesthäkchen Charles mit seinem spontanen, lebhaften Naturell das Gegenteil seines Bruders war, folgte er ihm in den Fußstapfen. Auch er ging früh zur Marineakademie und wurde 1797 Leutnant. Er diente dann vor allem im Mittelmeer und vor der amerikanischen Küste. 1807 heiratete er die siebzehnjährige Tochter Fanny des Justizministers der Bermudainseln, mit der er vier Töchter hatte. Als sie 1814 auf dem Schiff ihres Mannes starb, heiratete er ihre ältere Schwester Harriet, die bei den Austens als gewöhnlich galt und nicht beliebt war. Mit ihr hatte er vier Kinder. Zwei seiner drei Söhne folgten ihm in die Marine. 1816 war seine Karriere in Gefahr. Sein Schiff Phoenix war im östlichen Mittelmeer, wo er die Aktivität von Piraten bekämpfen sollte, in einem Sturm untergegangen, aber das eingesetzte Kriegsgericht sprach ihn von aller Schuld daran frei. Er starb 1852 als Konteradmiral ebenfalls auf seinem Schiff in Burma. Nach allen Berichten war er nicht nur in der Familie, sondern auch im Beruf ein außerordentlich fürsorglicher und beliebter Mann.
II
Die Austens waren eine ausgesprochen gut aussehende Familie. Der Vater wurde während seiner Universitätszeit »der schöne Proktor« genannt und galt noch im Alter mit seinem vollen grauen Haarschopf als anziehende Erscheinung. Nur Henry und Jane hatten von ihrem Vater die ausdrucksvollen braunen Augen geerbt. Die Mutter war besonders stolz auf ihre »aristokratische Nase«. Die Bilder der erwachsenen Kinder zeigen mit dem kleinen Mund, der schmalen, leicht gebogenen Nase, den braunen Augen und dem gelockten Haar eine auffällige Familienähnlichkeit. Obwohl es von Jane nur einen möglicherweise nicht einmal echten Schattenriss und das von ihrer Schwester gemalte Aquarell gibt, kann man von ihrem genaueren Aussehen durchaus einen Eindruck gewinnen, wenn man die Bilder ihrer Brüder betrachtet. Besonders aufschlussreich ist die späte Daguerreotypie von Francis – das einzige Foto von einem der Austen-Geschwister. Das Aquarell von Jane, das Cassandra etwa 1804 malte, ist leider nur eine Rückenansicht, auf der das Gesicht nicht zu sehen ist. Von Cassandra gibt es leider nur zwei Schattenrisse. Vor allem Henry und Charles galten als ausgesprochen attraktiv. Die beiden Mädchen waren schlank und von überdurchschnittlich großer, eleganter Erscheinung. Die wenigen überlieferten Urteile über das äußere Bild und den Charakter des Mädchens Jane lassen keine eindeutige