Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Bündnis mit der reformpädagogischen Spielbewegung ein. Diese propagierte die Einführung der englischen Ballspiele für Erziehungszwecke im schulischen Unterricht. Und sie suchte den Schulterschluss mit der Deutschen Turnerschaft. Ein prominentes Beispiel ist hier Konrad Koch, dessen Engagement heute noch als Geburtsstunde des Fußballs in Deutschland gefeiert wird.2 1891 gründeten er, weitere Pädagogen, Vertreter aus Politik und Militär den Zentralausschuß für Volks- und Jugendspiele, unterstützt vom preußischen Kultusministerium. Entsprechend staatsnah waren auch dessen Aktivitäten:3 Sozialdisziplinierung, Erziehung durch Bewegung, Wehrertüchtigung. Die Projektionsfläche Fußball bot jedem etwas.
Den Versuch, den Fußballsport und die fußballspielende Jugend einzuhegen, unternahm auch der saarländische Turnverein Malstatt. Um die Jahrhundertwende war der Verein einer der größten Turnvereine im saarländisch-lothringischen Grenzraum. Die schnell wachsende Industriestadt Malstatt-Burbach, heute ein Stadtteil der Großstadt Saarbrücken, zählte damals rund 30.000 Einwohner. Alleine in der Burbacher Hütte, einem großen Eisenwerk, waren 4.200 Arbeiter beschäftigt. Im Jahr 1903 wurde im Turnverein auf Betreiben des Turnlehrers Johann Poller eine Spielabteilung gegründet, in welcher von Jugendlichen Fußball gespielt wurde. Man erhoffte sich, mit Instrumenten wie Pflichtturnstunden, die Kontrolle zu behalten. Rasch entstanden in benachbarten Turnvereinen ebenfalls Fußballabteilungen, die zum Unbehagen der Turnfunktionäre allerdings eher danach strebten, gegeneinander Wettspiele auszutragen, als sich im eigentlichen Turnverein zu engagieren. Die Turnerschaft tat sich entsprechend schwer, einen wettkampforientierten Ligabetrieb einzurichten. Erst 1913 durften an der Saar auch Meisterschaftsspiele ausgetragen werden. Für die Abteilung des TV Malstatt kam dieses Einlenken zu spät. 1907 machte sich die Spielabteilung selbstständig. Es entstand der Fußballverein Malstatt-Burbach – später der FV Saarbrücken, heute bekannt als 1. FC Saarbrücken.4
Der „Kampf um die Jugend“ entbrannte auch im Arbeiter- wie auch im katholischen Milieu. Gerade der Fußballsport wurde von den sozialen Milieus der stark fragmentierten Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich zugleich als Gefahr und Chance wahrgenommen. Um die Jahrhundertwende hatten sich an der Saar soziale Milieus gebildet, die in sich geschlossen waren und die mit Anbruch des 20. Jahrhunderts nun mit dem aufkommenden Sport konfrontiert wurden. Wie überall im Deutschen Reich kam es in der Zwischenkriegszeit zur Gründung von Arbeitersportvereinen, die innerhalb des Milieus verhaftet blieben und untereinander zum Wettkampf antraten. Sport sollte proletarisch gedacht und gespielt werden. Letztendlich blieb der Arbeitersport im Saargebiet allerdings auf geringem Niveau. Auf seinem Höhepunkt zählte er im Jahr 1929 insgesamt 3.200 Mitglieder in 57 Vereinen. Wie marginal diese Zahl ist und welche Bedeutung dagegen entsprechend das sogenannte neutrale Sportvereinswesen hat, sieht man, wenn man realisiert, dass nur vier Prozent aller Sportvereinsmitglieder im Arbeitersport organisiert waren.5
Auch im katholischen Milieu, das sowohl im Saargebiet wie auch in Lothringen von hoher Bedeutung war, wurde versucht, den Fußballsport einzubinden und einzuhegen. Sowohl an der Saar wie auch in Lothringen waren im 19. Jahrhundert katholische Jünglingsvereine gegründet worden. In diesen hatten Turnen, Spiel und Sport seit den 1860er und 1870er Jahren Tradition, wurden aber erst seit 1896 von offizieller Seite gefordert und gefördert.6
Die katholischen Vereine machten sowohl gegen Arbeitervereine, aber auch gegen die Turnerschaft und die konfessionsneutralen Sportvereine Front und versuchten über die Sportabteilungen, die katholische Jugend gegenüber anderen Einflüssen abzuschotten. Über einen katholisch geprägten Sport sollte die Jugend in die kirchlichen Strukturen integriert werden. Auch auf regionaler Ebene im Saargebiet, dem Einzugsgebiet der Diözese Trier, kam es zu entsprechenden Anstrengungen. Im Februar 1909 wurde in Trier bei einer Versammlung der Jugendvereinspräsides des Bezirkes Trier über die Jugendarbeit gesprochen. Ein Kaplan von der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier sprach neben den Gefahren, welche die Sozialdemokratie und der allgemeine „Sittenverfall“ für die Jugend bedeuteten, auch über die überkonfessionellen Sportvereine, die von der Geistlichkeit als Gefahr für die katholische Jugend angesehen wurden:
„Uns gehört die katholische Jugend, und uns muß sie auch ganz unversehrt erhalten bleiben. Das ist aber nur möglich in einer katholischen Organisation. Wir wissen ja, von gewissen Seiten ist man bemüht, interkonfessionelle Vereine entstehen zu lassen als Spiel- und Sportvereine im engen Anschlusse an die Fortbildungsschulen. Hierin liegt eine große Gefahr für unsere katholische Jugend. Wollen wir diese abwenden, und das müssen wir, so ist es unbedingt notwendig, daß wir baldigst katholische Organisationen ins Leben rufen und diese zweckentsprechend ausbauen.“7
In dem Zitat wird deutlich, dass die Sportvereine vor allem deshalb als Gefahr angesehen wurden, da durch diese externen Vereinigungen die Kirche die Kontrolle über die katholische Jugend zu verlieren drohte.
Im Bezirk Lothringen war die Situation einer stark fragmentierten Gesellschaft durch die Sprachgrenze noch komplexer gewesen und im französischsprachigen Teil außerdem von der nationalen Frage überlagert worden, weswegen im Rahmen dieses Beitrags auf die Dissertation verwiesen werden muss.8
Zusammenfassend lässt sich sagen: Integration und Exklusion gingen in den ersten Jahrzehnten des Fußballsports Hand in Hand. Mit zunehmender Popularität des Fußballs bei der Jugend inszenierten soziale Milieus über Sport und Fußball die Abschottung gegenüber anderen sozialen Gruppen. Innerhalb der Milieus verhaftet, hatte der Fußball keine gesamtgesellschaftliche Integrationskraft, sondern war spiegelbildlich für die Abschottungstendenzen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In dieser Hinsicht wurden die bürgerlichen, konfessionsneutralen Sportvereine tatsächlich zu einem Gegenmodell.
Eine Republik inszeniert sich. Das Departement Moselle nach 1918
Fußball wurde nach dem Ersten Weltkrieg populär. Ganz besonders deutlich wurde dies im französisch besetzten Saargebiet, das nach dem Versailler Vertrag politisch-administrativ vom Deutschen Reich abgekoppelt worden war und wo – von den wirtschaftlichen Turbulenzen in Deutschland unbeschadet – die Kommerzialisierung des Fußballsports eine erste Blüte erfuhr. Die Vereine vervielfachten ihre Mitgliederzahlen. Die Zuschauer*innenzahlen erreichten bei internationalen Wettspielen erstmals fünfstellige Zahlen und populäre Fußballspieler aus Wien und Budapest heuerten bereits zwei Jahre nach Kriegsende bei saarländischen Vereinen wie Borussia Neunkirchen an.9
Mit der verbundenen zunehmenden öffentlichen Wahrnehmung wurde der Fußballsport nun noch viel mehr als zuvor zu einer Projektionsfläche sozialer und politischer Ideen und Ideologien. Dies trifft auch auf das Departement Moselle zu, wo nur wenige Jahre nach dem Ende der Grande Guerre und der Rückkehr der Moselle nach Frankreich die französische Republik den Fußballsport als Inszenierungsraum für sich entdeckte.
Bezüglich des Retour der Moselle nach Frankreich ist es von Relevanz, die Konfliktlinien zu kennen, um das Vorgehen der Behörden einordnen zu können. Rund 100.000 deutschstämmige Lothringer*innen wurden gezwungen, den ehemaligen Bezirk Lothringen zu verlassen. Im ehemaligen Diedenhofen, das nun wieder seinen französischen Namen Thionville erhielt, waren von ursprünglich 6.800 Deutschen Ende 1920 nur noch 500 vor Ort.10 Die Eingliederung der Departements in das französische Staatswesen erwies sich dennoch als konfliktreich. Der größte Konflikt bestand im kulturellen Sonderbewusstsein und damit zusammenhängend in der Ablehnung des französischen Zentralismus durch die lothringische Bevölkerung. Die deutschsprachigen Lothringer*innen hatten außerdem damit zu kämpfen, in Innerfrankreich als boches beschimpft zu werden. Letztendlich ging der französische Zentralstaat auf die Forderungen nach kultureller Autonomie ein. Die französischen Schulgesetze und das Gesetz über die strikte Trennung von Staat und Kirche wurden nicht angewendet und auch die konfessionellen Schulen blieben weiterhin bestehen.11
Für die lothringischen Fußballvereine des Deutschen Fußball-Bundes hatte der aprupte Abbruch aller Beziehungen nach Deutschland einen Schock bedeutet. Die Ausweisungspolitik traf den bürgerlichen Fußball im Bezirk Lothringen stark. Gerade in den führenden Positionen befanden sich viele „Altdeutsche“, die nun das Land verlassen mussten. So emigrierte auch Ludwig Albert, der zweite Vorsitzende des Süddeutschen Fußballverbandes nach Frankfurt. Die französischen Militärbehörden bestanden außerdem auf der Auflösung der Sportvereine, die